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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Neigung der Künstler, die immer vorhanden sein wird, mit der oben ausführlicher
motivirten kaiserlichen und gesellschaftlichen Gunst für den Gegenstand derselben
aufs vollständigste zusammen. In immer steigender Progression entwickelt sich
der Geschmack und die Liebhaberei für dies Genre, Hand in Hand mit der
Lust, es zu behandeln, und mit jedem Salon wächst die Zahl dieser mytho¬
logischen, allegorischen und ganz modern realistischen Nuditäten, die seine
Wände bedecke". Die nackte Schönheit des Weibes ist immer mit vollstem Recht
als eine der höchsten Aufgaben der Malerei betrachtet worden und die größten
Künstler haben ihr ihre beste Kraft gewidmet, um sie denn auch in unsterblichen,
göttlichen Werten zu lösen. Die (von den heutigen Franzosen eher gesuchte
als gemiedene) Gefahr hierbei liegt nur dann, daß in dem Wettkampf um den
Erfolg, um den größten und eigenthümlichsten Effect die Künstler sich selbst
zu einem Raffinement in der Ausfassung und Darstellung steigern, welches so
viele Bilder des herrlichsten Objects, das die Natur der Malerei bietet, zu den
allerwidrigsten macht. Statt der einfachen großartigen Unbefangenheit, wie sie
die antike Kunst und die der italienischen Renaissance diesem Gegenstand gegen¬
über zeigt, tritt dann die unerträgliche Spekulation auf die frivole Lüsternheit,
auf die gemeinen Begierden des Publicums nur allzu ersichtlich ein, und letzteres
acceptirt das so Gebvtne sehr bereitwillig, da es rhin gestattet, jene unter dem
Anschein der erlesensten Kunstliebe und des modernsten guten Geschmackes zu
mastiren. Wie eifrig und in welchem Maße sich diese Geschmacksrichtung im
kaiserlichen Frankreich verbreitet hat, zeigt sich schon darin, daß selbst die
ungeheure Production der gegenwärtigen Kunst auf diesem Gebiet keines¬
wegs ausreicht, um das Verlangen der Liebhaber zu sättigen, sondern daß
man zurückgreift in die so lange mit gänzlicher Mißachtung behandelte
Kunstperiode des Zeitalters Ludwig des Fünfzehnten, die in der Hinsicht
dem gegenwärtigen nicht nachstand, jedes längst vergeßne frivole und
lüsterne Bild jener Maler, jede kokette, nackte Göttin eines gepuderten
Olymp, jede lächelnde Nymphe, jede petito illuitiWLö im Bade, emsig
wieder hervorsucht, auffrischt, ausstellt, tauft, oder zu solchen Preisen hinaus¬
treibt, daß wohl eine Venus von Boucher die fünffache Summe einträgt,
welche man für eine" echte" trefflichen Rembrandt zahlt. Diese Liebhaberei
findet natürlich nicht blos im eigentliche" Gemäldesalon ihren Ausdruck, son¬
dern am Schaufenster jedes Kunsthändlers, Antiquars, Brocantcurs, Kupfcrstich-
magazins, Photvgravhienladens. Die Masse der nackten weiblichen Schönheiten
von allen Meistern, in allen denkbaren und undenkbaren Situationen und
Stellungen, mittelst jeder Art der künstlerischen Technik dargestellt, drängt auch
dort alles Andre zurück. Den heutigen französischen Malern dieser Richtung
fehlt leider nur eine Haupteigenschaft: die volle und gesunde Phantasie. In
der Erfindung der Situationen, in weiche sie ihre Göttinnen und Nymphen


Neigung der Künstler, die immer vorhanden sein wird, mit der oben ausführlicher
motivirten kaiserlichen und gesellschaftlichen Gunst für den Gegenstand derselben
aufs vollständigste zusammen. In immer steigender Progression entwickelt sich
der Geschmack und die Liebhaberei für dies Genre, Hand in Hand mit der
Lust, es zu behandeln, und mit jedem Salon wächst die Zahl dieser mytho¬
logischen, allegorischen und ganz modern realistischen Nuditäten, die seine
Wände bedecke». Die nackte Schönheit des Weibes ist immer mit vollstem Recht
als eine der höchsten Aufgaben der Malerei betrachtet worden und die größten
Künstler haben ihr ihre beste Kraft gewidmet, um sie denn auch in unsterblichen,
göttlichen Werten zu lösen. Die (von den heutigen Franzosen eher gesuchte
als gemiedene) Gefahr hierbei liegt nur dann, daß in dem Wettkampf um den
Erfolg, um den größten und eigenthümlichsten Effect die Künstler sich selbst
zu einem Raffinement in der Ausfassung und Darstellung steigern, welches so
viele Bilder des herrlichsten Objects, das die Natur der Malerei bietet, zu den
allerwidrigsten macht. Statt der einfachen großartigen Unbefangenheit, wie sie
die antike Kunst und die der italienischen Renaissance diesem Gegenstand gegen¬
über zeigt, tritt dann die unerträgliche Spekulation auf die frivole Lüsternheit,
auf die gemeinen Begierden des Publicums nur allzu ersichtlich ein, und letzteres
acceptirt das so Gebvtne sehr bereitwillig, da es rhin gestattet, jene unter dem
Anschein der erlesensten Kunstliebe und des modernsten guten Geschmackes zu
mastiren. Wie eifrig und in welchem Maße sich diese Geschmacksrichtung im
kaiserlichen Frankreich verbreitet hat, zeigt sich schon darin, daß selbst die
ungeheure Production der gegenwärtigen Kunst auf diesem Gebiet keines¬
wegs ausreicht, um das Verlangen der Liebhaber zu sättigen, sondern daß
man zurückgreift in die so lange mit gänzlicher Mißachtung behandelte
Kunstperiode des Zeitalters Ludwig des Fünfzehnten, die in der Hinsicht
dem gegenwärtigen nicht nachstand, jedes längst vergeßne frivole und
lüsterne Bild jener Maler, jede kokette, nackte Göttin eines gepuderten
Olymp, jede lächelnde Nymphe, jede petito illuitiWLö im Bade, emsig
wieder hervorsucht, auffrischt, ausstellt, tauft, oder zu solchen Preisen hinaus¬
treibt, daß wohl eine Venus von Boucher die fünffache Summe einträgt,
welche man für eine» echte» trefflichen Rembrandt zahlt. Diese Liebhaberei
findet natürlich nicht blos im eigentliche» Gemäldesalon ihren Ausdruck, son¬
dern am Schaufenster jedes Kunsthändlers, Antiquars, Brocantcurs, Kupfcrstich-
magazins, Photvgravhienladens. Die Masse der nackten weiblichen Schönheiten
von allen Meistern, in allen denkbaren und undenkbaren Situationen und
Stellungen, mittelst jeder Art der künstlerischen Technik dargestellt, drängt auch
dort alles Andre zurück. Den heutigen französischen Malern dieser Richtung
fehlt leider nur eine Haupteigenschaft: die volle und gesunde Phantasie. In
der Erfindung der Situationen, in weiche sie ihre Göttinnen und Nymphen


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[0476] Neigung der Künstler, die immer vorhanden sein wird, mit der oben ausführlicher motivirten kaiserlichen und gesellschaftlichen Gunst für den Gegenstand derselben aufs vollständigste zusammen. In immer steigender Progression entwickelt sich der Geschmack und die Liebhaberei für dies Genre, Hand in Hand mit der Lust, es zu behandeln, und mit jedem Salon wächst die Zahl dieser mytho¬ logischen, allegorischen und ganz modern realistischen Nuditäten, die seine Wände bedecke». Die nackte Schönheit des Weibes ist immer mit vollstem Recht als eine der höchsten Aufgaben der Malerei betrachtet worden und die größten Künstler haben ihr ihre beste Kraft gewidmet, um sie denn auch in unsterblichen, göttlichen Werten zu lösen. Die (von den heutigen Franzosen eher gesuchte als gemiedene) Gefahr hierbei liegt nur dann, daß in dem Wettkampf um den Erfolg, um den größten und eigenthümlichsten Effect die Künstler sich selbst zu einem Raffinement in der Ausfassung und Darstellung steigern, welches so viele Bilder des herrlichsten Objects, das die Natur der Malerei bietet, zu den allerwidrigsten macht. Statt der einfachen großartigen Unbefangenheit, wie sie die antike Kunst und die der italienischen Renaissance diesem Gegenstand gegen¬ über zeigt, tritt dann die unerträgliche Spekulation auf die frivole Lüsternheit, auf die gemeinen Begierden des Publicums nur allzu ersichtlich ein, und letzteres acceptirt das so Gebvtne sehr bereitwillig, da es rhin gestattet, jene unter dem Anschein der erlesensten Kunstliebe und des modernsten guten Geschmackes zu mastiren. Wie eifrig und in welchem Maße sich diese Geschmacksrichtung im kaiserlichen Frankreich verbreitet hat, zeigt sich schon darin, daß selbst die ungeheure Production der gegenwärtigen Kunst auf diesem Gebiet keines¬ wegs ausreicht, um das Verlangen der Liebhaber zu sättigen, sondern daß man zurückgreift in die so lange mit gänzlicher Mißachtung behandelte Kunstperiode des Zeitalters Ludwig des Fünfzehnten, die in der Hinsicht dem gegenwärtigen nicht nachstand, jedes längst vergeßne frivole und lüsterne Bild jener Maler, jede kokette, nackte Göttin eines gepuderten Olymp, jede lächelnde Nymphe, jede petito illuitiWLö im Bade, emsig wieder hervorsucht, auffrischt, ausstellt, tauft, oder zu solchen Preisen hinaus¬ treibt, daß wohl eine Venus von Boucher die fünffache Summe einträgt, welche man für eine» echte» trefflichen Rembrandt zahlt. Diese Liebhaberei findet natürlich nicht blos im eigentliche» Gemäldesalon ihren Ausdruck, son¬ dern am Schaufenster jedes Kunsthändlers, Antiquars, Brocantcurs, Kupfcrstich- magazins, Photvgravhienladens. Die Masse der nackten weiblichen Schönheiten von allen Meistern, in allen denkbaren und undenkbaren Situationen und Stellungen, mittelst jeder Art der künstlerischen Technik dargestellt, drängt auch dort alles Andre zurück. Den heutigen französischen Malern dieser Richtung fehlt leider nur eine Haupteigenschaft: die volle und gesunde Phantasie. In der Erfindung der Situationen, in weiche sie ihre Göttinnen und Nymphen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/476>, abgerufen am 28.09.2024.