Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

concurvenzen kaum noch geduldeten "classischen" Stoffe und classischen Kunst¬
tendenzen wieder mehr und mehr zur Geltung durchdringen. Nicht mehr zur
ausschließlichen wie zu Davids Zeit, -- eine derartige ästhetische Meinungs¬
tyrannei ist wenigstens heut zur Unmöglichkeit geworden, -- aber immerhin
doch bis zur gleichberechtigten Stellung (anch in der Schätzung durch das Publi-
cum) mit jeder ihnen noch so entgegengesetzten. Es herrscht nach dieser Seite
hin dasselbe eifrige Arbeiten und Bemühen, die Erscheinung des antike" Lebens,
seiner Menschen, Sitten und Legalitäten, kriegerischen und friedlichen Zustände
in lebendiger Wahrheit und Echtheit wieder heraufzubeschwören, wie da, wo
es sich u>n die der mittelalterlichen Zeiten handelt. Und oft genug artet es
dann in den hier noch viel näher liegenden Fehler aus, mit den Augen antiker
Maier sehn und in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise schildern zu wollen. Die
Zahl dieser antikisirenden "Rom- und Griechenmaler" wächst mit jedem Aus¬
stellungsjahre. Sie alle stehn direct oder indirect unter dem geistigen Patro¬
nat des alten Ingres, der noch die Genugthuung erlebt, in ihnen seine Prin¬
cipien der Linie und der -- Farblosigkeit triumphiren zu sehn. Ein Theil die¬
ser Künstlergruppe ragt noch aus Louis Philipps Zeiten in die Gegenwart
herüber; andre aber find erst unter dem Kaiserreich zu ihrer gegenwärtigen Be¬
deutung erwachsen. Mit vielem echten Talent finden wir bei ihnen keine ge¬
ringe Neigung verbunden, mit den Resultaten ihrer archäologischen Studien,
deren Ernst immerhin sehr anerkennenswert!) ist, ziemlich selbstbewußt zu prunken.
Einer der originellsten und einseitigsten darunter ist Hamon (geb. 1821), in
allen Landen populär durch sein berühmtes: "mu, soizur u'^ oft pa,8", womit
er das französische Publicum im Salon von 1853 überraschte, nachdem er
bereits im Jahre zuvor mit seiner "eorrMiv Irumairrv" Befremden und Auf¬
merksamkeit genug erregt hatte. Er kleidet reizende Genrescenen, solche, die
zu jeder Zeit und in jedem Costüm spielen, wie solche, die eben nur den
Zuständen und Sitten jener bestimmten Welt erwachsen könnten, in das Ge¬
wand altgriechischen classischen Lebens. Und da er über eine ganz seltene
Zartheit und Feinheit der Zeichnung und ebenso über das ganze Reich des Aus¬
drucks kindlichen Naivetät und weiblicher Lieblichkeit und Grazie gebietet, so steht
diesen hellenisch eleganten und anmuthigen Gestalten jenes Kleid vortrefflich.
In der Malerei dieser Bilder ging er ebenso seinen ganz eignen Weg,
und wenn sein beliebtes kühles Grau, seine Verläugnung aller eigentlichen
Farbenwirkung ein so in dem Bedürfniß coloristischer Effecte auferzvgnes
Publicum anfangs auch zum heftigsten Widerspruch aufregte, so hat er dasselbe
doch schließlich daran gewöhnt und den Geschmack an seiner Malweise so ver¬
breitet, daß sich eine ganze Gemeinde von "Graumalern" gebildet hat, deren
Arbeiten darum keiner geringern Gunst begegnen, ais die der glänzendsten
Coloristen. In der malerischen Schilderung altgriechischen Lebens haben, um


concurvenzen kaum noch geduldeten „classischen" Stoffe und classischen Kunst¬
tendenzen wieder mehr und mehr zur Geltung durchdringen. Nicht mehr zur
ausschließlichen wie zu Davids Zeit, — eine derartige ästhetische Meinungs¬
tyrannei ist wenigstens heut zur Unmöglichkeit geworden, — aber immerhin
doch bis zur gleichberechtigten Stellung (anch in der Schätzung durch das Publi-
cum) mit jeder ihnen noch so entgegengesetzten. Es herrscht nach dieser Seite
hin dasselbe eifrige Arbeiten und Bemühen, die Erscheinung des antike» Lebens,
seiner Menschen, Sitten und Legalitäten, kriegerischen und friedlichen Zustände
in lebendiger Wahrheit und Echtheit wieder heraufzubeschwören, wie da, wo
es sich u>n die der mittelalterlichen Zeiten handelt. Und oft genug artet es
dann in den hier noch viel näher liegenden Fehler aus, mit den Augen antiker
Maier sehn und in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise schildern zu wollen. Die
Zahl dieser antikisirenden „Rom- und Griechenmaler" wächst mit jedem Aus¬
stellungsjahre. Sie alle stehn direct oder indirect unter dem geistigen Patro¬
nat des alten Ingres, der noch die Genugthuung erlebt, in ihnen seine Prin¬
cipien der Linie und der — Farblosigkeit triumphiren zu sehn. Ein Theil die¬
ser Künstlergruppe ragt noch aus Louis Philipps Zeiten in die Gegenwart
herüber; andre aber find erst unter dem Kaiserreich zu ihrer gegenwärtigen Be¬
deutung erwachsen. Mit vielem echten Talent finden wir bei ihnen keine ge¬
ringe Neigung verbunden, mit den Resultaten ihrer archäologischen Studien,
deren Ernst immerhin sehr anerkennenswert!) ist, ziemlich selbstbewußt zu prunken.
Einer der originellsten und einseitigsten darunter ist Hamon (geb. 1821), in
allen Landen populär durch sein berühmtes: „mu, soizur u'^ oft pa,8", womit
er das französische Publicum im Salon von 1853 überraschte, nachdem er
bereits im Jahre zuvor mit seiner „eorrMiv Irumairrv" Befremden und Auf¬
merksamkeit genug erregt hatte. Er kleidet reizende Genrescenen, solche, die
zu jeder Zeit und in jedem Costüm spielen, wie solche, die eben nur den
Zuständen und Sitten jener bestimmten Welt erwachsen könnten, in das Ge¬
wand altgriechischen classischen Lebens. Und da er über eine ganz seltene
Zartheit und Feinheit der Zeichnung und ebenso über das ganze Reich des Aus¬
drucks kindlichen Naivetät und weiblicher Lieblichkeit und Grazie gebietet, so steht
diesen hellenisch eleganten und anmuthigen Gestalten jenes Kleid vortrefflich.
In der Malerei dieser Bilder ging er ebenso seinen ganz eignen Weg,
und wenn sein beliebtes kühles Grau, seine Verläugnung aller eigentlichen
Farbenwirkung ein so in dem Bedürfniß coloristischer Effecte auferzvgnes
Publicum anfangs auch zum heftigsten Widerspruch aufregte, so hat er dasselbe
doch schließlich daran gewöhnt und den Geschmack an seiner Malweise so ver¬
breitet, daß sich eine ganze Gemeinde von „Graumalern" gebildet hat, deren
Arbeiten darum keiner geringern Gunst begegnen, ais die der glänzendsten
Coloristen. In der malerischen Schilderung altgriechischen Lebens haben, um


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189569"/>
          <p xml:id="ID_1786" prev="#ID_1785" next="#ID_1787"> concurvenzen kaum noch geduldeten &#x201E;classischen" Stoffe und classischen Kunst¬<lb/>
tendenzen wieder mehr und mehr zur Geltung durchdringen.  Nicht mehr zur<lb/>
ausschließlichen wie zu Davids Zeit, &#x2014; eine derartige ästhetische Meinungs¬<lb/>
tyrannei ist wenigstens heut zur Unmöglichkeit geworden,  &#x2014; aber immerhin<lb/>
doch bis zur gleichberechtigten Stellung (anch in der Schätzung durch das Publi-<lb/>
cum) mit jeder ihnen noch so entgegengesetzten.  Es herrscht nach dieser Seite<lb/>
hin dasselbe eifrige Arbeiten und Bemühen, die Erscheinung des antike» Lebens,<lb/>
seiner Menschen, Sitten und Legalitäten, kriegerischen und friedlichen Zustände<lb/>
in lebendiger Wahrheit und  Echtheit wieder heraufzubeschwören, wie da, wo<lb/>
es sich u&gt;n die der mittelalterlichen Zeiten handelt.  Und oft genug artet es<lb/>
dann in den hier noch viel näher liegenden Fehler aus, mit den Augen antiker<lb/>
Maier sehn und in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise schildern zu wollen. Die<lb/>
Zahl dieser antikisirenden &#x201E;Rom- und Griechenmaler" wächst mit jedem Aus¬<lb/>
stellungsjahre.  Sie alle stehn direct oder indirect unter dem geistigen Patro¬<lb/>
nat des alten Ingres, der noch die Genugthuung erlebt, in ihnen seine Prin¬<lb/>
cipien der Linie und der &#x2014; Farblosigkeit triumphiren zu sehn. Ein Theil die¬<lb/>
ser Künstlergruppe ragt  noch aus Louis Philipps Zeiten in die Gegenwart<lb/>
herüber; andre aber find erst unter dem Kaiserreich zu ihrer gegenwärtigen Be¬<lb/>
deutung erwachsen.  Mit vielem echten Talent finden wir bei ihnen keine ge¬<lb/>
ringe Neigung verbunden, mit den Resultaten ihrer archäologischen Studien,<lb/>
deren Ernst immerhin sehr anerkennenswert!) ist, ziemlich selbstbewußt zu prunken.<lb/>
Einer der originellsten und einseitigsten darunter ist Hamon (geb. 1821), in<lb/>
allen Landen populär durch sein berühmtes: &#x201E;mu, soizur u'^ oft pa,8", womit<lb/>
er das französische Publicum im Salon von 1853 überraschte, nachdem er<lb/>
bereits im Jahre zuvor mit seiner &#x201E;eorrMiv Irumairrv" Befremden und Auf¬<lb/>
merksamkeit genug erregt hatte.  Er kleidet reizende Genrescenen, solche, die<lb/>
zu jeder Zeit und in jedem Costüm spielen, wie solche, die eben nur den<lb/>
Zuständen und Sitten jener bestimmten Welt erwachsen könnten, in das Ge¬<lb/>
wand altgriechischen classischen Lebens. Und da er über eine ganz seltene<lb/>
Zartheit und Feinheit der Zeichnung und ebenso über das ganze Reich des Aus¬<lb/>
drucks kindlichen Naivetät und weiblicher Lieblichkeit und Grazie gebietet, so steht<lb/>
diesen hellenisch eleganten und anmuthigen Gestalten jenes Kleid vortrefflich.<lb/>
In der Malerei  dieser Bilder ging  er ebenso seinen ganz eignen Weg,<lb/>
und wenn sein beliebtes kühles Grau, seine Verläugnung aller eigentlichen<lb/>
Farbenwirkung ein so in dem Bedürfniß  coloristischer Effecte auferzvgnes<lb/>
Publicum anfangs auch zum heftigsten Widerspruch aufregte, so hat er dasselbe<lb/>
doch schließlich daran gewöhnt und den Geschmack an seiner Malweise so ver¬<lb/>
breitet, daß sich eine ganze Gemeinde von &#x201E;Graumalern" gebildet hat, deren<lb/>
Arbeiten darum keiner geringern Gunst begegnen, ais die der glänzendsten<lb/>
Coloristen.  In der malerischen Schilderung altgriechischen Lebens haben, um</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0474] concurvenzen kaum noch geduldeten „classischen" Stoffe und classischen Kunst¬ tendenzen wieder mehr und mehr zur Geltung durchdringen. Nicht mehr zur ausschließlichen wie zu Davids Zeit, — eine derartige ästhetische Meinungs¬ tyrannei ist wenigstens heut zur Unmöglichkeit geworden, — aber immerhin doch bis zur gleichberechtigten Stellung (anch in der Schätzung durch das Publi- cum) mit jeder ihnen noch so entgegengesetzten. Es herrscht nach dieser Seite hin dasselbe eifrige Arbeiten und Bemühen, die Erscheinung des antike» Lebens, seiner Menschen, Sitten und Legalitäten, kriegerischen und friedlichen Zustände in lebendiger Wahrheit und Echtheit wieder heraufzubeschwören, wie da, wo es sich u>n die der mittelalterlichen Zeiten handelt. Und oft genug artet es dann in den hier noch viel näher liegenden Fehler aus, mit den Augen antiker Maier sehn und in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise schildern zu wollen. Die Zahl dieser antikisirenden „Rom- und Griechenmaler" wächst mit jedem Aus¬ stellungsjahre. Sie alle stehn direct oder indirect unter dem geistigen Patro¬ nat des alten Ingres, der noch die Genugthuung erlebt, in ihnen seine Prin¬ cipien der Linie und der — Farblosigkeit triumphiren zu sehn. Ein Theil die¬ ser Künstlergruppe ragt noch aus Louis Philipps Zeiten in die Gegenwart herüber; andre aber find erst unter dem Kaiserreich zu ihrer gegenwärtigen Be¬ deutung erwachsen. Mit vielem echten Talent finden wir bei ihnen keine ge¬ ringe Neigung verbunden, mit den Resultaten ihrer archäologischen Studien, deren Ernst immerhin sehr anerkennenswert!) ist, ziemlich selbstbewußt zu prunken. Einer der originellsten und einseitigsten darunter ist Hamon (geb. 1821), in allen Landen populär durch sein berühmtes: „mu, soizur u'^ oft pa,8", womit er das französische Publicum im Salon von 1853 überraschte, nachdem er bereits im Jahre zuvor mit seiner „eorrMiv Irumairrv" Befremden und Auf¬ merksamkeit genug erregt hatte. Er kleidet reizende Genrescenen, solche, die zu jeder Zeit und in jedem Costüm spielen, wie solche, die eben nur den Zuständen und Sitten jener bestimmten Welt erwachsen könnten, in das Ge¬ wand altgriechischen classischen Lebens. Und da er über eine ganz seltene Zartheit und Feinheit der Zeichnung und ebenso über das ganze Reich des Aus¬ drucks kindlichen Naivetät und weiblicher Lieblichkeit und Grazie gebietet, so steht diesen hellenisch eleganten und anmuthigen Gestalten jenes Kleid vortrefflich. In der Malerei dieser Bilder ging er ebenso seinen ganz eignen Weg, und wenn sein beliebtes kühles Grau, seine Verläugnung aller eigentlichen Farbenwirkung ein so in dem Bedürfniß coloristischer Effecte auferzvgnes Publicum anfangs auch zum heftigsten Widerspruch aufregte, so hat er dasselbe doch schließlich daran gewöhnt und den Geschmack an seiner Malweise so ver¬ breitet, daß sich eine ganze Gemeinde von „Graumalern" gebildet hat, deren Arbeiten darum keiner geringern Gunst begegnen, ais die der glänzendsten Coloristen. In der malerischen Schilderung altgriechischen Lebens haben, um

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/474
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/474>, abgerufen am 28.09.2024.