Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.schon gebrochen gehabt, und wenn wir an den Apostel Paulus denken, der Aber auch vom Verhältniß zum Täufer Johannes -- der erste geschicht¬ So werden wir denn überhaupt darauf verzichten müssen, durch den Nach¬ Grenzboten III. 1864. 57
schon gebrochen gehabt, und wenn wir an den Apostel Paulus denken, der Aber auch vom Verhältniß zum Täufer Johannes — der erste geschicht¬ So werden wir denn überhaupt darauf verzichten müssen, durch den Nach¬ Grenzboten III. 1864. 57
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189552"/> <p xml:id="ID_1749" prev="#ID_1748"> schon gebrochen gehabt, und wenn wir an den Apostel Paulus denken, der<lb/> seine pharisäische Schulbildung auch in seiner christlichen Periode nicht verläug-<lb/> nete. so dient dieser Seitenblick keineswegs dazu, es glaubhaft zu machen,<lb/> daß die einfache Natürlichkeit, die Ursprünglichkeit, die uns überall bei Jesus<lb/> entgegentrat, dieselbe Schule durchgemacht haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1750"> Aber auch vom Verhältniß zum Täufer Johannes — der erste geschicht¬<lb/> liche Punkt im Leben Jesu — sind wir nicht mehr im Stande, eine bestimmte<lb/> Vorstellung zu gewinnen. Es fehlt zwar nicht an Analogien, um die Erschei¬<lb/> nung des Täufers selbst historisch zu begreifen. Wir wissen von Einsiedlern,<lb/> weiche damals betend und fastend die Kalkhöhlen der Wüste bewohnten, und<lb/> die Verwandtschaft der Taufe des Johannes mit den Waschungen der Essäer,<lb/> seiner rauhen Lebensweise mit den Bußübungen dieser Sekte ist unverkennbar.<lb/> Allein wie lange war Jesus an der Seite oder in der Schule des Täufers,<lb/> wie hoch ist der Impuls anzuschlagen, den er von diesem erhielt — dies sind<lb/> Fragen, die wir nach den Evangelien nicht mehr beantworten können. Früh¬<lb/> zeitig wurde das Verhältniß Jesu zum Täufer bis zur Unkenntlichkeit verwischt,<lb/> und zwar nach zwei Seiten. Einmal wurde Johannes dem Messias sehr nahe<lb/> gerückt, wie sich dies namentlich in der sagenhaften Vorgeschichte beider Män¬<lb/> ner zu erkennen giebt, und andrerseits doch die Differenz zwischen dem bloßen<lb/> Vorgänger und dem wirklichen Messias stark hervorgehoben. Daß Johannes<lb/> die Mission eines Wegweisers für das messianische Reich hatte, aus diesem künst¬<lb/> lichen Gesichtspunkt wurde seine Geschichte von der christlichen Sage bearbeitet. Es<lb/> wird an diesem Punkt, wo es sich doch im Grund noch um nichts Principielles<lb/> handelt, recht deutlich, wie tief die spätere selten ganz absichtslose Sage den<lb/> einfachsten historischen Verhältnissen ihr Gepräge aufgedrückt hat. Historisch ist<lb/> eigentlich nichts festgestellt, als daß Jesus von Johannes getauft worden ist<lb/> und daß der Täufer sich Jesus nicht angeschlossen, sondern nach wie vor sein<lb/> Taufgeschäft fortgesetzt hat. Im übrigen hat die neuere Forschung bald die<lb/> Abhängigkeit Jesu von Johannes betont, bald das Gegensätzliche in der<lb/> Individualität beider hervorgehoben. Der Ansicht von Keim steht diejenige<lb/> Schenkels, wonach das Verhältniß beider nur vorübergehend war und der Täu¬<lb/> fer „Jesu fremd blieb", fast diametral gegenüber.</p><lb/> <p xml:id="ID_1751" next="#ID_1752"> So werden wir denn überhaupt darauf verzichten müssen, durch den Nach¬<lb/> weis der Bildungseinflüssc auf die Lehre Jesu zu bestimmten Resultaten zu ge¬<lb/> langen. Festen historischen Boden fassen wir erst da, wo Jesus mit seiner gan¬<lb/> zen schon herausgebildeter Eigenthümlichkeit, mit seinem fertigen religiösen Ideal<lb/> aus der Verborgenheit heraustritt in das öffentliche Leben. Hier kommen uns<lb/> eben jene Stücke der Evangelien zu Hilfe, die wir aus allen Gründen für die<lb/> ältesten Bestandtheile der Evangclienliteratur zu halten haben, jene prägnanten<lb/> köstlichen Kernsprüche, die schon um der überraschenden, zutreffenden Form wil-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1864. 57</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0457]
schon gebrochen gehabt, und wenn wir an den Apostel Paulus denken, der
seine pharisäische Schulbildung auch in seiner christlichen Periode nicht verläug-
nete. so dient dieser Seitenblick keineswegs dazu, es glaubhaft zu machen,
daß die einfache Natürlichkeit, die Ursprünglichkeit, die uns überall bei Jesus
entgegentrat, dieselbe Schule durchgemacht haben.
Aber auch vom Verhältniß zum Täufer Johannes — der erste geschicht¬
liche Punkt im Leben Jesu — sind wir nicht mehr im Stande, eine bestimmte
Vorstellung zu gewinnen. Es fehlt zwar nicht an Analogien, um die Erschei¬
nung des Täufers selbst historisch zu begreifen. Wir wissen von Einsiedlern,
weiche damals betend und fastend die Kalkhöhlen der Wüste bewohnten, und
die Verwandtschaft der Taufe des Johannes mit den Waschungen der Essäer,
seiner rauhen Lebensweise mit den Bußübungen dieser Sekte ist unverkennbar.
Allein wie lange war Jesus an der Seite oder in der Schule des Täufers,
wie hoch ist der Impuls anzuschlagen, den er von diesem erhielt — dies sind
Fragen, die wir nach den Evangelien nicht mehr beantworten können. Früh¬
zeitig wurde das Verhältniß Jesu zum Täufer bis zur Unkenntlichkeit verwischt,
und zwar nach zwei Seiten. Einmal wurde Johannes dem Messias sehr nahe
gerückt, wie sich dies namentlich in der sagenhaften Vorgeschichte beider Män¬
ner zu erkennen giebt, und andrerseits doch die Differenz zwischen dem bloßen
Vorgänger und dem wirklichen Messias stark hervorgehoben. Daß Johannes
die Mission eines Wegweisers für das messianische Reich hatte, aus diesem künst¬
lichen Gesichtspunkt wurde seine Geschichte von der christlichen Sage bearbeitet. Es
wird an diesem Punkt, wo es sich doch im Grund noch um nichts Principielles
handelt, recht deutlich, wie tief die spätere selten ganz absichtslose Sage den
einfachsten historischen Verhältnissen ihr Gepräge aufgedrückt hat. Historisch ist
eigentlich nichts festgestellt, als daß Jesus von Johannes getauft worden ist
und daß der Täufer sich Jesus nicht angeschlossen, sondern nach wie vor sein
Taufgeschäft fortgesetzt hat. Im übrigen hat die neuere Forschung bald die
Abhängigkeit Jesu von Johannes betont, bald das Gegensätzliche in der
Individualität beider hervorgehoben. Der Ansicht von Keim steht diejenige
Schenkels, wonach das Verhältniß beider nur vorübergehend war und der Täu¬
fer „Jesu fremd blieb", fast diametral gegenüber.
So werden wir denn überhaupt darauf verzichten müssen, durch den Nach¬
weis der Bildungseinflüssc auf die Lehre Jesu zu bestimmten Resultaten zu ge¬
langen. Festen historischen Boden fassen wir erst da, wo Jesus mit seiner gan¬
zen schon herausgebildeter Eigenthümlichkeit, mit seinem fertigen religiösen Ideal
aus der Verborgenheit heraustritt in das öffentliche Leben. Hier kommen uns
eben jene Stücke der Evangelien zu Hilfe, die wir aus allen Gründen für die
ältesten Bestandtheile der Evangclienliteratur zu halten haben, jene prägnanten
köstlichen Kernsprüche, die schon um der überraschenden, zutreffenden Form wil-
Grenzboten III. 1864. 57
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |