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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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drängte; die plötzliche Entlassung Mulzers steigerte dies Mißtrauen; Pfister-
meistcr mußte daher durchaus etwas thun, sich wieder populär zu machen.
Dazu benutzte er sehr geschickt die Frage der Abkürzung der sechsjährigen
Finanzperioden. Der verstorbene König hatte sie aufrecht erhalten gegen den
Wunsch der Abgeordnetenkammer, gegen den Rath der Mehrzahl seiner Minister,
nur vom Finanzminister gestützt. Es war kein Zweifel, daß der Landtag,
kaum versammelt, diese Frage von neuem angeregt haben würde, daß die Mi¬
nister-, vielleicht mit Inbegriff des Finanzministers, der doch auch keiner calori-
schem Starrheit sich rühmt, bei dem König die Befriedigung des allgemeinen
Wunsches befürwortet hätten, so daß dem Cabinet nichts übrig geblieben wäre,
als bescheiden die Anträge der Minister durchführen zu helfen oder sich dem
allseitigen Andringen hartnäckig zu widersetzen. Pfistermeister bot dem Mini¬
sterium mit kluger Hand ein Paroli: er ließ den König in dieser Frage die
Initiative ergreifen und sicherte dadurch sich, der Cabinetsregierung, von neuem
Einfluß und Popularität. Wenn infolge dieser Operation der Finanzminister
zurückträte, so würde seinen Abgang niemand mehr beklagen als den des Herrn
v. Zwehl; beide galten für fügsame, geschmeidige, unzuverlässige Naturen.
Anders wäre es, wenn die Intriguen des Cabinets auch die Stellung des Mi¬
nisters des Innern Neumayr erschüttern würden. Das würde, im ganzen Lande als
eine Calamität erkannt, sofort die heftigste Opposition hervorrufen und Herr Pfister¬
meister wird sich daher wohl hüten, diesen Schritt zu wagen. Ein gewisses
instinktives Gefühl aber ist es, das zselbst den Massen sagt, wie viel für den
bayrischen Staat ein Mann wie Neumayr werth ist: die Empfindung, daß er
allein von den Ministern eine lebendige Garantie für die ehrliche Handhabung
constitutioneller Grundsätze ist und daß eben diese allein dem bayrischen Staate
eine hervorragende Rolle in Deutschland verschaffen kann. In einer Zeit, in
der das Gefühl, daß nur die reale Macht in den Fragen der großen Politik
die Entscheidung bringt, immer klarer und stärker auch die Massen durchdringt,
kann Bayern kaum mehr den Versuch machen, selbständig europäische Politik zu
treiben. Es würde heute noch sicherer als in früheren Tagen trostlos schei¬
tern, wie auch der andere Versuch zweier seiner Könige, diesen Staat zum
Mittelpunkt des künstlerischen und wissenschaftllichen Lebens in Deutschland zu
machen, zu keinem bleibenden Erfolge geführt hat. Dagegen kann Bayern, so
lange nicht große, gewaltige Erschütterungen uns den deutschen Einheitsstaat
bringen, auch dann noch, wenn vielleicht ein deutscher Bundesstaat den kleinen
und mittleren Staaten den unnöthigen Souveränetätsflitter zugestutzt haben
Wird, ein constitutioneller Musterstaat in Deutschland werden. Es hat das
Zeug dazu; möge König Ludwig der Zweite den Sinn und die Männer finden,
sein Land zu einem solchen Musterstaate zu machen.




drängte; die plötzliche Entlassung Mulzers steigerte dies Mißtrauen; Pfister-
meistcr mußte daher durchaus etwas thun, sich wieder populär zu machen.
Dazu benutzte er sehr geschickt die Frage der Abkürzung der sechsjährigen
Finanzperioden. Der verstorbene König hatte sie aufrecht erhalten gegen den
Wunsch der Abgeordnetenkammer, gegen den Rath der Mehrzahl seiner Minister,
nur vom Finanzminister gestützt. Es war kein Zweifel, daß der Landtag,
kaum versammelt, diese Frage von neuem angeregt haben würde, daß die Mi¬
nister-, vielleicht mit Inbegriff des Finanzministers, der doch auch keiner calori-
schem Starrheit sich rühmt, bei dem König die Befriedigung des allgemeinen
Wunsches befürwortet hätten, so daß dem Cabinet nichts übrig geblieben wäre,
als bescheiden die Anträge der Minister durchführen zu helfen oder sich dem
allseitigen Andringen hartnäckig zu widersetzen. Pfistermeister bot dem Mini¬
sterium mit kluger Hand ein Paroli: er ließ den König in dieser Frage die
Initiative ergreifen und sicherte dadurch sich, der Cabinetsregierung, von neuem
Einfluß und Popularität. Wenn infolge dieser Operation der Finanzminister
zurückträte, so würde seinen Abgang niemand mehr beklagen als den des Herrn
v. Zwehl; beide galten für fügsame, geschmeidige, unzuverlässige Naturen.
Anders wäre es, wenn die Intriguen des Cabinets auch die Stellung des Mi¬
nisters des Innern Neumayr erschüttern würden. Das würde, im ganzen Lande als
eine Calamität erkannt, sofort die heftigste Opposition hervorrufen und Herr Pfister¬
meister wird sich daher wohl hüten, diesen Schritt zu wagen. Ein gewisses
instinktives Gefühl aber ist es, das zselbst den Massen sagt, wie viel für den
bayrischen Staat ein Mann wie Neumayr werth ist: die Empfindung, daß er
allein von den Ministern eine lebendige Garantie für die ehrliche Handhabung
constitutioneller Grundsätze ist und daß eben diese allein dem bayrischen Staate
eine hervorragende Rolle in Deutschland verschaffen kann. In einer Zeit, in
der das Gefühl, daß nur die reale Macht in den Fragen der großen Politik
die Entscheidung bringt, immer klarer und stärker auch die Massen durchdringt,
kann Bayern kaum mehr den Versuch machen, selbständig europäische Politik zu
treiben. Es würde heute noch sicherer als in früheren Tagen trostlos schei¬
tern, wie auch der andere Versuch zweier seiner Könige, diesen Staat zum
Mittelpunkt des künstlerischen und wissenschaftllichen Lebens in Deutschland zu
machen, zu keinem bleibenden Erfolge geführt hat. Dagegen kann Bayern, so
lange nicht große, gewaltige Erschütterungen uns den deutschen Einheitsstaat
bringen, auch dann noch, wenn vielleicht ein deutscher Bundesstaat den kleinen
und mittleren Staaten den unnöthigen Souveränetätsflitter zugestutzt haben
Wird, ein constitutioneller Musterstaat in Deutschland werden. Es hat das
Zeug dazu; möge König Ludwig der Zweite den Sinn und die Männer finden,
sein Land zu einem solchen Musterstaate zu machen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/454>, abgerufen am 28.09.2024.