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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Ein solcher Herr aber war uns bis jetzt der Großherzig von Oldenburg, Er
hat ehrlich, gewissenhaft, treu dem Gesetze regiert, das Beste seines Landes
nach Kräften gewahrt, in einer schwierigen Stellung zwischen Hannover und
Preußen mehr als einmal Festigkeit und Patnotismus bewährt. Und er gehört
in der That zu den Fürsten, aus welche das Volt lange mit vollem Vertrauen
blickte.

Aber auch er ist, so scheint es, dem Schicksal verfallen, welches den Sou¬
veränen das ruhige Urtheil zu trüben pflegt, so oft es die Verfolgung eines
egoistischen Hausinteresses gilt. Und wir bedauern den falschen Schritt, welchen
der Großherzog gethan, in diesem Falle nicht nur um der Sache willen, auch
seiner selbst wegen.

Die gottorpschen Erbansprüchc auf Schleswig-Holstein werden vielleicht hier
und da eine bezahlte Feder, sie werden aber im ganzen Kreise unserer Staats¬
rechtslehrer leinen unabhängigen Charakter finden, der sie vertheidigt. Die
Rechtsfrage ist unter uns Deutschen so lange und gründlich ventilirt, sie ist in
dem letzten Jahre noch so reichlich durch Gutachten. Flugschriften und Zeitungs¬
artikel behandelt worden, daß sie für die Nation wie für die Privatübcrzeugung
der Regenten und ihrer Minister vollständig abgemacht und erledigt ist. Es ist
auch durchaus undenkbar, ja unmöglich, daß ein neues Moment -- eine unbe¬
kannte Verzichtleistungsurknnde oder dergleichen -- der ganzen Angelegenheit
eine veränderte Rechtsbasis geben könnte. Und es wird hier überhaupt nur
deshalb dies Undenkbare erwähnt, weil vor einiger Zeit in der Presse geheim-
nißvolle Andeutungen über noch unbekannte Verträge und diplomatische
Werthflücke umliefen. Jedes Moment der Frage ist durch alle Stadien der
Vergangenheit bekannt, begutachtet, erörtert. Und wenn die Ansprüche des
Großherzogs sich wirklich aus ein schlagendes Recht stützten, welches zu erkennen
für uus bis jetzt unmöglich war, so wäre ja kein Tadel herb genug, um eine
Schweigsamkeit zu kennzeichnen, welche durch drei Vierteljahre Regierungen und
Völker Europas in Ungewißheit und Verwirrung versetzte, einen verwandten
Fürsten und das Volk von Schleswig-Holstein auf einem falschen Wege vor¬
wärts treiben ließ, Krieg, verunglückte Fricdensvcrmittlungcn und wieder Krieg
über Europa ziehen ließ, ohne das entscheidende Wort zu sprechen, welches
eine ganz neue Sachlage schassen konnte.

Freilich auch ohne solche Annahme wird es schwer, das Verhalten des
Großherzogs sich und Andern zu erklären. War der Herr von der Recht¬
mäßigkeit seiner Ansprüche im vorigen Herbst überzeugt, und war er außer
Stande, was er für sein Recht hielt, dem Wohle der Nation zum Opfer zu
bringen, so war doch, so scheint uns. für ihn tin sofortiges Hervortreten und
ein öffentlicher Protest geboten. In der Zeit, in welcher Sachverständige und
Laien beflissen waren, über die Successivusfrage zur Klarheit zu kommen, wo


Ein solcher Herr aber war uns bis jetzt der Großherzig von Oldenburg, Er
hat ehrlich, gewissenhaft, treu dem Gesetze regiert, das Beste seines Landes
nach Kräften gewahrt, in einer schwierigen Stellung zwischen Hannover und
Preußen mehr als einmal Festigkeit und Patnotismus bewährt. Und er gehört
in der That zu den Fürsten, aus welche das Volt lange mit vollem Vertrauen
blickte.

Aber auch er ist, so scheint es, dem Schicksal verfallen, welches den Sou¬
veränen das ruhige Urtheil zu trüben pflegt, so oft es die Verfolgung eines
egoistischen Hausinteresses gilt. Und wir bedauern den falschen Schritt, welchen
der Großherzog gethan, in diesem Falle nicht nur um der Sache willen, auch
seiner selbst wegen.

Die gottorpschen Erbansprüchc auf Schleswig-Holstein werden vielleicht hier
und da eine bezahlte Feder, sie werden aber im ganzen Kreise unserer Staats¬
rechtslehrer leinen unabhängigen Charakter finden, der sie vertheidigt. Die
Rechtsfrage ist unter uns Deutschen so lange und gründlich ventilirt, sie ist in
dem letzten Jahre noch so reichlich durch Gutachten. Flugschriften und Zeitungs¬
artikel behandelt worden, daß sie für die Nation wie für die Privatübcrzeugung
der Regenten und ihrer Minister vollständig abgemacht und erledigt ist. Es ist
auch durchaus undenkbar, ja unmöglich, daß ein neues Moment — eine unbe¬
kannte Verzichtleistungsurknnde oder dergleichen — der ganzen Angelegenheit
eine veränderte Rechtsbasis geben könnte. Und es wird hier überhaupt nur
deshalb dies Undenkbare erwähnt, weil vor einiger Zeit in der Presse geheim-
nißvolle Andeutungen über noch unbekannte Verträge und diplomatische
Werthflücke umliefen. Jedes Moment der Frage ist durch alle Stadien der
Vergangenheit bekannt, begutachtet, erörtert. Und wenn die Ansprüche des
Großherzogs sich wirklich aus ein schlagendes Recht stützten, welches zu erkennen
für uus bis jetzt unmöglich war, so wäre ja kein Tadel herb genug, um eine
Schweigsamkeit zu kennzeichnen, welche durch drei Vierteljahre Regierungen und
Völker Europas in Ungewißheit und Verwirrung versetzte, einen verwandten
Fürsten und das Volk von Schleswig-Holstein auf einem falschen Wege vor¬
wärts treiben ließ, Krieg, verunglückte Fricdensvcrmittlungcn und wieder Krieg
über Europa ziehen ließ, ohne das entscheidende Wort zu sprechen, welches
eine ganz neue Sachlage schassen konnte.

Freilich auch ohne solche Annahme wird es schwer, das Verhalten des
Großherzogs sich und Andern zu erklären. War der Herr von der Recht¬
mäßigkeit seiner Ansprüche im vorigen Herbst überzeugt, und war er außer
Stande, was er für sein Recht hielt, dem Wohle der Nation zum Opfer zu
bringen, so war doch, so scheint uns. für ihn tin sofortiges Hervortreten und
ein öffentlicher Protest geboten. In der Zeit, in welcher Sachverständige und
Laien beflissen waren, über die Successivusfrage zur Klarheit zu kommen, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/45>, abgerufen am 28.09.2024.