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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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in der Lehre Jesu selbst als ein Fortschritt, als spätere Ausbildung, zu erkennen
gibt, war doch mehr nur in der Richtung ein Fortschritt, daß es die äußere
Verwirklichung des Christenthums als einer neuen Religion unterstützte, während
die Reinheit seines Princips nichts davon gewann. Gewiß war die Messias¬
idee die concrete Form, in weicher es allein eine neue Religion werden konnte.
Nur der Glaube an Jesus als den erschienenen Messias (Christus) war ge-
meinschaftbildend, ohne ihn wäre auch das Christenthum vielleicht nur eine
Sekte geblieben. Allein ganz abgesehen von der Bedeutung der Messiasidee,
zugegeben, daß Jesus, indem er sich mit dem von den Juden erwarteten
Retter identificirte, diesen Begriff aller particularistischen und weltlichen Attribute
entkleidet und nur ein rein geistiges Reich im Auge hatte -- dies zugegeben,
so bildete doch die Messiasidee als solche ein Band zwischen dem Judenthum
und Christenthum, welches für die Zukunft des letzteren verhängmßvoll gewesen
ist. Wie auch Jesus selbst über die Messiasidee gedacht haben mag, Thatsache
ist, daß seine Jünger sie im Sinn der jüdischen Tradition auffaßten, daß sie
zum mindesten den Gedanken an ein äußerlich aufzurichtendes Reich von dem
Gottesreiche Jesu nicht ganz zu trennen vermochten. Die Läuterung trat aber
keineswegs sofort mit dem Tode Jesu ein. Im Gegentheil hatte selbst der
Glaube an den Auferstandenen ein wesentlich jüdisches Motiv. Cs war den
Jüngern unmöglich, denjenigen, der als Verbrecher hingerichtet worden und
gestorben war, sich als den wahren Messias zu denken. Erst von seiner Wieder¬
kunft in den Wolken -- nach einer bekannten danielischcn Weissagung --
konnten sie die Bestätigung des messianischen Berufs Jesu und den Eintritt des
messianischen Reiches erwarten. Dies ist die ursprüngliche Bedeutung des Auf-
erstehungsglaubcns, der erst von Paulus zu einer Waffe gegen den Judaismus
des Urchristenthums gemacht wurde, obwohl auch er an das baldige Wieder¬
kommen des Herrn glaubte. Alle historischen Zeugnisse stimmen darin überein,
daß die erste Gemeinde bis zum Austreten des Paulus einen wesentlich judai-
sirendcn Charakter hatte; sie hielt sich an das Gesetz, forderte die Beschneidung
und wollte den Heiden das Evangelium vorenthalten, und wenn nun auch die
Energie des großen Heidcnapvsiels das Christenthum principiell vom Juden¬
thum losriß, so war in der Praxis doch das Ende des hartnäckigen Kampfes
nur ein Compromiß, bei welchem dem urchristlicher Princip nicht sein volles
Recht wurde. Die Fastengebvtc, die religiösen Ceremonien, der Glaube an
Engel und Teufel, die Anfänge der Hierarchie, dies alles sind Rechte des Juden-
thums auf christlichem Boden, die nicht blos eine Zeit lang nachwirkten, sondern
zum Theil in reicher Entfaltung bis heute und nicht blos innerhalb der katho¬
lischen Kirche sich erhalten haben.

Noch nach einer andern Seite bot eben die Messiasidee Berührungspunkte
mir vorchristlichen Ideen. Der Begriff des Messias war bei den Juden nie


in der Lehre Jesu selbst als ein Fortschritt, als spätere Ausbildung, zu erkennen
gibt, war doch mehr nur in der Richtung ein Fortschritt, daß es die äußere
Verwirklichung des Christenthums als einer neuen Religion unterstützte, während
die Reinheit seines Princips nichts davon gewann. Gewiß war die Messias¬
idee die concrete Form, in weicher es allein eine neue Religion werden konnte.
Nur der Glaube an Jesus als den erschienenen Messias (Christus) war ge-
meinschaftbildend, ohne ihn wäre auch das Christenthum vielleicht nur eine
Sekte geblieben. Allein ganz abgesehen von der Bedeutung der Messiasidee,
zugegeben, daß Jesus, indem er sich mit dem von den Juden erwarteten
Retter identificirte, diesen Begriff aller particularistischen und weltlichen Attribute
entkleidet und nur ein rein geistiges Reich im Auge hatte — dies zugegeben,
so bildete doch die Messiasidee als solche ein Band zwischen dem Judenthum
und Christenthum, welches für die Zukunft des letzteren verhängmßvoll gewesen
ist. Wie auch Jesus selbst über die Messiasidee gedacht haben mag, Thatsache
ist, daß seine Jünger sie im Sinn der jüdischen Tradition auffaßten, daß sie
zum mindesten den Gedanken an ein äußerlich aufzurichtendes Reich von dem
Gottesreiche Jesu nicht ganz zu trennen vermochten. Die Läuterung trat aber
keineswegs sofort mit dem Tode Jesu ein. Im Gegentheil hatte selbst der
Glaube an den Auferstandenen ein wesentlich jüdisches Motiv. Cs war den
Jüngern unmöglich, denjenigen, der als Verbrecher hingerichtet worden und
gestorben war, sich als den wahren Messias zu denken. Erst von seiner Wieder¬
kunft in den Wolken — nach einer bekannten danielischcn Weissagung —
konnten sie die Bestätigung des messianischen Berufs Jesu und den Eintritt des
messianischen Reiches erwarten. Dies ist die ursprüngliche Bedeutung des Auf-
erstehungsglaubcns, der erst von Paulus zu einer Waffe gegen den Judaismus
des Urchristenthums gemacht wurde, obwohl auch er an das baldige Wieder¬
kommen des Herrn glaubte. Alle historischen Zeugnisse stimmen darin überein,
daß die erste Gemeinde bis zum Austreten des Paulus einen wesentlich judai-
sirendcn Charakter hatte; sie hielt sich an das Gesetz, forderte die Beschneidung
und wollte den Heiden das Evangelium vorenthalten, und wenn nun auch die
Energie des großen Heidcnapvsiels das Christenthum principiell vom Juden¬
thum losriß, so war in der Praxis doch das Ende des hartnäckigen Kampfes
nur ein Compromiß, bei welchem dem urchristlicher Princip nicht sein volles
Recht wurde. Die Fastengebvtc, die religiösen Ceremonien, der Glaube an
Engel und Teufel, die Anfänge der Hierarchie, dies alles sind Rechte des Juden-
thums auf christlichem Boden, die nicht blos eine Zeit lang nachwirkten, sondern
zum Theil in reicher Entfaltung bis heute und nicht blos innerhalb der katho¬
lischen Kirche sich erhalten haben.

Noch nach einer andern Seite bot eben die Messiasidee Berührungspunkte
mir vorchristlichen Ideen. Der Begriff des Messias war bei den Juden nie


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[0431] in der Lehre Jesu selbst als ein Fortschritt, als spätere Ausbildung, zu erkennen gibt, war doch mehr nur in der Richtung ein Fortschritt, daß es die äußere Verwirklichung des Christenthums als einer neuen Religion unterstützte, während die Reinheit seines Princips nichts davon gewann. Gewiß war die Messias¬ idee die concrete Form, in weicher es allein eine neue Religion werden konnte. Nur der Glaube an Jesus als den erschienenen Messias (Christus) war ge- meinschaftbildend, ohne ihn wäre auch das Christenthum vielleicht nur eine Sekte geblieben. Allein ganz abgesehen von der Bedeutung der Messiasidee, zugegeben, daß Jesus, indem er sich mit dem von den Juden erwarteten Retter identificirte, diesen Begriff aller particularistischen und weltlichen Attribute entkleidet und nur ein rein geistiges Reich im Auge hatte — dies zugegeben, so bildete doch die Messiasidee als solche ein Band zwischen dem Judenthum und Christenthum, welches für die Zukunft des letzteren verhängmßvoll gewesen ist. Wie auch Jesus selbst über die Messiasidee gedacht haben mag, Thatsache ist, daß seine Jünger sie im Sinn der jüdischen Tradition auffaßten, daß sie zum mindesten den Gedanken an ein äußerlich aufzurichtendes Reich von dem Gottesreiche Jesu nicht ganz zu trennen vermochten. Die Läuterung trat aber keineswegs sofort mit dem Tode Jesu ein. Im Gegentheil hatte selbst der Glaube an den Auferstandenen ein wesentlich jüdisches Motiv. Cs war den Jüngern unmöglich, denjenigen, der als Verbrecher hingerichtet worden und gestorben war, sich als den wahren Messias zu denken. Erst von seiner Wieder¬ kunft in den Wolken — nach einer bekannten danielischcn Weissagung — konnten sie die Bestätigung des messianischen Berufs Jesu und den Eintritt des messianischen Reiches erwarten. Dies ist die ursprüngliche Bedeutung des Auf- erstehungsglaubcns, der erst von Paulus zu einer Waffe gegen den Judaismus des Urchristenthums gemacht wurde, obwohl auch er an das baldige Wieder¬ kommen des Herrn glaubte. Alle historischen Zeugnisse stimmen darin überein, daß die erste Gemeinde bis zum Austreten des Paulus einen wesentlich judai- sirendcn Charakter hatte; sie hielt sich an das Gesetz, forderte die Beschneidung und wollte den Heiden das Evangelium vorenthalten, und wenn nun auch die Energie des großen Heidcnapvsiels das Christenthum principiell vom Juden¬ thum losriß, so war in der Praxis doch das Ende des hartnäckigen Kampfes nur ein Compromiß, bei welchem dem urchristlicher Princip nicht sein volles Recht wurde. Die Fastengebvtc, die religiösen Ceremonien, der Glaube an Engel und Teufel, die Anfänge der Hierarchie, dies alles sind Rechte des Juden- thums auf christlichem Boden, die nicht blos eine Zeit lang nachwirkten, sondern zum Theil in reicher Entfaltung bis heute und nicht blos innerhalb der katho¬ lischen Kirche sich erhalten haben. Noch nach einer andern Seite bot eben die Messiasidee Berührungspunkte mir vorchristlichen Ideen. Der Begriff des Messias war bei den Juden nie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/431>, abgerufen am 28.09.2024.