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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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erscheint in Weißen Hosen, rothem Frack, Kanonenstiefeln und Napoleonshut der
Kaspar, und im Schlettenberg bei Marienberg sitzt, bewacht von einem großen
Hunde, ein goldnes Kind. Hier und da glaubt man noch an den Alp, an
Hexen und an den feurige" Drachen, in Schina kommt noch bisweilen am Jo¬
hannistag Abends sechs Uhr der sogenannte "Getreidcschneider", der über die
Ecke eines Saatstückes hinjehneidet, von welchem er dann, wenn der Bauer
drischt, den halben Nutzen hat. Um diesem vorzubeugen, nimmt man Lieb¬
stöckels!, taucht den Finger hinein und macht damit ebenfalls in der sechsten
Stunde des Johannisabends an jede Ecke des Feldes drei Kreuze auf die Erde.
Ist der Getreideschneider dagegen schon dagewesen, so hängt der Bauer, ehe
er das Korn einfährt, ein Bündel Ncißigspitzen (Maiwuchs an den Tannen)
über sein Scheunthor, drischt sobald als möglich und macht dabei mit dem
Reißigbüschel den Anfang. Der Bann wird dadurch gelöst, und der Getreide¬
schneider (es ist der fränkische Bilmetschnitter) verliert das Spiel.

Solche und ähnliche gespenstige Gestalten sind aber nur für Kinder und
alte Leute noch vorhanden. Dagegen ist anderer Aberglaube noch vielfach auch
unter Andern und zwar vorzüglich unter den Frauen im Schwange, und
namentlich wird noch mancherlei Zauber getrieben; unter den Tagen der Woche
und des Jahres giebt es glückliche und unglückliche, gewisse Dinge gelten als
Schicksalszeichen, häusig versucht man sich mit Erforschung der Zukunft durch
allerhand alte Künste, und vielfach gelten noch die Regeln der Nockenphilosophie
in Betreff gebotener und verbotener Handlungen. Im Folgenden einige be¬
sonders charakteristische Proben aus diesen Gebieten des Aberglaubens.

Das Vieh muß in Saida an einem Sonntag, Dienstag, Donnerstag oder
Sonnabend zum ersten Mal ausgetrieben werden. In Ehrenfriedersdorf und
Frohnau sind Mittwoch und Sonnabend die besten Tage zum Weizensäcn. In
Raschau meint man. daß Zank entsteht, wenn jemand Freitags Brot in den
Ofen legt, allgemein gilt der Freitag für die geeignetste Zeit zum Verschneiden
der Nägel.

Von besonderer Wichtigkeit sind im Jahre die sogenannten zwölf Nächte
der Weihnachtszeit, die in Frohnau und Naschau die "Jnnernächtc" heißen.
Der Düngerhaufen wird am Tage vor dem heiligen Abend zierlich mit der
Gabel geflochten, das ganze Haus frisch gescheuert und die Asche aus dem
Ofen genommen. Mit dem Dünger in dieser Zeit in Berührung zu kommen
bringt Mißwachs, auch darf in derselben nicht gedroschen und nicht geklöppelt
werden. In den zwölf Nächten müssen bestimmte Gerichte auf den Tisch kom¬
men, z. B. Bratwurst oder Schweinebraten mit Linsen, letztere, damit man im
folgenden Jahre viel Geld einnimmt, Hirsebrei, damit das Geld nicht ausgeht
Semmelmilch, damit die Spitzen lmbsch weiß bleiben. Rothrübcnsalat, damit
man rothe Backen behält, Süßkraut, damit die Arbeit leicht werde, vor allem


erscheint in Weißen Hosen, rothem Frack, Kanonenstiefeln und Napoleonshut der
Kaspar, und im Schlettenberg bei Marienberg sitzt, bewacht von einem großen
Hunde, ein goldnes Kind. Hier und da glaubt man noch an den Alp, an
Hexen und an den feurige» Drachen, in Schina kommt noch bisweilen am Jo¬
hannistag Abends sechs Uhr der sogenannte „Getreidcschneider", der über die
Ecke eines Saatstückes hinjehneidet, von welchem er dann, wenn der Bauer
drischt, den halben Nutzen hat. Um diesem vorzubeugen, nimmt man Lieb¬
stöckels!, taucht den Finger hinein und macht damit ebenfalls in der sechsten
Stunde des Johannisabends an jede Ecke des Feldes drei Kreuze auf die Erde.
Ist der Getreideschneider dagegen schon dagewesen, so hängt der Bauer, ehe
er das Korn einfährt, ein Bündel Ncißigspitzen (Maiwuchs an den Tannen)
über sein Scheunthor, drischt sobald als möglich und macht dabei mit dem
Reißigbüschel den Anfang. Der Bann wird dadurch gelöst, und der Getreide¬
schneider (es ist der fränkische Bilmetschnitter) verliert das Spiel.

Solche und ähnliche gespenstige Gestalten sind aber nur für Kinder und
alte Leute noch vorhanden. Dagegen ist anderer Aberglaube noch vielfach auch
unter Andern und zwar vorzüglich unter den Frauen im Schwange, und
namentlich wird noch mancherlei Zauber getrieben; unter den Tagen der Woche
und des Jahres giebt es glückliche und unglückliche, gewisse Dinge gelten als
Schicksalszeichen, häusig versucht man sich mit Erforschung der Zukunft durch
allerhand alte Künste, und vielfach gelten noch die Regeln der Nockenphilosophie
in Betreff gebotener und verbotener Handlungen. Im Folgenden einige be¬
sonders charakteristische Proben aus diesen Gebieten des Aberglaubens.

Das Vieh muß in Saida an einem Sonntag, Dienstag, Donnerstag oder
Sonnabend zum ersten Mal ausgetrieben werden. In Ehrenfriedersdorf und
Frohnau sind Mittwoch und Sonnabend die besten Tage zum Weizensäcn. In
Raschau meint man. daß Zank entsteht, wenn jemand Freitags Brot in den
Ofen legt, allgemein gilt der Freitag für die geeignetste Zeit zum Verschneiden
der Nägel.

Von besonderer Wichtigkeit sind im Jahre die sogenannten zwölf Nächte
der Weihnachtszeit, die in Frohnau und Naschau die „Jnnernächtc" heißen.
Der Düngerhaufen wird am Tage vor dem heiligen Abend zierlich mit der
Gabel geflochten, das ganze Haus frisch gescheuert und die Asche aus dem
Ofen genommen. Mit dem Dünger in dieser Zeit in Berührung zu kommen
bringt Mißwachs, auch darf in derselben nicht gedroschen und nicht geklöppelt
werden. In den zwölf Nächten müssen bestimmte Gerichte auf den Tisch kom¬
men, z. B. Bratwurst oder Schweinebraten mit Linsen, letztere, damit man im
folgenden Jahre viel Geld einnimmt, Hirsebrei, damit das Geld nicht ausgeht
Semmelmilch, damit die Spitzen lmbsch weiß bleiben. Rothrübcnsalat, damit
man rothe Backen behält, Süßkraut, damit die Arbeit leicht werde, vor allem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/397>, abgerufen am 28.09.2024.