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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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geworfenen Schiffbrüchigen zu bringen vermocht-, ja bis 1835 hatte die ganze
Insel keine Feuerspritze. Und ans Föhr, dem Mittelpunkte des friesischen Ar¬
chipels mit fast 0000 Bewohnern, giebt es noch bis diesen Tag weder eine
Buchdruckerei, noch eine Buchhandlung oder eine nennenswerthe Bibliothek.
Als ein Uebelstand, der damit zusammenhängt, muß die Einwanderung von
männlichen Dienstboten aus Jütland bezeichnet werden, die nicht selten Witt¬
wen verunglückter Schiffer heiratheten und so ein Element auf Sylt wie auf
Föhr bildeten, welches man bis dahin nicht gekannt hatte. Dieselben trugen
zur Förderung der Bildung, der Sittlichkeit und des Wohlstandes der Inseln
wenig bei, sondern brachten im Gegentheil den Gebrauch von Branntwein und
Punsch mit; doch mag zugestanden werden, daß sie friedliche und arbeitsame
Meuschen waren, wie die meisten Westjüten überhaupt, und da sie meist frie¬
sische Sprache und Sitte annahmen,, so war die Gefahr dieser Zuwanderung
für das deutsche Element nicht von Bedeutung.

In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts nahmen diese Zustände eine
andere Wendung. In dem Kriege zwischen England und Frankreich schon hatte
man gelitten, da die neutrale Flagge von beiden Seiten nicht respectirt wurde.
Jetzt brach auch der Krieg zwischen England und Dänemark aus, und damit
hatten die Seefahrten der Friesen für Jahre ein Ende. Viele geriethen in
englische Gefangenschaft und verloren zugleich ihre Schiffe und Ladungen. So
nahm der bisherige Wohlstand der Inseln mit reißender Schnelle ab, und dazu kam
noch die durch die Continentalsperre veranlaßte Theuerung vieler zum Leben jetzt für
nothwendig gehaltenen Waaren. Man mußte sich einschränken und zugleich eine
andere Beschäftigung versuchen. Die stattlichen Anzüge der Frauen, die kost¬
bare Tracht der Syltcrinne". die mächtigen Perücken, die Rocke von Sammet
oder feinem Niederländertuch, die silbernen Schuhschnallen der Capitäne ver¬
schwanden, und man begann sich in grobes wollnes oder halbwollnes Zeug
von eigner Arbeit zu kleide". Mit größerer Sorgfalt als bisher widmeten sich
auch die Männer den Geschäften der Viehzucht und des Ackerbaus, besonders
auf Föhr, so daß tue jetzt sel,r befriedigenden Zustände dieser Erwerbszweige
hier von diesem Kriege datiren.

Nach dem Frieden im Jahr 1814 lag die Schifffahrt der Nvrdsriesen im
Allgemeinen noch geraume Zeit darnieder, und wenn sie sich jetzt von diesem
Schlag erholt hat, so hat sie doch die alte Blüthe noch lange nicht wieder er¬
reicht. Seit 1807 haben nur wenige Amrumer und Halligbewohncr als Capi¬
täne zur See gedient. Die Leute auf den Halligen trieben seitdem hauptsächlich
Viehzucht, die auf Aurum Fisch-, Austern- und Robbenfang. Die Föhringcr
wendeten sich wieder mehr der Grönlandsfahrt zu. Die Spider begannen von
Neuem mit der Handelssahrt, jetzt aber fuhren sie fast nur noch für Hamburger
und altonacr Rheder und zwar meist nach Westindien und Südamerika. Einige


geworfenen Schiffbrüchigen zu bringen vermocht-, ja bis 1835 hatte die ganze
Insel keine Feuerspritze. Und ans Föhr, dem Mittelpunkte des friesischen Ar¬
chipels mit fast 0000 Bewohnern, giebt es noch bis diesen Tag weder eine
Buchdruckerei, noch eine Buchhandlung oder eine nennenswerthe Bibliothek.
Als ein Uebelstand, der damit zusammenhängt, muß die Einwanderung von
männlichen Dienstboten aus Jütland bezeichnet werden, die nicht selten Witt¬
wen verunglückter Schiffer heiratheten und so ein Element auf Sylt wie auf
Föhr bildeten, welches man bis dahin nicht gekannt hatte. Dieselben trugen
zur Förderung der Bildung, der Sittlichkeit und des Wohlstandes der Inseln
wenig bei, sondern brachten im Gegentheil den Gebrauch von Branntwein und
Punsch mit; doch mag zugestanden werden, daß sie friedliche und arbeitsame
Meuschen waren, wie die meisten Westjüten überhaupt, und da sie meist frie¬
sische Sprache und Sitte annahmen,, so war die Gefahr dieser Zuwanderung
für das deutsche Element nicht von Bedeutung.

In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts nahmen diese Zustände eine
andere Wendung. In dem Kriege zwischen England und Frankreich schon hatte
man gelitten, da die neutrale Flagge von beiden Seiten nicht respectirt wurde.
Jetzt brach auch der Krieg zwischen England und Dänemark aus, und damit
hatten die Seefahrten der Friesen für Jahre ein Ende. Viele geriethen in
englische Gefangenschaft und verloren zugleich ihre Schiffe und Ladungen. So
nahm der bisherige Wohlstand der Inseln mit reißender Schnelle ab, und dazu kam
noch die durch die Continentalsperre veranlaßte Theuerung vieler zum Leben jetzt für
nothwendig gehaltenen Waaren. Man mußte sich einschränken und zugleich eine
andere Beschäftigung versuchen. Die stattlichen Anzüge der Frauen, die kost¬
bare Tracht der Syltcrinne». die mächtigen Perücken, die Rocke von Sammet
oder feinem Niederländertuch, die silbernen Schuhschnallen der Capitäne ver¬
schwanden, und man begann sich in grobes wollnes oder halbwollnes Zeug
von eigner Arbeit zu kleide». Mit größerer Sorgfalt als bisher widmeten sich
auch die Männer den Geschäften der Viehzucht und des Ackerbaus, besonders
auf Föhr, so daß tue jetzt sel,r befriedigenden Zustände dieser Erwerbszweige
hier von diesem Kriege datiren.

Nach dem Frieden im Jahr 1814 lag die Schifffahrt der Nvrdsriesen im
Allgemeinen noch geraume Zeit darnieder, und wenn sie sich jetzt von diesem
Schlag erholt hat, so hat sie doch die alte Blüthe noch lange nicht wieder er¬
reicht. Seit 1807 haben nur wenige Amrumer und Halligbewohncr als Capi¬
täne zur See gedient. Die Leute auf den Halligen trieben seitdem hauptsächlich
Viehzucht, die auf Aurum Fisch-, Austern- und Robbenfang. Die Föhringcr
wendeten sich wieder mehr der Grönlandsfahrt zu. Die Spider begannen von
Neuem mit der Handelssahrt, jetzt aber fuhren sie fast nur noch für Hamburger
und altonacr Rheder und zwar meist nach Westindien und Südamerika. Einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/39>, abgerufen am 28.09.2024.