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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Einheit des Gepräges beider aufs Entschiedenste zu Tage; wobei es nicht aus-
geschlossen ist, daß sich in jeder Epoche abseits von dem großen und allgemei¬
nen Strom einzelne auf sich selbst ruhende Meister finden, in denen sich eine
derartige Spiegelung oder Verkörperung der gleichzeitigen socialen Richtungen
unmöglich nachweisen läßt. Den Pomp, den Hcrrscherstolz der absoluten Macht-
Vollkommenheit und gleichzeitig die aufgeblasene Unnatur der herrschenden fran¬
zösischen Gesellschaft des Zeitalters Louis des Vierzehnten findet man getreulich
in dem gefeierten Maler der Zeit, Lebrun, wieder. Die edlere, reinere Geistes¬
richtung, welcher daneben die Meister der classischen Poesie Frankreichs erwuch-
sen, mag in Poussin ihren entsprechenden Vertreter finden. Lesueur, der feine,
tiefe, von zarter, frommer Begeisterung getragene Meister dagegen steht wie ein
Fremdling unter seinen Zeitgenossen, unbeeinflußt von allem, was man als
den "Geist der Epoche" und jener Gesellschaft bezeichnen kann. Alles, was
der darauf folgenden Zeit, der Regentschaft und Ludwigs des Fünfzehnten, ihren
bestimmten Charakter giebt, lebt auch in den Malern derselben, den Wateau,
Lancret, Boucher ze., in ihren Architekten wie in ihren Bildhauern. Leben,
Empfinden, Anschaun und Kunst des damaligen Frankreich sind ein in sich durch¬
aus harmonisches und geschlossenes Ganze. Die der Revolution vorangehende
allgemeine Richtung, deren Motto die "Rückkehr zur Natur, zur Wahrheit und
Simplicität" war, hat in Grenze und Chardin ihre hochbegabten künstlerischen
Repräsentanten, und wie der revolutionären Gesellschaft David mit den Sei¬
nigen, die ganze Schule der Römerclassicität erwuchs, ist eine allbekannte kunst¬
geschichtliche Thatsache.

Hier wird die Uebereinstimmung so Vollkommen, wie nur in jener Roccoco-
periode. Die wunderliche Mischung von ernster politischer Leidenschaft und theatra¬
lischend Bedürfniß, das natürliche Denken und Fühlen in die hochpathetischen
Ausdrucksformen eines republikanischen Römerthums zu kleiden, welche jene
Gesellschaft kennzeichnet, ist aufs Genauste in dieser Kunst wiederholt. Bald
aber löst sich von der hier herrschenden und tonangebenden Gruppe eine so
ganz anders geartete, schön und tief angelegte liebenswürdige Individualität
los, Prudhomme, in der holden Schwärmerei seines Wesens, in dem seelischen
Zauber, den seine Gestalten wie seine Farbe zeigen, ist ebensowenig seiner
Umgebung verwandt, wie Lesueur der seinigen. Im Uebrigen aber geht das
falsche Römerthum. nur statt des republikanischen ein kaiserliches, so gut durch
die ganze Kunst der nächstfolgenden napoleonischen Epoche, wie durch die An¬
schauungen und Sitten der Gesellschaft. Ein neues Leben und Ringen beginnt
sich mächtig in ihr zu entfalten, so wie die schwere Last des kaiserlichen Jochs
und der Weltherrschaft von ihr genommen ist. Der mäßige Druck der bour-
bonischen Reaction ruft nur die lange völlig gebundenen Kräfte zu lebendigem
Widerstand und Gegenstreben aus. Nicht mehr genöthigt, das beste Blut auf


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Einheit des Gepräges beider aufs Entschiedenste zu Tage; wobei es nicht aus-
geschlossen ist, daß sich in jeder Epoche abseits von dem großen und allgemei¬
nen Strom einzelne auf sich selbst ruhende Meister finden, in denen sich eine
derartige Spiegelung oder Verkörperung der gleichzeitigen socialen Richtungen
unmöglich nachweisen läßt. Den Pomp, den Hcrrscherstolz der absoluten Macht-
Vollkommenheit und gleichzeitig die aufgeblasene Unnatur der herrschenden fran¬
zösischen Gesellschaft des Zeitalters Louis des Vierzehnten findet man getreulich
in dem gefeierten Maler der Zeit, Lebrun, wieder. Die edlere, reinere Geistes¬
richtung, welcher daneben die Meister der classischen Poesie Frankreichs erwuch-
sen, mag in Poussin ihren entsprechenden Vertreter finden. Lesueur, der feine,
tiefe, von zarter, frommer Begeisterung getragene Meister dagegen steht wie ein
Fremdling unter seinen Zeitgenossen, unbeeinflußt von allem, was man als
den „Geist der Epoche" und jener Gesellschaft bezeichnen kann. Alles, was
der darauf folgenden Zeit, der Regentschaft und Ludwigs des Fünfzehnten, ihren
bestimmten Charakter giebt, lebt auch in den Malern derselben, den Wateau,
Lancret, Boucher ze., in ihren Architekten wie in ihren Bildhauern. Leben,
Empfinden, Anschaun und Kunst des damaligen Frankreich sind ein in sich durch¬
aus harmonisches und geschlossenes Ganze. Die der Revolution vorangehende
allgemeine Richtung, deren Motto die „Rückkehr zur Natur, zur Wahrheit und
Simplicität" war, hat in Grenze und Chardin ihre hochbegabten künstlerischen
Repräsentanten, und wie der revolutionären Gesellschaft David mit den Sei¬
nigen, die ganze Schule der Römerclassicität erwuchs, ist eine allbekannte kunst¬
geschichtliche Thatsache.

Hier wird die Uebereinstimmung so Vollkommen, wie nur in jener Roccoco-
periode. Die wunderliche Mischung von ernster politischer Leidenschaft und theatra¬
lischend Bedürfniß, das natürliche Denken und Fühlen in die hochpathetischen
Ausdrucksformen eines republikanischen Römerthums zu kleiden, welche jene
Gesellschaft kennzeichnet, ist aufs Genauste in dieser Kunst wiederholt. Bald
aber löst sich von der hier herrschenden und tonangebenden Gruppe eine so
ganz anders geartete, schön und tief angelegte liebenswürdige Individualität
los, Prudhomme, in der holden Schwärmerei seines Wesens, in dem seelischen
Zauber, den seine Gestalten wie seine Farbe zeigen, ist ebensowenig seiner
Umgebung verwandt, wie Lesueur der seinigen. Im Uebrigen aber geht das
falsche Römerthum. nur statt des republikanischen ein kaiserliches, so gut durch
die ganze Kunst der nächstfolgenden napoleonischen Epoche, wie durch die An¬
schauungen und Sitten der Gesellschaft. Ein neues Leben und Ringen beginnt
sich mächtig in ihr zu entfalten, so wie die schwere Last des kaiserlichen Jochs
und der Weltherrschaft von ihr genommen ist. Der mäßige Druck der bour-
bonischen Reaction ruft nur die lange völlig gebundenen Kräfte zu lebendigem
Widerstand und Gegenstreben aus. Nicht mehr genöthigt, das beste Blut auf


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[0371] Einheit des Gepräges beider aufs Entschiedenste zu Tage; wobei es nicht aus- geschlossen ist, daß sich in jeder Epoche abseits von dem großen und allgemei¬ nen Strom einzelne auf sich selbst ruhende Meister finden, in denen sich eine derartige Spiegelung oder Verkörperung der gleichzeitigen socialen Richtungen unmöglich nachweisen läßt. Den Pomp, den Hcrrscherstolz der absoluten Macht- Vollkommenheit und gleichzeitig die aufgeblasene Unnatur der herrschenden fran¬ zösischen Gesellschaft des Zeitalters Louis des Vierzehnten findet man getreulich in dem gefeierten Maler der Zeit, Lebrun, wieder. Die edlere, reinere Geistes¬ richtung, welcher daneben die Meister der classischen Poesie Frankreichs erwuch- sen, mag in Poussin ihren entsprechenden Vertreter finden. Lesueur, der feine, tiefe, von zarter, frommer Begeisterung getragene Meister dagegen steht wie ein Fremdling unter seinen Zeitgenossen, unbeeinflußt von allem, was man als den „Geist der Epoche" und jener Gesellschaft bezeichnen kann. Alles, was der darauf folgenden Zeit, der Regentschaft und Ludwigs des Fünfzehnten, ihren bestimmten Charakter giebt, lebt auch in den Malern derselben, den Wateau, Lancret, Boucher ze., in ihren Architekten wie in ihren Bildhauern. Leben, Empfinden, Anschaun und Kunst des damaligen Frankreich sind ein in sich durch¬ aus harmonisches und geschlossenes Ganze. Die der Revolution vorangehende allgemeine Richtung, deren Motto die „Rückkehr zur Natur, zur Wahrheit und Simplicität" war, hat in Grenze und Chardin ihre hochbegabten künstlerischen Repräsentanten, und wie der revolutionären Gesellschaft David mit den Sei¬ nigen, die ganze Schule der Römerclassicität erwuchs, ist eine allbekannte kunst¬ geschichtliche Thatsache. Hier wird die Uebereinstimmung so Vollkommen, wie nur in jener Roccoco- periode. Die wunderliche Mischung von ernster politischer Leidenschaft und theatra¬ lischend Bedürfniß, das natürliche Denken und Fühlen in die hochpathetischen Ausdrucksformen eines republikanischen Römerthums zu kleiden, welche jene Gesellschaft kennzeichnet, ist aufs Genauste in dieser Kunst wiederholt. Bald aber löst sich von der hier herrschenden und tonangebenden Gruppe eine so ganz anders geartete, schön und tief angelegte liebenswürdige Individualität los, Prudhomme, in der holden Schwärmerei seines Wesens, in dem seelischen Zauber, den seine Gestalten wie seine Farbe zeigen, ist ebensowenig seiner Umgebung verwandt, wie Lesueur der seinigen. Im Uebrigen aber geht das falsche Römerthum. nur statt des republikanischen ein kaiserliches, so gut durch die ganze Kunst der nächstfolgenden napoleonischen Epoche, wie durch die An¬ schauungen und Sitten der Gesellschaft. Ein neues Leben und Ringen beginnt sich mächtig in ihr zu entfalten, so wie die schwere Last des kaiserlichen Jochs und der Weltherrschaft von ihr genommen ist. Der mäßige Druck der bour- bonischen Reaction ruft nur die lange völlig gebundenen Kräfte zu lebendigem Widerstand und Gegenstreben aus. Nicht mehr genöthigt, das beste Blut auf 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/371>, abgerufen am 28.09.2024.