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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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schiedenen Bezirke. Gegenüber dem großen Hafen erhob sich das Augusteum,
ein weiter Tempelbezirk mit Propyläen, Säulen, Portiken, Bibliotheken, Hainen,
voll von Weihgeschenken, Statuen und Gemälden. Noch weit großartiger und
herrlicher aber war das Serapeum, das allein dem Capitol an Größe und
Pracht nachstehen mochte. Die Bevölkerung, die wohl zwischen einer halben
und einer ganzen Million schwankte, bestand theils aus Aegyptern, Griechen
und Juden, theils aus einer Mischlingsrace. die vorzüglich aus den beiden er¬
sten Nationen hervorgegangen war. Römer und andere Europäer müssen, ab¬
gesehen von der starken Garnison und dem großen Beamtenpersonal, stets in
beträchtlicher Zahl vorübergehend oder auf die Dauer ansässig gewesen sein.
Dazu führte der Welthandel, den die beispiellos günstige Lage der Stadt her¬
vorgerufen, die afrikanischen und asiatischen Völkerschaften hier wie in keiner
andern Stadt der Erde aus den weitesten Fernen zusammen: Neger aus Jn-
nerafrika und Araber sah man hier neben Scythen, Persern und Indern. Ka¬
rawanen und Handelsflotten brachten jahraus, jahrein die Schätze des
Südens und Ostens hierher. Das Köstlichste und Seltenste, was die Welt
kannte, lagerte hier in Massen. Goldstaub, Elfenbein und Schildkrötenschalen
aus dem Troglodytcnlande, Gewürze aus Arabien, Perlen vom persischen Meer¬
busen, Edelsteine und Byssus aus Indien, Seide aus China -- alle diese und
andere Waaren, meist von der höchsten Kostbarkeit, wurden hier aufs Neue
verladen. Neben diesem Welthandel hatte Alexandrien auch eine bedeutende
Industrie, und die dortigen Webstuhle lieferten die feinsten Stoffe aus Leinen
und Byssus, die Glasbläsereien die künstlichsten und theuersten Gläser in allen
Gestalten und Farben, die Papyrusfabriken alle Arten Papier. Die rastlose
Thätigkeit einer so ungeheuren erwerbenden, arbeitenden und handeltreibenden
Bevölkerung imponirte um so mehr, wenn man es mit d<in müssiggängcrischen
und unproductiven Gewühl und Gewimmel Roms verglich. "Niemand," so
schrieb Hadrian an seinen Schwager Hadrian bewundernd, "ist hier unthätig,
jeder treibt ein Gewerbe. Die Podagristen haben zu schaffen, die Blinden zu
thun, nicht einmal wer das Chiragra hat, geht müssig. Das Geld ist ihr Gott,
ihn beten Juden, Christen und alle andere an."

Unter den verschiedenen Classen von Reisenden, welche die Größe, die
Pracht und das Nationengewirr Alexandrias anzog, verdienen diejenigen besondre
Erwähnung, welche dort Genesung, und diejenigen, die wissenschaftliche Beleh¬
rung suchten. Unter dem milden Himmel, wo nie Schnee siel und auch im
Winter die Rosen blühten, hoffte mancher Lungenkranke sich ausheilen zu kön¬
nen. Auch waren die Aerzte Alexandriens berühmt, und sowohl deshalb als
weil man in den dortigen Arzneischulen die beste Gelegenheit zur Ausbildung
in der Heilkunde fand, hielten sich stets zahlreiche Jünger dieser Kunst hier


Grenzboten III. 1864. 37

schiedenen Bezirke. Gegenüber dem großen Hafen erhob sich das Augusteum,
ein weiter Tempelbezirk mit Propyläen, Säulen, Portiken, Bibliotheken, Hainen,
voll von Weihgeschenken, Statuen und Gemälden. Noch weit großartiger und
herrlicher aber war das Serapeum, das allein dem Capitol an Größe und
Pracht nachstehen mochte. Die Bevölkerung, die wohl zwischen einer halben
und einer ganzen Million schwankte, bestand theils aus Aegyptern, Griechen
und Juden, theils aus einer Mischlingsrace. die vorzüglich aus den beiden er¬
sten Nationen hervorgegangen war. Römer und andere Europäer müssen, ab¬
gesehen von der starken Garnison und dem großen Beamtenpersonal, stets in
beträchtlicher Zahl vorübergehend oder auf die Dauer ansässig gewesen sein.
Dazu führte der Welthandel, den die beispiellos günstige Lage der Stadt her¬
vorgerufen, die afrikanischen und asiatischen Völkerschaften hier wie in keiner
andern Stadt der Erde aus den weitesten Fernen zusammen: Neger aus Jn-
nerafrika und Araber sah man hier neben Scythen, Persern und Indern. Ka¬
rawanen und Handelsflotten brachten jahraus, jahrein die Schätze des
Südens und Ostens hierher. Das Köstlichste und Seltenste, was die Welt
kannte, lagerte hier in Massen. Goldstaub, Elfenbein und Schildkrötenschalen
aus dem Troglodytcnlande, Gewürze aus Arabien, Perlen vom persischen Meer¬
busen, Edelsteine und Byssus aus Indien, Seide aus China — alle diese und
andere Waaren, meist von der höchsten Kostbarkeit, wurden hier aufs Neue
verladen. Neben diesem Welthandel hatte Alexandrien auch eine bedeutende
Industrie, und die dortigen Webstuhle lieferten die feinsten Stoffe aus Leinen
und Byssus, die Glasbläsereien die künstlichsten und theuersten Gläser in allen
Gestalten und Farben, die Papyrusfabriken alle Arten Papier. Die rastlose
Thätigkeit einer so ungeheuren erwerbenden, arbeitenden und handeltreibenden
Bevölkerung imponirte um so mehr, wenn man es mit d<in müssiggängcrischen
und unproductiven Gewühl und Gewimmel Roms verglich. „Niemand," so
schrieb Hadrian an seinen Schwager Hadrian bewundernd, „ist hier unthätig,
jeder treibt ein Gewerbe. Die Podagristen haben zu schaffen, die Blinden zu
thun, nicht einmal wer das Chiragra hat, geht müssig. Das Geld ist ihr Gott,
ihn beten Juden, Christen und alle andere an."

Unter den verschiedenen Classen von Reisenden, welche die Größe, die
Pracht und das Nationengewirr Alexandrias anzog, verdienen diejenigen besondre
Erwähnung, welche dort Genesung, und diejenigen, die wissenschaftliche Beleh¬
rung suchten. Unter dem milden Himmel, wo nie Schnee siel und auch im
Winter die Rosen blühten, hoffte mancher Lungenkranke sich ausheilen zu kön¬
nen. Auch waren die Aerzte Alexandriens berühmt, und sowohl deshalb als
weil man in den dortigen Arzneischulen die beste Gelegenheit zur Ausbildung
in der Heilkunde fand, hielten sich stets zahlreiche Jünger dieser Kunst hier


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[0297] schiedenen Bezirke. Gegenüber dem großen Hafen erhob sich das Augusteum, ein weiter Tempelbezirk mit Propyläen, Säulen, Portiken, Bibliotheken, Hainen, voll von Weihgeschenken, Statuen und Gemälden. Noch weit großartiger und herrlicher aber war das Serapeum, das allein dem Capitol an Größe und Pracht nachstehen mochte. Die Bevölkerung, die wohl zwischen einer halben und einer ganzen Million schwankte, bestand theils aus Aegyptern, Griechen und Juden, theils aus einer Mischlingsrace. die vorzüglich aus den beiden er¬ sten Nationen hervorgegangen war. Römer und andere Europäer müssen, ab¬ gesehen von der starken Garnison und dem großen Beamtenpersonal, stets in beträchtlicher Zahl vorübergehend oder auf die Dauer ansässig gewesen sein. Dazu führte der Welthandel, den die beispiellos günstige Lage der Stadt her¬ vorgerufen, die afrikanischen und asiatischen Völkerschaften hier wie in keiner andern Stadt der Erde aus den weitesten Fernen zusammen: Neger aus Jn- nerafrika und Araber sah man hier neben Scythen, Persern und Indern. Ka¬ rawanen und Handelsflotten brachten jahraus, jahrein die Schätze des Südens und Ostens hierher. Das Köstlichste und Seltenste, was die Welt kannte, lagerte hier in Massen. Goldstaub, Elfenbein und Schildkrötenschalen aus dem Troglodytcnlande, Gewürze aus Arabien, Perlen vom persischen Meer¬ busen, Edelsteine und Byssus aus Indien, Seide aus China — alle diese und andere Waaren, meist von der höchsten Kostbarkeit, wurden hier aufs Neue verladen. Neben diesem Welthandel hatte Alexandrien auch eine bedeutende Industrie, und die dortigen Webstuhle lieferten die feinsten Stoffe aus Leinen und Byssus, die Glasbläsereien die künstlichsten und theuersten Gläser in allen Gestalten und Farben, die Papyrusfabriken alle Arten Papier. Die rastlose Thätigkeit einer so ungeheuren erwerbenden, arbeitenden und handeltreibenden Bevölkerung imponirte um so mehr, wenn man es mit d<in müssiggängcrischen und unproductiven Gewühl und Gewimmel Roms verglich. „Niemand," so schrieb Hadrian an seinen Schwager Hadrian bewundernd, „ist hier unthätig, jeder treibt ein Gewerbe. Die Podagristen haben zu schaffen, die Blinden zu thun, nicht einmal wer das Chiragra hat, geht müssig. Das Geld ist ihr Gott, ihn beten Juden, Christen und alle andere an." Unter den verschiedenen Classen von Reisenden, welche die Größe, die Pracht und das Nationengewirr Alexandrias anzog, verdienen diejenigen besondre Erwähnung, welche dort Genesung, und diejenigen, die wissenschaftliche Beleh¬ rung suchten. Unter dem milden Himmel, wo nie Schnee siel und auch im Winter die Rosen blühten, hoffte mancher Lungenkranke sich ausheilen zu kön¬ nen. Auch waren die Aerzte Alexandriens berühmt, und sowohl deshalb als weil man in den dortigen Arzneischulen die beste Gelegenheit zur Ausbildung in der Heilkunde fand, hielten sich stets zahlreiche Jünger dieser Kunst hier Grenzboten III. 1864. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/297>, abgerufen am 28.09.2024.