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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Vorsehung berufene Märtyrer oder Sieger hervortritt und jene Widersacher
durch eine That vertilgt, die dem Zuschauer theils unsichtbar, theils unbegreiflich
bleibt. Bodmers hier einschlägige vaterländische Schauspiele sind betitelt:

Geßlers Tod, oder das erlegte Raubthier. Schauspiel. 1775. 8". Seiten 14.

Der alte Heinrich von Melchthal, oder die ausgetretenen Augen. Schau¬
spiel. 1773. 8°. Seiten 18.

Der Haß der Tyranney und nicht der Person, oder Sarne durch List ein¬
genommen. 1775. S. 24.

Wilhelm Tell, oder der gefährliche Schuß. 1775. S. 15.

Das letztgenannte Stück hat sieben Auftritte. Der Schuß nach dem Apfel
geht hinter der Bühne vor sich. Ein kurzer Dialog zwischen Geßler und Tell
folgt hier als eine Probe alles Uebrigen, wobei nicht zu vergessen, daß auch
dieses Gespräch nichts ist als eine rohe Nachahmung des bekannten Dialogs
Falstaffs und des Prinzen in Shakespeares Heinrichen.


Geßler:

Was kannst du?

Das Steuer halten, mit der Armbrust schießen.


Wilhelm:
Geßler:

Was schießest du?


Wilhelm:

Enten, Auerhähnen, Rehe.


Geßler:

Das sind meine Thiere; du bist ein Wilddieb und hast das Leben

verschuldet.


Wilhelm:

Herr ich habe für eure Küche geschossen, wenn der. fette Mann,

der in derselben regiert, es mir befohlen hat.

Bist du verheirathet?


Geßler:
Wilhelm:

Ja, lieber Herr, mit einem Weibsbilde. Es sind itzt acht Jahre,

daß ich das Joch trage.


Geßler:

Mit einem Weibsbilde? Wunderbar! -- Hast du Kinder?

Mein Weib ist nur einmal in die Wochen gekommen, mit einem


Wilhelm:

Knaben; sie sagt, daß ich sein Vater sei, und ich glaube es auf ihre Ehre.


Geßler:

Was that dir die Mütze, daß du das Knie nicht bögest?


Wilhelm:

Ich ging daher und pfiff; unterm Pfeifen vergaß ich, daß die

Mütze Augen hätte. Befehlet Ihr. so geh ich den Augenblick und scharre vor
ihr so viel Knicksüße, als wenn ein großer Kopf in der Mütze säße u. f. w. --

Würdiger gedacht, obwohl nicht mit besserer dramatischer Einsicht be¬
handelt ist:

Wilhelm Tell. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Joseph Ignaz
Zimmermann. Basel 1777. 8°. Seiten 92.

Zimmermann, 1737 zu Luzern geboren, war daselbst Jesuit und verfaßte
wahrscheinlich sein Trauerspiel für das luzerner Schultheater. Die berner Re¬
gierung belohnte ihn für sein vaterländisches Schauspiel Petermann von Gun-
doldingen, er trat aus dem Orden und wohl auch über zur reformirten Kirche;


Vorsehung berufene Märtyrer oder Sieger hervortritt und jene Widersacher
durch eine That vertilgt, die dem Zuschauer theils unsichtbar, theils unbegreiflich
bleibt. Bodmers hier einschlägige vaterländische Schauspiele sind betitelt:

Geßlers Tod, oder das erlegte Raubthier. Schauspiel. 1775. 8". Seiten 14.

Der alte Heinrich von Melchthal, oder die ausgetretenen Augen. Schau¬
spiel. 1773. 8°. Seiten 18.

Der Haß der Tyranney und nicht der Person, oder Sarne durch List ein¬
genommen. 1775. S. 24.

Wilhelm Tell, oder der gefährliche Schuß. 1775. S. 15.

Das letztgenannte Stück hat sieben Auftritte. Der Schuß nach dem Apfel
geht hinter der Bühne vor sich. Ein kurzer Dialog zwischen Geßler und Tell
folgt hier als eine Probe alles Uebrigen, wobei nicht zu vergessen, daß auch
dieses Gespräch nichts ist als eine rohe Nachahmung des bekannten Dialogs
Falstaffs und des Prinzen in Shakespeares Heinrichen.


Geßler:

Was kannst du?

Das Steuer halten, mit der Armbrust schießen.


Wilhelm:
Geßler:

Was schießest du?


Wilhelm:

Enten, Auerhähnen, Rehe.


Geßler:

Das sind meine Thiere; du bist ein Wilddieb und hast das Leben

verschuldet.


Wilhelm:

Herr ich habe für eure Küche geschossen, wenn der. fette Mann,

der in derselben regiert, es mir befohlen hat.

Bist du verheirathet?


Geßler:
Wilhelm:

Ja, lieber Herr, mit einem Weibsbilde. Es sind itzt acht Jahre,

daß ich das Joch trage.


Geßler:

Mit einem Weibsbilde? Wunderbar! — Hast du Kinder?

Mein Weib ist nur einmal in die Wochen gekommen, mit einem


Wilhelm:

Knaben; sie sagt, daß ich sein Vater sei, und ich glaube es auf ihre Ehre.


Geßler:

Was that dir die Mütze, daß du das Knie nicht bögest?


Wilhelm:

Ich ging daher und pfiff; unterm Pfeifen vergaß ich, daß die

Mütze Augen hätte. Befehlet Ihr. so geh ich den Augenblick und scharre vor
ihr so viel Knicksüße, als wenn ein großer Kopf in der Mütze säße u. f. w. —

Würdiger gedacht, obwohl nicht mit besserer dramatischer Einsicht be¬
handelt ist:

Wilhelm Tell. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Joseph Ignaz
Zimmermann. Basel 1777. 8°. Seiten 92.

Zimmermann, 1737 zu Luzern geboren, war daselbst Jesuit und verfaßte
wahrscheinlich sein Trauerspiel für das luzerner Schultheater. Die berner Re¬
gierung belohnte ihn für sein vaterländisches Schauspiel Petermann von Gun-
doldingen, er trat aus dem Orden und wohl auch über zur reformirten Kirche;


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[0260] Vorsehung berufene Märtyrer oder Sieger hervortritt und jene Widersacher durch eine That vertilgt, die dem Zuschauer theils unsichtbar, theils unbegreiflich bleibt. Bodmers hier einschlägige vaterländische Schauspiele sind betitelt: Geßlers Tod, oder das erlegte Raubthier. Schauspiel. 1775. 8". Seiten 14. Der alte Heinrich von Melchthal, oder die ausgetretenen Augen. Schau¬ spiel. 1773. 8°. Seiten 18. Der Haß der Tyranney und nicht der Person, oder Sarne durch List ein¬ genommen. 1775. S. 24. Wilhelm Tell, oder der gefährliche Schuß. 1775. S. 15. Das letztgenannte Stück hat sieben Auftritte. Der Schuß nach dem Apfel geht hinter der Bühne vor sich. Ein kurzer Dialog zwischen Geßler und Tell folgt hier als eine Probe alles Uebrigen, wobei nicht zu vergessen, daß auch dieses Gespräch nichts ist als eine rohe Nachahmung des bekannten Dialogs Falstaffs und des Prinzen in Shakespeares Heinrichen. Geßler: Was kannst du? Das Steuer halten, mit der Armbrust schießen. Wilhelm: Geßler: Was schießest du? Wilhelm: Enten, Auerhähnen, Rehe. Geßler: Das sind meine Thiere; du bist ein Wilddieb und hast das Leben verschuldet. Wilhelm: Herr ich habe für eure Küche geschossen, wenn der. fette Mann, der in derselben regiert, es mir befohlen hat. Bist du verheirathet? Geßler: Wilhelm: Ja, lieber Herr, mit einem Weibsbilde. Es sind itzt acht Jahre, daß ich das Joch trage. Geßler: Mit einem Weibsbilde? Wunderbar! — Hast du Kinder? Mein Weib ist nur einmal in die Wochen gekommen, mit einem Wilhelm: Knaben; sie sagt, daß ich sein Vater sei, und ich glaube es auf ihre Ehre. Geßler: Was that dir die Mütze, daß du das Knie nicht bögest? Wilhelm: Ich ging daher und pfiff; unterm Pfeifen vergaß ich, daß die Mütze Augen hätte. Befehlet Ihr. so geh ich den Augenblick und scharre vor ihr so viel Knicksüße, als wenn ein großer Kopf in der Mütze säße u. f. w. — Würdiger gedacht, obwohl nicht mit besserer dramatischer Einsicht be¬ handelt ist: Wilhelm Tell. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Joseph Ignaz Zimmermann. Basel 1777. 8°. Seiten 92. Zimmermann, 1737 zu Luzern geboren, war daselbst Jesuit und verfaßte wahrscheinlich sein Trauerspiel für das luzerner Schultheater. Die berner Re¬ gierung belohnte ihn für sein vaterländisches Schauspiel Petermann von Gun- doldingen, er trat aus dem Orden und wohl auch über zur reformirten Kirche;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/260>, abgerufen am 28.09.2024.