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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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du Tcrrail oder der Gcisterbeschwörer Squire. Mit ebensoviel Sachkenntniß als
Anschaulichkeit und Lebendigkeit beschreibt er uns die Feste des Imperialismus, die
Volksconcertc, Besuche im Jnvalidendom, die neuen Boulevards, das Hotel Castel¬
lane, das Institut de France und hunderterlei andere Dinge. Als Probe der vielen
hübschen Anekdoten, die er mittheilt, mögen hier einige von dem bekannten origi¬
nellen Marschall Kastellane nacherzählt werden. Wo ein Soldat um einen halben
Fuß aus dem Glied hervortrat, wo einer sein Mcssingzeug nicht recht geputzt hatte,
wo ein Käppi schief saß, dictirte er sofort Arrest. Doch war er bei Soldaten und
Offizieren sehr beliebt und nicht weniger bei der Straßenjugend von Lyon, seiner
Garnison. Einmal hätte er einen jungen Soldaten wegen einer Kleinigkeit acht
Tage einsperren lassen. Der Betreffende brütet Rache, und als bald darauf Revue
im Feuer ist, ladet er eine Kugel in sein Gewehr und schießt auf den nicht weit
von ihm haltenden Marschall. Die Kugel geht diesem durch den Hut. Sofort
sprengt er mit zwei Sätzen vor die Front und ruft entrüstet aus: "Welch ein
Lump, der seinen Mann aus zwanzig Schritte verfehlt!" Er vertuschte übrigens
später die Sache, ließ den Soldaten kommen, redete ihm ins Gewissen, und der
Bursche wurde ihm nachher auf Tod und Leben ergeben. Ein andermal hatte
sich ein Barbier in Lyon gerühmt, wenn er ihn nur einmal zu rasiren kriegte,
"e"z in-iglurcl av (^stLllcmö" (der Marschall hatte soeben den Aufstand in Lyon
niedergeschlagen), so schnitte er ihm sicherlich den Hals ab. Tags darauf erscheint
der Marschall, dem dies hinterbracht worden, in der Boutiquc des Barbiers in voller
Uniform, setzt sich und verlangt rasirt zu werden. Der Barbier wird etwas bedenk¬
lich über den vornehmen Besuch, seist aber doch seinen Kunden ein, schärft sein
Messer und beginnt zu schaben. Mitten in der Arbeit aber fährt ihn Castellane
plötzlich an: "Nun, so schneide doch los, Hallunke! Schneide mir doch den Hals
ab, wie du gestern dich vermessen hast!" Der Vertilger der Bärte ist mehr todt als
lebendig, er fällt dem Marschall fast zu Füßen und fängt bitterlich zu weinen an.
Castellane lachte, beschwichtigte ihn und setzte freundlich hinzu: "Schon gut, schon
gut. ich bin nicht mehr böse. Aber jetzt mach mich fertig, und nimm dich in Acht,
daß du mich nicht schneidest." Er gab ihm dann einen Louisdor und ging davon.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von C. E. Elberr in Leipzig.

du Tcrrail oder der Gcisterbeschwörer Squire. Mit ebensoviel Sachkenntniß als
Anschaulichkeit und Lebendigkeit beschreibt er uns die Feste des Imperialismus, die
Volksconcertc, Besuche im Jnvalidendom, die neuen Boulevards, das Hotel Castel¬
lane, das Institut de France und hunderterlei andere Dinge. Als Probe der vielen
hübschen Anekdoten, die er mittheilt, mögen hier einige von dem bekannten origi¬
nellen Marschall Kastellane nacherzählt werden. Wo ein Soldat um einen halben
Fuß aus dem Glied hervortrat, wo einer sein Mcssingzeug nicht recht geputzt hatte,
wo ein Käppi schief saß, dictirte er sofort Arrest. Doch war er bei Soldaten und
Offizieren sehr beliebt und nicht weniger bei der Straßenjugend von Lyon, seiner
Garnison. Einmal hätte er einen jungen Soldaten wegen einer Kleinigkeit acht
Tage einsperren lassen. Der Betreffende brütet Rache, und als bald darauf Revue
im Feuer ist, ladet er eine Kugel in sein Gewehr und schießt auf den nicht weit
von ihm haltenden Marschall. Die Kugel geht diesem durch den Hut. Sofort
sprengt er mit zwei Sätzen vor die Front und ruft entrüstet aus: „Welch ein
Lump, der seinen Mann aus zwanzig Schritte verfehlt!" Er vertuschte übrigens
später die Sache, ließ den Soldaten kommen, redete ihm ins Gewissen, und der
Bursche wurde ihm nachher auf Tod und Leben ergeben. Ein andermal hatte
sich ein Barbier in Lyon gerühmt, wenn er ihn nur einmal zu rasiren kriegte,
„e«z in-iglurcl av (^stLllcmö" (der Marschall hatte soeben den Aufstand in Lyon
niedergeschlagen), so schnitte er ihm sicherlich den Hals ab. Tags darauf erscheint
der Marschall, dem dies hinterbracht worden, in der Boutiquc des Barbiers in voller
Uniform, setzt sich und verlangt rasirt zu werden. Der Barbier wird etwas bedenk¬
lich über den vornehmen Besuch, seist aber doch seinen Kunden ein, schärft sein
Messer und beginnt zu schaben. Mitten in der Arbeit aber fährt ihn Castellane
plötzlich an: „Nun, so schneide doch los, Hallunke! Schneide mir doch den Hals
ab, wie du gestern dich vermessen hast!" Der Vertilger der Bärte ist mehr todt als
lebendig, er fällt dem Marschall fast zu Füßen und fängt bitterlich zu weinen an.
Castellane lachte, beschwichtigte ihn und setzte freundlich hinzu: „Schon gut, schon
gut. ich bin nicht mehr böse. Aber jetzt mach mich fertig, und nimm dich in Acht,
daß du mich nicht schneidest." Er gab ihm dann einen Louisdor und ging davon.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elberr in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/168>, abgerufen am 28.09.2024.