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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Mauren aus Spanien vertrieben wurden, wo sie längst die rauhen und ab¬
gehärteten Sitten ihrer Ahnen vergessen hatten, ließen sich viele ebenfalls in
diesen Städten nieder, und zu ihnen kamen, als drittes Element, die Juden,
die derselbe blinde Glaubenseifer über die Meerenge von Gibraltar jagte. So
entstand eine Bevölkerung, die im schroffen Gegensatz zu den Berbern des
Innern steht, selbst wo diese gemischten Blutes sind, und von ihnen als feige
und verweichlicht verachtet wird.

Neben den Berbern im südwestlichen Winkel des Landes wohnen sehr
dunkelfarbige Stämme, wohl mit Negerblut gemischt als ausnehmend kriegerisch,
kräftig und zuverlässig gerühmt, während in den weiten Wüstenflächen südlich
vom Atlas Zeltbewohncr und Hirten nomadisirend herumstreifen. Alle diese
Völkerschaften, ansässige wie nvmadisirende, aber die in den Küstenstädten
wohnhaften stets ausgenommen, leben jetzt noch, wie vor Jahrtausenden, in
einer Art Clanverfassung und werden von erblichen Scheichs oder von den
Versammlungen der Aeltesten oder Angesehensten regiert. Diese Stämme
heißen Kabylas, woher die Europäer diesen Völkerschaften den Namen Kabylen
gegeben haben, den sie selbst nicht führen.

Dieses Völkergemisch beherrscht der Kaiser oder Sultan von Marokko mit
unumschränkter Gewalt, jedoch nur dem Namen nach; denn thatsächlich reicht
seine Herrschaft nicht weiter als seine Macht, und diese kann er bei weitem
nicht überall und immer zur Geltung bringen. Selbst die Zahlung von Tribut,
das einzige Zeichen von Unterwürfigkeit, welches viele der Stämme, nament¬
lich die entlegneren, zu geben geneigt sind, erfolgt oft widerwillig, und häusig
veranlaßt das Eintreiben Aufstände. Wäre der Kaiser nicht zugleich als Nach¬
komme des Propheten Oberhaupt der Kirche, so wäre er längst gestürzt; aber
dieses religiöse Band knüpft seine Unterthanen fester an ihn, als die materielle
Macht.

Es kann dies kaum anders sein in einem Staate, wo jeder männliche
Bewohner bewaffnet und kriegsgeübt ist, aber dem Oberhaupt seines Stammes
viel eher Gehorsam schuldig zu sein glaubt, als dem Kaiser. Dazu kommt
noch, daß dieser nicht einmal über eine von Stammeseinwirkungen unabhängige
Reichs- und Hausmacht verfügt, mit der er den Widerstand wenigstens jedes ein¬
zelnen und auch des mächtigsten Stammes niederschlagen könnte. Ein Anfang
dazu ist zwar gemacht, aber diese Haustruppcn sind theils zu schwach an Zahl,
theils zu sehr von andern Thätigkeiten in Anspruch genommen, als daß sie
mit ausreichender Kraft gegen widerspenstige Stämme verwendet werden könn¬
ten. Diese Haustruppen bestehen aus der sogenannten schwarzen und weißen
Garde und einer Art Landmiliz, von den Einheimischen der Magsen genannt.
Die schwarze Garde, so geheißen, weil sie früher ausschließlich aus Negern
bestand, was aber jetzt nicht mehr der Fall ist, führt bei den Marokkanern


Mauren aus Spanien vertrieben wurden, wo sie längst die rauhen und ab¬
gehärteten Sitten ihrer Ahnen vergessen hatten, ließen sich viele ebenfalls in
diesen Städten nieder, und zu ihnen kamen, als drittes Element, die Juden,
die derselbe blinde Glaubenseifer über die Meerenge von Gibraltar jagte. So
entstand eine Bevölkerung, die im schroffen Gegensatz zu den Berbern des
Innern steht, selbst wo diese gemischten Blutes sind, und von ihnen als feige
und verweichlicht verachtet wird.

Neben den Berbern im südwestlichen Winkel des Landes wohnen sehr
dunkelfarbige Stämme, wohl mit Negerblut gemischt als ausnehmend kriegerisch,
kräftig und zuverlässig gerühmt, während in den weiten Wüstenflächen südlich
vom Atlas Zeltbewohncr und Hirten nomadisirend herumstreifen. Alle diese
Völkerschaften, ansässige wie nvmadisirende, aber die in den Küstenstädten
wohnhaften stets ausgenommen, leben jetzt noch, wie vor Jahrtausenden, in
einer Art Clanverfassung und werden von erblichen Scheichs oder von den
Versammlungen der Aeltesten oder Angesehensten regiert. Diese Stämme
heißen Kabylas, woher die Europäer diesen Völkerschaften den Namen Kabylen
gegeben haben, den sie selbst nicht führen.

Dieses Völkergemisch beherrscht der Kaiser oder Sultan von Marokko mit
unumschränkter Gewalt, jedoch nur dem Namen nach; denn thatsächlich reicht
seine Herrschaft nicht weiter als seine Macht, und diese kann er bei weitem
nicht überall und immer zur Geltung bringen. Selbst die Zahlung von Tribut,
das einzige Zeichen von Unterwürfigkeit, welches viele der Stämme, nament¬
lich die entlegneren, zu geben geneigt sind, erfolgt oft widerwillig, und häusig
veranlaßt das Eintreiben Aufstände. Wäre der Kaiser nicht zugleich als Nach¬
komme des Propheten Oberhaupt der Kirche, so wäre er längst gestürzt; aber
dieses religiöse Band knüpft seine Unterthanen fester an ihn, als die materielle
Macht.

Es kann dies kaum anders sein in einem Staate, wo jeder männliche
Bewohner bewaffnet und kriegsgeübt ist, aber dem Oberhaupt seines Stammes
viel eher Gehorsam schuldig zu sein glaubt, als dem Kaiser. Dazu kommt
noch, daß dieser nicht einmal über eine von Stammeseinwirkungen unabhängige
Reichs- und Hausmacht verfügt, mit der er den Widerstand wenigstens jedes ein¬
zelnen und auch des mächtigsten Stammes niederschlagen könnte. Ein Anfang
dazu ist zwar gemacht, aber diese Haustruppcn sind theils zu schwach an Zahl,
theils zu sehr von andern Thätigkeiten in Anspruch genommen, als daß sie
mit ausreichender Kraft gegen widerspenstige Stämme verwendet werden könn¬
ten. Diese Haustruppen bestehen aus der sogenannten schwarzen und weißen
Garde und einer Art Landmiliz, von den Einheimischen der Magsen genannt.
Die schwarze Garde, so geheißen, weil sie früher ausschließlich aus Negern
bestand, was aber jetzt nicht mehr der Fall ist, führt bei den Marokkanern


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[0143] Mauren aus Spanien vertrieben wurden, wo sie längst die rauhen und ab¬ gehärteten Sitten ihrer Ahnen vergessen hatten, ließen sich viele ebenfalls in diesen Städten nieder, und zu ihnen kamen, als drittes Element, die Juden, die derselbe blinde Glaubenseifer über die Meerenge von Gibraltar jagte. So entstand eine Bevölkerung, die im schroffen Gegensatz zu den Berbern des Innern steht, selbst wo diese gemischten Blutes sind, und von ihnen als feige und verweichlicht verachtet wird. Neben den Berbern im südwestlichen Winkel des Landes wohnen sehr dunkelfarbige Stämme, wohl mit Negerblut gemischt als ausnehmend kriegerisch, kräftig und zuverlässig gerühmt, während in den weiten Wüstenflächen südlich vom Atlas Zeltbewohncr und Hirten nomadisirend herumstreifen. Alle diese Völkerschaften, ansässige wie nvmadisirende, aber die in den Küstenstädten wohnhaften stets ausgenommen, leben jetzt noch, wie vor Jahrtausenden, in einer Art Clanverfassung und werden von erblichen Scheichs oder von den Versammlungen der Aeltesten oder Angesehensten regiert. Diese Stämme heißen Kabylas, woher die Europäer diesen Völkerschaften den Namen Kabylen gegeben haben, den sie selbst nicht führen. Dieses Völkergemisch beherrscht der Kaiser oder Sultan von Marokko mit unumschränkter Gewalt, jedoch nur dem Namen nach; denn thatsächlich reicht seine Herrschaft nicht weiter als seine Macht, und diese kann er bei weitem nicht überall und immer zur Geltung bringen. Selbst die Zahlung von Tribut, das einzige Zeichen von Unterwürfigkeit, welches viele der Stämme, nament¬ lich die entlegneren, zu geben geneigt sind, erfolgt oft widerwillig, und häusig veranlaßt das Eintreiben Aufstände. Wäre der Kaiser nicht zugleich als Nach¬ komme des Propheten Oberhaupt der Kirche, so wäre er längst gestürzt; aber dieses religiöse Band knüpft seine Unterthanen fester an ihn, als die materielle Macht. Es kann dies kaum anders sein in einem Staate, wo jeder männliche Bewohner bewaffnet und kriegsgeübt ist, aber dem Oberhaupt seines Stammes viel eher Gehorsam schuldig zu sein glaubt, als dem Kaiser. Dazu kommt noch, daß dieser nicht einmal über eine von Stammeseinwirkungen unabhängige Reichs- und Hausmacht verfügt, mit der er den Widerstand wenigstens jedes ein¬ zelnen und auch des mächtigsten Stammes niederschlagen könnte. Ein Anfang dazu ist zwar gemacht, aber diese Haustruppcn sind theils zu schwach an Zahl, theils zu sehr von andern Thätigkeiten in Anspruch genommen, als daß sie mit ausreichender Kraft gegen widerspenstige Stämme verwendet werden könn¬ ten. Diese Haustruppen bestehen aus der sogenannten schwarzen und weißen Garde und einer Art Landmiliz, von den Einheimischen der Magsen genannt. Die schwarze Garde, so geheißen, weil sie früher ausschließlich aus Negern bestand, was aber jetzt nicht mehr der Fall ist, führt bei den Marokkanern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/143>, abgerufen am 28.09.2024.