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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Eigentlich war es ihnen gar nicht so schlimm gegangen wie sie betheuerten;
denn so wie sie ihre maurischen Mitbürger durch die bevorstehende Ankunft der
Spanier eingeschüchtert sahen, hatten sie sich mit Eifer daran gemacht, ihrer¬
seits die maurischen Viertel zu plündern. Augenzeugen versicherten, daß sie
mit Effecten, Stoffen jeder Art beladen in ununterbrochener Reihe durch das,
in das abgeschlossene Judenviertel führende Thor hineinzogen, während daneben
eine zweite Reihe wieder mit leeren Händen in die Stadt eilte, immerfort
eurtönig klagend: "Alles haben sie uns genommen, alles! sie haben uns nackt
gelassen!" So wußten sie sich für das, was sie von den Kabylen gelitten hatten,
bei den Mauren zu entschädigen.

Diese Juden sind Nachkommen der spanischen Juden, welche theils mit den
in Folge der Wiedereroberung der iberischen Halbinsel durch die Spanier über die
Meerenge auswandernden Arabern nach Afrika übersiedelten, theils in späteren
Jahrhunderten gemeinschaftlich mit den Moriskos massenhaft aus Spanien
verjagt wurden und sich hier eine neue Heimath suchen mußten. Sie sprechen
noch jetzt spanisch, aber mit fremdartigem Accent und mit veralteten Formen
vermischt.

Tetuan ist eine ganz orientalische Stadt, ein Gewirr enger, krummer Gassen,
oft auf Strecken überwölbt oder überbrückt durch steinerne, die einander gegen¬
überliegenden Häuser verbindende Bogen. Auch wo dies nicht der Fall ist, ist
der Himmel und die Sonnengluth meistens ausgeschlossen durch Decken, die
über die Straße gespannt find; zumal in den Stadttheilen, wo sich viele
Kaufmannsläden befinden. Von Licht und frischer Luft ist daher nicht viel
zu spüren.

Nach orientalischer Sitte haben die Häuser nach der Straße zu keine Fen¬
ster, sondern nur kleine, schießschartenförmige Oeffnungen und einen Eingang,
in der Regel von einer mächtig mit Eisen beschlagenen Thür verschlossen. Da
auch die einzelnen Häuser nach der Straße zu nicht sichtbar abgetheilt sind, und
die flachen Dächer ebenfalls durch eine glatte Brustwehr verdeckt werden, so er
blickt man in mancher Straße nichts als zwei kahle, weiß angestrichene Mauer¬
flächen , deren langweilige Einförmigkeit durch die schießschartenähnlichcn Mauer-
öffnungcn und eisenbeschlagenen Hausthüren eher noch erhöht wird. Einiges
Leben bringen in diese Eintönigkeit die in den Mauern der Häuser hier und
da angebrachten Brunnen, die ihren Wasserstrahl in ein steinernes Becken laufen
lassen, oder eine Moschee mit weitem reich verzierten Portal, vielleicht auch ein
äußerlich ansehnlicheres Haus, das, möglicherweise eine Reminiscenz aus der
alten Heimath Spanien, von seinem Nachbar erkennbar abgeschieden und mit
einem vergitterten Fenster oder gar mit einem kleinen, von Lichtöffnungen durch¬
bohrten Vorbau versehen ist.

Anders ist das Handelsviertel der Alcaccria, so wie die übrigen Gassen,


Eigentlich war es ihnen gar nicht so schlimm gegangen wie sie betheuerten;
denn so wie sie ihre maurischen Mitbürger durch die bevorstehende Ankunft der
Spanier eingeschüchtert sahen, hatten sie sich mit Eifer daran gemacht, ihrer¬
seits die maurischen Viertel zu plündern. Augenzeugen versicherten, daß sie
mit Effecten, Stoffen jeder Art beladen in ununterbrochener Reihe durch das,
in das abgeschlossene Judenviertel führende Thor hineinzogen, während daneben
eine zweite Reihe wieder mit leeren Händen in die Stadt eilte, immerfort
eurtönig klagend: „Alles haben sie uns genommen, alles! sie haben uns nackt
gelassen!" So wußten sie sich für das, was sie von den Kabylen gelitten hatten,
bei den Mauren zu entschädigen.

Diese Juden sind Nachkommen der spanischen Juden, welche theils mit den
in Folge der Wiedereroberung der iberischen Halbinsel durch die Spanier über die
Meerenge auswandernden Arabern nach Afrika übersiedelten, theils in späteren
Jahrhunderten gemeinschaftlich mit den Moriskos massenhaft aus Spanien
verjagt wurden und sich hier eine neue Heimath suchen mußten. Sie sprechen
noch jetzt spanisch, aber mit fremdartigem Accent und mit veralteten Formen
vermischt.

Tetuan ist eine ganz orientalische Stadt, ein Gewirr enger, krummer Gassen,
oft auf Strecken überwölbt oder überbrückt durch steinerne, die einander gegen¬
überliegenden Häuser verbindende Bogen. Auch wo dies nicht der Fall ist, ist
der Himmel und die Sonnengluth meistens ausgeschlossen durch Decken, die
über die Straße gespannt find; zumal in den Stadttheilen, wo sich viele
Kaufmannsläden befinden. Von Licht und frischer Luft ist daher nicht viel
zu spüren.

Nach orientalischer Sitte haben die Häuser nach der Straße zu keine Fen¬
ster, sondern nur kleine, schießschartenförmige Oeffnungen und einen Eingang,
in der Regel von einer mächtig mit Eisen beschlagenen Thür verschlossen. Da
auch die einzelnen Häuser nach der Straße zu nicht sichtbar abgetheilt sind, und
die flachen Dächer ebenfalls durch eine glatte Brustwehr verdeckt werden, so er
blickt man in mancher Straße nichts als zwei kahle, weiß angestrichene Mauer¬
flächen , deren langweilige Einförmigkeit durch die schießschartenähnlichcn Mauer-
öffnungcn und eisenbeschlagenen Hausthüren eher noch erhöht wird. Einiges
Leben bringen in diese Eintönigkeit die in den Mauern der Häuser hier und
da angebrachten Brunnen, die ihren Wasserstrahl in ein steinernes Becken laufen
lassen, oder eine Moschee mit weitem reich verzierten Portal, vielleicht auch ein
äußerlich ansehnlicheres Haus, das, möglicherweise eine Reminiscenz aus der
alten Heimath Spanien, von seinem Nachbar erkennbar abgeschieden und mit
einem vergitterten Fenster oder gar mit einem kleinen, von Lichtöffnungen durch¬
bohrten Vorbau versehen ist.

Anders ist das Handelsviertel der Alcaccria, so wie die übrigen Gassen,


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[0114] Eigentlich war es ihnen gar nicht so schlimm gegangen wie sie betheuerten; denn so wie sie ihre maurischen Mitbürger durch die bevorstehende Ankunft der Spanier eingeschüchtert sahen, hatten sie sich mit Eifer daran gemacht, ihrer¬ seits die maurischen Viertel zu plündern. Augenzeugen versicherten, daß sie mit Effecten, Stoffen jeder Art beladen in ununterbrochener Reihe durch das, in das abgeschlossene Judenviertel führende Thor hineinzogen, während daneben eine zweite Reihe wieder mit leeren Händen in die Stadt eilte, immerfort eurtönig klagend: „Alles haben sie uns genommen, alles! sie haben uns nackt gelassen!" So wußten sie sich für das, was sie von den Kabylen gelitten hatten, bei den Mauren zu entschädigen. Diese Juden sind Nachkommen der spanischen Juden, welche theils mit den in Folge der Wiedereroberung der iberischen Halbinsel durch die Spanier über die Meerenge auswandernden Arabern nach Afrika übersiedelten, theils in späteren Jahrhunderten gemeinschaftlich mit den Moriskos massenhaft aus Spanien verjagt wurden und sich hier eine neue Heimath suchen mußten. Sie sprechen noch jetzt spanisch, aber mit fremdartigem Accent und mit veralteten Formen vermischt. Tetuan ist eine ganz orientalische Stadt, ein Gewirr enger, krummer Gassen, oft auf Strecken überwölbt oder überbrückt durch steinerne, die einander gegen¬ überliegenden Häuser verbindende Bogen. Auch wo dies nicht der Fall ist, ist der Himmel und die Sonnengluth meistens ausgeschlossen durch Decken, die über die Straße gespannt find; zumal in den Stadttheilen, wo sich viele Kaufmannsläden befinden. Von Licht und frischer Luft ist daher nicht viel zu spüren. Nach orientalischer Sitte haben die Häuser nach der Straße zu keine Fen¬ ster, sondern nur kleine, schießschartenförmige Oeffnungen und einen Eingang, in der Regel von einer mächtig mit Eisen beschlagenen Thür verschlossen. Da auch die einzelnen Häuser nach der Straße zu nicht sichtbar abgetheilt sind, und die flachen Dächer ebenfalls durch eine glatte Brustwehr verdeckt werden, so er blickt man in mancher Straße nichts als zwei kahle, weiß angestrichene Mauer¬ flächen , deren langweilige Einförmigkeit durch die schießschartenähnlichcn Mauer- öffnungcn und eisenbeschlagenen Hausthüren eher noch erhöht wird. Einiges Leben bringen in diese Eintönigkeit die in den Mauern der Häuser hier und da angebrachten Brunnen, die ihren Wasserstrahl in ein steinernes Becken laufen lassen, oder eine Moschee mit weitem reich verzierten Portal, vielleicht auch ein äußerlich ansehnlicheres Haus, das, möglicherweise eine Reminiscenz aus der alten Heimath Spanien, von seinem Nachbar erkennbar abgeschieden und mit einem vergitterten Fenster oder gar mit einem kleinen, von Lichtöffnungen durch¬ bohrten Vorbau versehen ist. Anders ist das Handelsviertel der Alcaccria, so wie die übrigen Gassen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/114>, abgerufen am 28.09.2024.