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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Die Formen aus solcher Zeugung hervorgegangener Nachkömmlinge sind denen
der befruchtenden Stammart mehr genähert; und es vermag die öftere Wieder¬
holung derartiger Befruchtung die Nachkommenschaft endlich der jungen Stamm¬
art völlig gleicbbcschaffcn zu machen, welche eine Reihe von Zeugungen hin¬
durch den Pollen lieferte. Die Sterilität der Bastarde sogenannter reiner Arten
ist indeß nicht entfernt eine absolute, und von nicht wenigen hat die Beobachtung
gezeigt, daß sie durch viele (bis zu zehn) Generationen hindurch sormbeständig
sich fortpflanzen. Bei Pflanzen von mäßiger Verschiedenheit, der Formen und
Eigenschaften, von solcher Differenz, welche zur Unterscheidung von Racen oder
Varietäten Anlaß zu geben pflegt, ist die geschlechtliche Fortpflanzungsfähigkeit
aus der Bereinigung der beiden Formen entstandener Mischlinge nicht blos nicht
vermindert, sondern häusig sichtlich gesteigert.

Wir stehen hier an dem Punkte, von dem aus wir einen Einblick gewinnen
können, nicht in den Zweck der geschlechtlichen Zeugung -- nach dem Zwecke
einer Erscheinung hat die Naturforschung nicht zu fragen -- wohl aber in ihren
Erfolg. Alle Pflanzen lassen ein Streben erkennen, ihre Formen und Eigen¬
schaften gelegentlich zu ändern, zu variiren. Die Erscheinung tritt bei ver¬
schiedenen Formen mit sehr verschiedener Intensität auf. Ihre Ursachen, ihre
Anlässe sind uns völlig unbekannt. Aber ihre Allgemeinheit ist außer Zweifel.
Die Formenänderungen sind erblich, dafern bei geschlechtlicher Fortpflanzung
der eigene Blüthenstaub mitwirkte. Wäre dieser Trieb der Pflanzen ohne irgend-
ein Correctiv thätig, so würde die Zahl der verschiedenen Formen ins Endlose
sich mehren, und die Unterschiede der Formen würden in demselben Maße minder
hervortretend werden. Dem entgegen wirkt aber die geschlechtliche Zeugung.
In weitester Verbreitung besteht die schon oben angedeutete Einrichtung, daß
die Befruchtung der weiblichen Organe einer Pflanze durch den eigenen Be-
sruchtungsstvff erschwert, selbst unmöglich gemacht ist. Dies bedingt stetig wieder-
kehrende Kreuzungen zwischen verschiedenen, in ihren Eigenschaften mehr oder
weniger verschiedenen Individuen. Die Nachkommenschaft stellt ein Mittel aus
den verschiedenartigen Formen dar, und immer aufs Neue, und zwischen nach
den verschiedensten Richtungen, wenn auch nur wenig, auseinandergehenden
Formen wird dieses Mittel gezogen. So ist es die geschlechtliche Fortpflanzung
welche bewirkt, daß bestimmte Complexe von Pflanzen gemeinsamer Abstammung
und Blutsverwandtschaft uns als gleichartig erscheinen, Auf der sexuellen Zeu¬
gung beruht die Möglichkeit der Fassung des Artcnbegriffs. beruht die Rein¬
haltung der Art.




Grenzboten II. 1864.

Die Formen aus solcher Zeugung hervorgegangener Nachkömmlinge sind denen
der befruchtenden Stammart mehr genähert; und es vermag die öftere Wieder¬
holung derartiger Befruchtung die Nachkommenschaft endlich der jungen Stamm¬
art völlig gleicbbcschaffcn zu machen, welche eine Reihe von Zeugungen hin¬
durch den Pollen lieferte. Die Sterilität der Bastarde sogenannter reiner Arten
ist indeß nicht entfernt eine absolute, und von nicht wenigen hat die Beobachtung
gezeigt, daß sie durch viele (bis zu zehn) Generationen hindurch sormbeständig
sich fortpflanzen. Bei Pflanzen von mäßiger Verschiedenheit, der Formen und
Eigenschaften, von solcher Differenz, welche zur Unterscheidung von Racen oder
Varietäten Anlaß zu geben pflegt, ist die geschlechtliche Fortpflanzungsfähigkeit
aus der Bereinigung der beiden Formen entstandener Mischlinge nicht blos nicht
vermindert, sondern häusig sichtlich gesteigert.

Wir stehen hier an dem Punkte, von dem aus wir einen Einblick gewinnen
können, nicht in den Zweck der geschlechtlichen Zeugung — nach dem Zwecke
einer Erscheinung hat die Naturforschung nicht zu fragen — wohl aber in ihren
Erfolg. Alle Pflanzen lassen ein Streben erkennen, ihre Formen und Eigen¬
schaften gelegentlich zu ändern, zu variiren. Die Erscheinung tritt bei ver¬
schiedenen Formen mit sehr verschiedener Intensität auf. Ihre Ursachen, ihre
Anlässe sind uns völlig unbekannt. Aber ihre Allgemeinheit ist außer Zweifel.
Die Formenänderungen sind erblich, dafern bei geschlechtlicher Fortpflanzung
der eigene Blüthenstaub mitwirkte. Wäre dieser Trieb der Pflanzen ohne irgend-
ein Correctiv thätig, so würde die Zahl der verschiedenen Formen ins Endlose
sich mehren, und die Unterschiede der Formen würden in demselben Maße minder
hervortretend werden. Dem entgegen wirkt aber die geschlechtliche Zeugung.
In weitester Verbreitung besteht die schon oben angedeutete Einrichtung, daß
die Befruchtung der weiblichen Organe einer Pflanze durch den eigenen Be-
sruchtungsstvff erschwert, selbst unmöglich gemacht ist. Dies bedingt stetig wieder-
kehrende Kreuzungen zwischen verschiedenen, in ihren Eigenschaften mehr oder
weniger verschiedenen Individuen. Die Nachkommenschaft stellt ein Mittel aus
den verschiedenartigen Formen dar, und immer aufs Neue, und zwischen nach
den verschiedensten Richtungen, wenn auch nur wenig, auseinandergehenden
Formen wird dieses Mittel gezogen. So ist es die geschlechtliche Fortpflanzung
welche bewirkt, daß bestimmte Complexe von Pflanzen gemeinsamer Abstammung
und Blutsverwandtschaft uns als gleichartig erscheinen, Auf der sexuellen Zeu¬
gung beruht die Möglichkeit der Fassung des Artcnbegriffs. beruht die Rein¬
haltung der Art.




Grenzboten II. 1864.
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[0073] Die Formen aus solcher Zeugung hervorgegangener Nachkömmlinge sind denen der befruchtenden Stammart mehr genähert; und es vermag die öftere Wieder¬ holung derartiger Befruchtung die Nachkommenschaft endlich der jungen Stamm¬ art völlig gleicbbcschaffcn zu machen, welche eine Reihe von Zeugungen hin¬ durch den Pollen lieferte. Die Sterilität der Bastarde sogenannter reiner Arten ist indeß nicht entfernt eine absolute, und von nicht wenigen hat die Beobachtung gezeigt, daß sie durch viele (bis zu zehn) Generationen hindurch sormbeständig sich fortpflanzen. Bei Pflanzen von mäßiger Verschiedenheit, der Formen und Eigenschaften, von solcher Differenz, welche zur Unterscheidung von Racen oder Varietäten Anlaß zu geben pflegt, ist die geschlechtliche Fortpflanzungsfähigkeit aus der Bereinigung der beiden Formen entstandener Mischlinge nicht blos nicht vermindert, sondern häusig sichtlich gesteigert. Wir stehen hier an dem Punkte, von dem aus wir einen Einblick gewinnen können, nicht in den Zweck der geschlechtlichen Zeugung — nach dem Zwecke einer Erscheinung hat die Naturforschung nicht zu fragen — wohl aber in ihren Erfolg. Alle Pflanzen lassen ein Streben erkennen, ihre Formen und Eigen¬ schaften gelegentlich zu ändern, zu variiren. Die Erscheinung tritt bei ver¬ schiedenen Formen mit sehr verschiedener Intensität auf. Ihre Ursachen, ihre Anlässe sind uns völlig unbekannt. Aber ihre Allgemeinheit ist außer Zweifel. Die Formenänderungen sind erblich, dafern bei geschlechtlicher Fortpflanzung der eigene Blüthenstaub mitwirkte. Wäre dieser Trieb der Pflanzen ohne irgend- ein Correctiv thätig, so würde die Zahl der verschiedenen Formen ins Endlose sich mehren, und die Unterschiede der Formen würden in demselben Maße minder hervortretend werden. Dem entgegen wirkt aber die geschlechtliche Zeugung. In weitester Verbreitung besteht die schon oben angedeutete Einrichtung, daß die Befruchtung der weiblichen Organe einer Pflanze durch den eigenen Be- sruchtungsstvff erschwert, selbst unmöglich gemacht ist. Dies bedingt stetig wieder- kehrende Kreuzungen zwischen verschiedenen, in ihren Eigenschaften mehr oder weniger verschiedenen Individuen. Die Nachkommenschaft stellt ein Mittel aus den verschiedenartigen Formen dar, und immer aufs Neue, und zwischen nach den verschiedensten Richtungen, wenn auch nur wenig, auseinandergehenden Formen wird dieses Mittel gezogen. So ist es die geschlechtliche Fortpflanzung welche bewirkt, daß bestimmte Complexe von Pflanzen gemeinsamer Abstammung und Blutsverwandtschaft uns als gleichartig erscheinen, Auf der sexuellen Zeu¬ gung beruht die Möglichkeit der Fassung des Artcnbegriffs. beruht die Rein¬ haltung der Art. Grenzboten II. 1864.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/73>, abgerufen am 03.07.2024.