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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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auch wenn dieselben ihr eigenes Interesse oder das eines Mitglieds ihrer Fa¬
milie betrafen, polizeilich bestrafen dürften. Die entgegengesetzte Inter¬
pretation des Ober-Appcllationögerichts sei völlig unstatthaft,
eben so wie die Annahme desselben unhaltbar sei. daß in Fällen der eigen¬
mächtigen Entweichung aus dem Dienste nur die gerichtliche Bestrafung zu¬
lässig wäre. Im Uebr^gen kämen bei der Uebung der polizeilichen Strafge-
walt noch ganz andere Rücksichten in Betracht als die des Rechts; es handle
sich dabei um die so wichtige Subordination der Gutsleute unter die Guts-"
vbrigtcit. Daher fehle es an einem haltbaren positiven Grunde, den Guts-
herrn von der eigenen Uebung des polizeilichen Strafrechts auszuschließen. Es
würde auch weder im Interesse der Sache, noch in dem der Leute liegen, wenn
alle solche polizeiliche Strafsachen durch das'Patrimonialgericht erledigt werden
mühten, indem die Untersuchung dadurch für beide Theile um so weitläuftiger
und kostspieliger werden, infolge der längeren/Berzögerung sehr an Nach¬
drücklichkeit verlieren und die auf den Gütern so wichtige Autorität deS Guts¬
herrn sehr abschwächen würde. Auch der Engere Ausschuß der Ritter- und
Landschaft hatte in einem diese Angelegenheit betreffenden Bortrage angenom¬
men, daß es sich hierbei um eine neue Gesetzgebung handle. Ein ministerielles
Rescript belehrt ihn dagegen, daß nur eine Deklaration und Feststellung des
bestehenden Rechts zur Entfernung der über den Inhalt desselben aufgekom¬
menen Zweifel und Controversen in Frage stehe, und man erfährt sodann, daß
das Ober-Appellationsgericht es nicht allein ist, dessen "irrige" Auffassung
durch das Gesetz beseitigt werden soll, sondern daß auch noch andere höhere
und niedere Gerichte sich eben dieser declaratvrischen Nachhilfe bedürftig ge¬
zeigt haben. Handelte es sich blos um die irrige Ansicht eines Patrimonial-
genchts, bemerkt das Rescript, so würde dieser Irrthum im Wege landesherr¬
licher Bedeutung seine Erledigung haben finden tonnen. Der Irrthum des
PatrimonialgerichlS finde jedoch seule Stütze in der principiellen Entscheidung
mehrer höherer Gerichte, welche die Gutsherren für nicht berechtigt hielten,
daS gutsherrliche Strafrecht in Fällen, wo ihr eigenes Interesse in Betracht
komme, selbst zu üben. Es handle sich demnach nicht blos um unzutreffende
Rechtsanwendung in vereinzelten Fällen, sondern um irrige Fundamentalprin¬
cipien selbst der höheren Gerichte. Es sei auf diese Weise eine Rechtsunsicher-
heit entstanden, die zu den nachtheiligsten Folgen führen könne. Bei der
Mehrzahl der auf den Gütern vorkommenden Dienstvergehen concurrire mehr
oder weniger das eigene Interesse des Gutsherrn. Würde das Gewicht daher
hierauf gelegt, so würde nicht allein das gutsherrliche polizeiliche Strafrecht
principiell und thatsächlich auf ein geringfügiges Maß beschränkt, sondern auch
dessen Zuständigkeit in jedem einzelnen Falle der zweifelhaften Beurtheilung
unterworfen, ob dabei etwa ein eigenes Interesse des Gutsherrn in Betracht komme.


auch wenn dieselben ihr eigenes Interesse oder das eines Mitglieds ihrer Fa¬
milie betrafen, polizeilich bestrafen dürften. Die entgegengesetzte Inter¬
pretation des Ober-Appcllationögerichts sei völlig unstatthaft,
eben so wie die Annahme desselben unhaltbar sei. daß in Fällen der eigen¬
mächtigen Entweichung aus dem Dienste nur die gerichtliche Bestrafung zu¬
lässig wäre. Im Uebr^gen kämen bei der Uebung der polizeilichen Strafge-
walt noch ganz andere Rücksichten in Betracht als die des Rechts; es handle
sich dabei um die so wichtige Subordination der Gutsleute unter die Guts-»
vbrigtcit. Daher fehle es an einem haltbaren positiven Grunde, den Guts-
herrn von der eigenen Uebung des polizeilichen Strafrechts auszuschließen. Es
würde auch weder im Interesse der Sache, noch in dem der Leute liegen, wenn
alle solche polizeiliche Strafsachen durch das'Patrimonialgericht erledigt werden
mühten, indem die Untersuchung dadurch für beide Theile um so weitläuftiger
und kostspieliger werden, infolge der längeren/Berzögerung sehr an Nach¬
drücklichkeit verlieren und die auf den Gütern so wichtige Autorität deS Guts¬
herrn sehr abschwächen würde. Auch der Engere Ausschuß der Ritter- und
Landschaft hatte in einem diese Angelegenheit betreffenden Bortrage angenom¬
men, daß es sich hierbei um eine neue Gesetzgebung handle. Ein ministerielles
Rescript belehrt ihn dagegen, daß nur eine Deklaration und Feststellung des
bestehenden Rechts zur Entfernung der über den Inhalt desselben aufgekom¬
menen Zweifel und Controversen in Frage stehe, und man erfährt sodann, daß
das Ober-Appellationsgericht es nicht allein ist, dessen „irrige" Auffassung
durch das Gesetz beseitigt werden soll, sondern daß auch noch andere höhere
und niedere Gerichte sich eben dieser declaratvrischen Nachhilfe bedürftig ge¬
zeigt haben. Handelte es sich blos um die irrige Ansicht eines Patrimonial-
genchts, bemerkt das Rescript, so würde dieser Irrthum im Wege landesherr¬
licher Bedeutung seine Erledigung haben finden tonnen. Der Irrthum des
PatrimonialgerichlS finde jedoch seule Stütze in der principiellen Entscheidung
mehrer höherer Gerichte, welche die Gutsherren für nicht berechtigt hielten,
daS gutsherrliche Strafrecht in Fällen, wo ihr eigenes Interesse in Betracht
komme, selbst zu üben. Es handle sich demnach nicht blos um unzutreffende
Rechtsanwendung in vereinzelten Fällen, sondern um irrige Fundamentalprin¬
cipien selbst der höheren Gerichte. Es sei auf diese Weise eine Rechtsunsicher-
heit entstanden, die zu den nachtheiligsten Folgen führen könne. Bei der
Mehrzahl der auf den Gütern vorkommenden Dienstvergehen concurrire mehr
oder weniger das eigene Interesse des Gutsherrn. Würde das Gewicht daher
hierauf gelegt, so würde nicht allein das gutsherrliche polizeiliche Strafrecht
principiell und thatsächlich auf ein geringfügiges Maß beschränkt, sondern auch
dessen Zuständigkeit in jedem einzelnen Falle der zweifelhaften Beurtheilung
unterworfen, ob dabei etwa ein eigenes Interesse des Gutsherrn in Betracht komme.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/458>, abgerufen am 23.07.2024.