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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Sebastian: der Priester hat alsobald da sein müssen (im Brauthause,
nicht wie bei Shakespeare in der Kirche), welchem er mit der trotzigsten Unge-
stümigkeit befohlen, ihn so bald i" aller Namen zu copuliren. Als er sich aber
entschuldigt, daß er unbereitet und nicht einmal ein Buch habe, hat er mit großen
Bedräuungen ihm einen Kalender, so zur Hand läge, hingestoßen und befohlen,
nicht viel Geschirr zu machen. Wie nun der Priester voll Schrecken das Ampt aufs
Kürzeste verrichtete und es auf die Frage kam, daß die Braut solle sagen, ob
sie sein Weil' sein wolle, rief er laut ja, und schwur so abscheulich, daß der
gute Geistliche sein schönes Ceremonicnbucb für Furcht fallen ließe, und wie er
sich bücken wollte, entwischte ihm, als einem dicken, von Schrecken ganz er¬
füllten Mann, ein Angstschweiß, worauf ihm der rasende Bräutigam einen sol¬
chen Schlag gab, daß er vollends bei das Buch darnieder fiele.

Felix: Was sagte sie aber dazu, half sie nicht mit in dieser Naserei?

Sebastian: Sie zitterte und badete wie cui Espenlaub. Als er solches
sahe, donnerte und hagelte er, daß alte Flüche nichts dargegen zu rechnen, und
stellete sich ganz unsinnig, als ob man ihm die Braut hätte nehmen wollen.
Als nun alles verrichtet, packet er die Braut um den Hals und drückete sie,
daß sie hätte mögen schwarz werden uno Mark lassen, tüssetc sie auch so laut,
daß eS <inen Wiederschall in dem Saal gab. Ich lies darvon. Denn ich für
Lachen nicht mehr bleiben oder zusehen konnte. Dergleichen ist nie sürgegan-
gen, wird auch nie geschehen.

Man sieht, der Bearbeiter hat den Charakter des tollen Bräutigams hier
nicht nur nicht bestialischer,, sondern sogar wesentlich gelinder und gewöhnlichen
Cholerikern seiner Zeit ähnliche gemacht, und er hat andrerseits durch Beilegung
der Scene aus der Kirche in ein Privathaus dieselbe für Deutschland möglich
werden lasse". Shakespeares Petruchiv schlägt den Priester nieder, weil er sich
nach dem Buche bückt, Hcirtmann dagegen, weil eine Unanständigkeit, die jenem
beim Bücken passirt, ihn zu größerer Wildheit aufregt. Petruchio schreit in
der Kirche nach Wein und gießt dem Küster den-Rest ins Gesicht, weil dessen
dürftig flehender Bart Begießen zu verlangen scheint. Die Bearbeitung weiß
nichts davon, obwohl das Benehmen des Bräutigams hier, wo eine Haus¬
trauung stattfindet, weit weniger unschicklich und rob erscheinen winde, als es
im Original erscheint. Geschickt und dem Wesen Hartmanns angemessen ist
dagegen der Zusah, der dem Priester statt des Ceremonicnbuchs einen Kalender
in die Hand giebt.

Aehnlicher Beispiele ließen sich noch verschiedene anführen, wir können sie
aber hier übergehen, da wir hoffen, daß die Leser sich die interessante Ent¬
deckung selbst ansehen werden.

Der Verfasser der "Kunst über alle Künste" ist bis jetzt noch ein Unbe¬
kannter. Doch mögen die Zeitgenossen seinen Namen gewußt haben, was um


Sebastian: der Priester hat alsobald da sein müssen (im Brauthause,
nicht wie bei Shakespeare in der Kirche), welchem er mit der trotzigsten Unge-
stümigkeit befohlen, ihn so bald i» aller Namen zu copuliren. Als er sich aber
entschuldigt, daß er unbereitet und nicht einmal ein Buch habe, hat er mit großen
Bedräuungen ihm einen Kalender, so zur Hand läge, hingestoßen und befohlen,
nicht viel Geschirr zu machen. Wie nun der Priester voll Schrecken das Ampt aufs
Kürzeste verrichtete und es auf die Frage kam, daß die Braut solle sagen, ob
sie sein Weil' sein wolle, rief er laut ja, und schwur so abscheulich, daß der
gute Geistliche sein schönes Ceremonicnbucb für Furcht fallen ließe, und wie er
sich bücken wollte, entwischte ihm, als einem dicken, von Schrecken ganz er¬
füllten Mann, ein Angstschweiß, worauf ihm der rasende Bräutigam einen sol¬
chen Schlag gab, daß er vollends bei das Buch darnieder fiele.

Felix: Was sagte sie aber dazu, half sie nicht mit in dieser Naserei?

Sebastian: Sie zitterte und badete wie cui Espenlaub. Als er solches
sahe, donnerte und hagelte er, daß alte Flüche nichts dargegen zu rechnen, und
stellete sich ganz unsinnig, als ob man ihm die Braut hätte nehmen wollen.
Als nun alles verrichtet, packet er die Braut um den Hals und drückete sie,
daß sie hätte mögen schwarz werden uno Mark lassen, tüssetc sie auch so laut,
daß eS <inen Wiederschall in dem Saal gab. Ich lies darvon. Denn ich für
Lachen nicht mehr bleiben oder zusehen konnte. Dergleichen ist nie sürgegan-
gen, wird auch nie geschehen.

Man sieht, der Bearbeiter hat den Charakter des tollen Bräutigams hier
nicht nur nicht bestialischer,, sondern sogar wesentlich gelinder und gewöhnlichen
Cholerikern seiner Zeit ähnliche gemacht, und er hat andrerseits durch Beilegung
der Scene aus der Kirche in ein Privathaus dieselbe für Deutschland möglich
werden lasse». Shakespeares Petruchiv schlägt den Priester nieder, weil er sich
nach dem Buche bückt, Hcirtmann dagegen, weil eine Unanständigkeit, die jenem
beim Bücken passirt, ihn zu größerer Wildheit aufregt. Petruchio schreit in
der Kirche nach Wein und gießt dem Küster den-Rest ins Gesicht, weil dessen
dürftig flehender Bart Begießen zu verlangen scheint. Die Bearbeitung weiß
nichts davon, obwohl das Benehmen des Bräutigams hier, wo eine Haus¬
trauung stattfindet, weit weniger unschicklich und rob erscheinen winde, als es
im Original erscheint. Geschickt und dem Wesen Hartmanns angemessen ist
dagegen der Zusah, der dem Priester statt des Ceremonicnbuchs einen Kalender
in die Hand giebt.

Aehnlicher Beispiele ließen sich noch verschiedene anführen, wir können sie
aber hier übergehen, da wir hoffen, daß die Leser sich die interessante Ent¬
deckung selbst ansehen werden.

Der Verfasser der „Kunst über alle Künste" ist bis jetzt noch ein Unbe¬
kannter. Doch mögen die Zeitgenossen seinen Namen gewußt haben, was um


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[0402] Sebastian: der Priester hat alsobald da sein müssen (im Brauthause, nicht wie bei Shakespeare in der Kirche), welchem er mit der trotzigsten Unge- stümigkeit befohlen, ihn so bald i» aller Namen zu copuliren. Als er sich aber entschuldigt, daß er unbereitet und nicht einmal ein Buch habe, hat er mit großen Bedräuungen ihm einen Kalender, so zur Hand läge, hingestoßen und befohlen, nicht viel Geschirr zu machen. Wie nun der Priester voll Schrecken das Ampt aufs Kürzeste verrichtete und es auf die Frage kam, daß die Braut solle sagen, ob sie sein Weil' sein wolle, rief er laut ja, und schwur so abscheulich, daß der gute Geistliche sein schönes Ceremonicnbucb für Furcht fallen ließe, und wie er sich bücken wollte, entwischte ihm, als einem dicken, von Schrecken ganz er¬ füllten Mann, ein Angstschweiß, worauf ihm der rasende Bräutigam einen sol¬ chen Schlag gab, daß er vollends bei das Buch darnieder fiele. Felix: Was sagte sie aber dazu, half sie nicht mit in dieser Naserei? Sebastian: Sie zitterte und badete wie cui Espenlaub. Als er solches sahe, donnerte und hagelte er, daß alte Flüche nichts dargegen zu rechnen, und stellete sich ganz unsinnig, als ob man ihm die Braut hätte nehmen wollen. Als nun alles verrichtet, packet er die Braut um den Hals und drückete sie, daß sie hätte mögen schwarz werden uno Mark lassen, tüssetc sie auch so laut, daß eS <inen Wiederschall in dem Saal gab. Ich lies darvon. Denn ich für Lachen nicht mehr bleiben oder zusehen konnte. Dergleichen ist nie sürgegan- gen, wird auch nie geschehen. Man sieht, der Bearbeiter hat den Charakter des tollen Bräutigams hier nicht nur nicht bestialischer,, sondern sogar wesentlich gelinder und gewöhnlichen Cholerikern seiner Zeit ähnliche gemacht, und er hat andrerseits durch Beilegung der Scene aus der Kirche in ein Privathaus dieselbe für Deutschland möglich werden lasse». Shakespeares Petruchiv schlägt den Priester nieder, weil er sich nach dem Buche bückt, Hcirtmann dagegen, weil eine Unanständigkeit, die jenem beim Bücken passirt, ihn zu größerer Wildheit aufregt. Petruchio schreit in der Kirche nach Wein und gießt dem Küster den-Rest ins Gesicht, weil dessen dürftig flehender Bart Begießen zu verlangen scheint. Die Bearbeitung weiß nichts davon, obwohl das Benehmen des Bräutigams hier, wo eine Haus¬ trauung stattfindet, weit weniger unschicklich und rob erscheinen winde, als es im Original erscheint. Geschickt und dem Wesen Hartmanns angemessen ist dagegen der Zusah, der dem Priester statt des Ceremonicnbuchs einen Kalender in die Hand giebt. Aehnlicher Beispiele ließen sich noch verschiedene anführen, wir können sie aber hier übergehen, da wir hoffen, daß die Leser sich die interessante Ent¬ deckung selbst ansehen werden. Der Verfasser der „Kunst über alle Künste" ist bis jetzt noch ein Unbe¬ kannter. Doch mögen die Zeitgenossen seinen Namen gewußt haben, was um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/402>, abgerufen am 23.07.2024.