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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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lassen, Aussprüche griechischer Dichter zusammen, die er aufs unverschämteste
gefälscht hatte. Aber gefeierte Kirchenlehrer, wie Clemens von Alexandrien und
Eusebius, nehmen durchaus keinen Anstoß daran, das, Orpheus von Abraham,
von Moses und den zehn Geboten, daß Homer von der Heiligung des Sab¬
bathes redet, sondern stützen sich auf diese untergeschobenen Beweisstellen. -- So
sind die sogenannten sibyllinischen Weissagungen nichts als eine mit der Zeit
immer fortwachsende Sammlung der ungeheuerlichsten Unterschiebungen. Die
alte Sibylle, diese mythische Gestalt aus den Zeiten des trojanischen Kriegs,
mußte die spätesten Erzeugnisse, wie Neros Muttermord, den Ausbruch des
Vesuvs unter Titus u. s. w. geweissagt haben, und die Christen schritten dazu
fort, ihr eine Reihe mcssianischer Weissagungen in den Mund zu legen. Die
Sibylle weissagt aufs genaueste alle Lebensschicksale Jesu, seine Wunder, sein
Wandeln auf dem See, die Speisung der Fünftausend, die Kreuzigung und
die Auferstehung', und dem Heiden Celsus gegenüber, der die Sibyllenoratel
für gefälscht erklärt, hält selbst ein Origenes deren Echtheit aufrecht. -- Clemens
von Alexandrien bezweifelt es nicht, daß Zoroaster in der Schlacht gefallen,
nach einiger Zeit wieder ins Leben zurückgekehrt und daß die Schrift echt sei,
worin er erzählt, was er im Todtenreich gesehen. -- Das Buch Henoch, eine
Nachahmung des Buchs Daniel, das frühestens im Jahrhundert vor Christus
entstanden ist, wird vom Verfasser des im neuen Testament befindlichen Briefs
Juda, von Tertullian u. A. gläubig als ein Buch des Baders von Methusalah
und Urgroßvaters von Noah betrachtet.

An den sibyllinischen Weissagungen sehen wir bereits, wie auch die Christen
das gegebene Beispiel sich zu Nutz machten und nicht blos Untergeschobenes
glaubten, sondern auch um des Glaubens willen unterschoben. Schon in den
ältesten Zeilen falschem sie ohne Weiteres in ihrem Interesse die griechische
Uebersetzung des alten Testaments, und die Väter des zweiten Jahrhunderts
stützen sich auf die Beweiskraft dieser gefälschten Stellen. Dabei entgeht ihnen
nicht, daß diese Interpolationen im hebräischen Urtext fehlen, aber sie sind so
naiv, den Stil umzudrehen und die Juden zu beschuldigen, daß sie die frag¬
lichen Stellen aus ihren Bibeln ausgemerzt hätten. Waren diese Fälschungen
dazu bestimmt, schon durch das Judenthum die christlichen Heilswahrheiten be¬
zeugt werden zu lassen (wozu freilich die allegorische Auslegung ein ungefähr¬
licheres und bald beliebteres Mittel war als grobe Interpolation), so dienten
andere dazu, gegenüber der Heidenwelt, besonders, gegenüber ,der heidnischen
Staatsgewalt, dem Christenthum frühzeitig eine günstige Position zu verschaffen
und vorläufig zu fingiren. So wurde ein der christlichen Sache günstiger Be¬
richt verbreitet, welchen Pilatus über die letzten Schicksale Jesu an den Kaiser
Tiberius erstattet haben sollte. So wurden den römischen Kaisern mehre Er¬
lasse zu Gunsten der Christen angedichtet, die von Justin, Tertullian, Eusebius


lassen, Aussprüche griechischer Dichter zusammen, die er aufs unverschämteste
gefälscht hatte. Aber gefeierte Kirchenlehrer, wie Clemens von Alexandrien und
Eusebius, nehmen durchaus keinen Anstoß daran, das, Orpheus von Abraham,
von Moses und den zehn Geboten, daß Homer von der Heiligung des Sab¬
bathes redet, sondern stützen sich auf diese untergeschobenen Beweisstellen. — So
sind die sogenannten sibyllinischen Weissagungen nichts als eine mit der Zeit
immer fortwachsende Sammlung der ungeheuerlichsten Unterschiebungen. Die
alte Sibylle, diese mythische Gestalt aus den Zeiten des trojanischen Kriegs,
mußte die spätesten Erzeugnisse, wie Neros Muttermord, den Ausbruch des
Vesuvs unter Titus u. s. w. geweissagt haben, und die Christen schritten dazu
fort, ihr eine Reihe mcssianischer Weissagungen in den Mund zu legen. Die
Sibylle weissagt aufs genaueste alle Lebensschicksale Jesu, seine Wunder, sein
Wandeln auf dem See, die Speisung der Fünftausend, die Kreuzigung und
die Auferstehung', und dem Heiden Celsus gegenüber, der die Sibyllenoratel
für gefälscht erklärt, hält selbst ein Origenes deren Echtheit aufrecht. — Clemens
von Alexandrien bezweifelt es nicht, daß Zoroaster in der Schlacht gefallen,
nach einiger Zeit wieder ins Leben zurückgekehrt und daß die Schrift echt sei,
worin er erzählt, was er im Todtenreich gesehen. — Das Buch Henoch, eine
Nachahmung des Buchs Daniel, das frühestens im Jahrhundert vor Christus
entstanden ist, wird vom Verfasser des im neuen Testament befindlichen Briefs
Juda, von Tertullian u. A. gläubig als ein Buch des Baders von Methusalah
und Urgroßvaters von Noah betrachtet.

An den sibyllinischen Weissagungen sehen wir bereits, wie auch die Christen
das gegebene Beispiel sich zu Nutz machten und nicht blos Untergeschobenes
glaubten, sondern auch um des Glaubens willen unterschoben. Schon in den
ältesten Zeilen falschem sie ohne Weiteres in ihrem Interesse die griechische
Uebersetzung des alten Testaments, und die Väter des zweiten Jahrhunderts
stützen sich auf die Beweiskraft dieser gefälschten Stellen. Dabei entgeht ihnen
nicht, daß diese Interpolationen im hebräischen Urtext fehlen, aber sie sind so
naiv, den Stil umzudrehen und die Juden zu beschuldigen, daß sie die frag¬
lichen Stellen aus ihren Bibeln ausgemerzt hätten. Waren diese Fälschungen
dazu bestimmt, schon durch das Judenthum die christlichen Heilswahrheiten be¬
zeugt werden zu lassen (wozu freilich die allegorische Auslegung ein ungefähr¬
licheres und bald beliebteres Mittel war als grobe Interpolation), so dienten
andere dazu, gegenüber der Heidenwelt, besonders, gegenüber ,der heidnischen
Staatsgewalt, dem Christenthum frühzeitig eine günstige Position zu verschaffen
und vorläufig zu fingiren. So wurde ein der christlichen Sache günstiger Be¬
richt verbreitet, welchen Pilatus über die letzten Schicksale Jesu an den Kaiser
Tiberius erstattet haben sollte. So wurden den römischen Kaisern mehre Er¬
lasse zu Gunsten der Christen angedichtet, die von Justin, Tertullian, Eusebius


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[0314] lassen, Aussprüche griechischer Dichter zusammen, die er aufs unverschämteste gefälscht hatte. Aber gefeierte Kirchenlehrer, wie Clemens von Alexandrien und Eusebius, nehmen durchaus keinen Anstoß daran, das, Orpheus von Abraham, von Moses und den zehn Geboten, daß Homer von der Heiligung des Sab¬ bathes redet, sondern stützen sich auf diese untergeschobenen Beweisstellen. — So sind die sogenannten sibyllinischen Weissagungen nichts als eine mit der Zeit immer fortwachsende Sammlung der ungeheuerlichsten Unterschiebungen. Die alte Sibylle, diese mythische Gestalt aus den Zeiten des trojanischen Kriegs, mußte die spätesten Erzeugnisse, wie Neros Muttermord, den Ausbruch des Vesuvs unter Titus u. s. w. geweissagt haben, und die Christen schritten dazu fort, ihr eine Reihe mcssianischer Weissagungen in den Mund zu legen. Die Sibylle weissagt aufs genaueste alle Lebensschicksale Jesu, seine Wunder, sein Wandeln auf dem See, die Speisung der Fünftausend, die Kreuzigung und die Auferstehung', und dem Heiden Celsus gegenüber, der die Sibyllenoratel für gefälscht erklärt, hält selbst ein Origenes deren Echtheit aufrecht. — Clemens von Alexandrien bezweifelt es nicht, daß Zoroaster in der Schlacht gefallen, nach einiger Zeit wieder ins Leben zurückgekehrt und daß die Schrift echt sei, worin er erzählt, was er im Todtenreich gesehen. — Das Buch Henoch, eine Nachahmung des Buchs Daniel, das frühestens im Jahrhundert vor Christus entstanden ist, wird vom Verfasser des im neuen Testament befindlichen Briefs Juda, von Tertullian u. A. gläubig als ein Buch des Baders von Methusalah und Urgroßvaters von Noah betrachtet. An den sibyllinischen Weissagungen sehen wir bereits, wie auch die Christen das gegebene Beispiel sich zu Nutz machten und nicht blos Untergeschobenes glaubten, sondern auch um des Glaubens willen unterschoben. Schon in den ältesten Zeilen falschem sie ohne Weiteres in ihrem Interesse die griechische Uebersetzung des alten Testaments, und die Väter des zweiten Jahrhunderts stützen sich auf die Beweiskraft dieser gefälschten Stellen. Dabei entgeht ihnen nicht, daß diese Interpolationen im hebräischen Urtext fehlen, aber sie sind so naiv, den Stil umzudrehen und die Juden zu beschuldigen, daß sie die frag¬ lichen Stellen aus ihren Bibeln ausgemerzt hätten. Waren diese Fälschungen dazu bestimmt, schon durch das Judenthum die christlichen Heilswahrheiten be¬ zeugt werden zu lassen (wozu freilich die allegorische Auslegung ein ungefähr¬ licheres und bald beliebteres Mittel war als grobe Interpolation), so dienten andere dazu, gegenüber der Heidenwelt, besonders, gegenüber ,der heidnischen Staatsgewalt, dem Christenthum frühzeitig eine günstige Position zu verschaffen und vorläufig zu fingiren. So wurde ein der christlichen Sache günstiger Be¬ richt verbreitet, welchen Pilatus über die letzten Schicksale Jesu an den Kaiser Tiberius erstattet haben sollte. So wurden den römischen Kaisern mehre Er¬ lasse zu Gunsten der Christen angedichtet, die von Justin, Tertullian, Eusebius

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/314>, abgerufen am 23.07.2024.