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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Herzogin die Erinnerung an die Erzzauberin Johanna von Orleans und ihre
Thaten sich anknüpft. Damit schließt der erste Auszug, der also in seinem
letzten Theil zu umfangreichen Einschiebungen Urias; gegeben hat.

Der zweite Aufzug beginnt mit der aus Theil I (Act II, Se. 4) herüber-
gcnommenen Rosenscene, woran sich dann wieder, wenn ich nicht irre, II, 2
aus dem zweiten Theil mit ihrer verzweifelten Genealogie anschloß: doch er¬
läuterte Uork (Herr Schmidt) durch guten Vortrag die bunt'ein Wege dieses
erbrechtlichen Exposes, so weit dies überhaupt möglich. Für uns fern Lebende
bleibt diese Deduction, wenn wir sie ohne gelehrte Kenntniß von deren In¬
halt blos von der Bühne herabtönen hören, immer eine crux. Es folgte nun
die Gerichtsscene gegen Eleonore, bei der die samische Anordnung wieder alles
Lob und größte Anerkennung verdiente. Tiefe Bühne, in der Mitte etwa durch
rothe Schranken abgeschnitten, vor diesen links der Zauberer Hume und die
Hexe Burke, rechts Eleonore: hinter den Schranken in der Mitte das Gericht,
präsidire von Winchester, der König und Margarethe links. Gloster rechts.
Diese Anordnung war von vortrefflicher malerischer Wirkung und dem Hervor¬
treten jedes Theils der dramatischen Handlung äußerst förderlu!?. Aber in dem
Inhalt der Scene selbst hat Dingelstedt eine modernisirende Motivirung ein-
geschoben. Bei Shakespeare wird Eleonore (lor z^on irro nor" modi^ dorn)
wegen ihrer edlen Geburt zu öffentlicher Buße und Verbannung verurtheilt,
während die gemeinen Theilnehmer ihres Verbrechens dem Tode überliefert wer¬
den. Shakespeare findet diese Ungleichheit des Rechts so natürlich, daß er kein
Wort der Erklärung hinzuzusetzen sich gemüßigt ficht. Der Bearbeiter trägt
unseren geläuterten Rechtsbegriffen so weit Rechnung, daß Eleonore die mil¬
dere Strafe erhält, weil sie: >


edler von Geburt und minder schuldig,

und läßt dann auch noch den Zauberer über diese Ungleichheit vor dem Gesetz in
Wuth gerathen und dem ganzen Hof beleidigende Wahrheiten ins Gesicht wer¬
fen. Möglich, daß ein modernes Publicum dergleichen Eonccssionen an unsere
Rechtsanschauung billigt: aber doch sollte ich meinen, daß wer einmal sich ent¬
schließt ein shakespcarcscheö Stück, ein Stück, welches im fünfzehnten Jahr¬
hundert spielt, mit anzusehen, auch die Resignation besitzen müsse, auf wenige
Stunden von dem Bewußtsein constitutioneller Staatsbürgerrechte abzusehen und
in den Geist der Zeiten sich versetzen zu lassen, in welchen die ganze Handlung
des Stücks mit allen ihren Bedingungen und Voraussetzungen ruht. -- Nach
dem Gericht öffnen sich die Schranken, Gloster giebt seinen Stab ab und der
Act schließt mit der Buße Eleonorens. Auch hier ist sehr viel geändert, ein¬
geschaltet, erweitert: zugleich aber hat diese Scene Dingelstedt mit wahrhaft
künstlerischem Sinn ausgestattet. Er läßt Eleonore von einem Volkshaufen,
der vortrefflich eingeübt die niedere Leidenschaft des Pöbels, gesunkene Größe


Herzogin die Erinnerung an die Erzzauberin Johanna von Orleans und ihre
Thaten sich anknüpft. Damit schließt der erste Auszug, der also in seinem
letzten Theil zu umfangreichen Einschiebungen Urias; gegeben hat.

Der zweite Aufzug beginnt mit der aus Theil I (Act II, Se. 4) herüber-
gcnommenen Rosenscene, woran sich dann wieder, wenn ich nicht irre, II, 2
aus dem zweiten Theil mit ihrer verzweifelten Genealogie anschloß: doch er¬
läuterte Uork (Herr Schmidt) durch guten Vortrag die bunt'ein Wege dieses
erbrechtlichen Exposes, so weit dies überhaupt möglich. Für uns fern Lebende
bleibt diese Deduction, wenn wir sie ohne gelehrte Kenntniß von deren In¬
halt blos von der Bühne herabtönen hören, immer eine crux. Es folgte nun
die Gerichtsscene gegen Eleonore, bei der die samische Anordnung wieder alles
Lob und größte Anerkennung verdiente. Tiefe Bühne, in der Mitte etwa durch
rothe Schranken abgeschnitten, vor diesen links der Zauberer Hume und die
Hexe Burke, rechts Eleonore: hinter den Schranken in der Mitte das Gericht,
präsidire von Winchester, der König und Margarethe links. Gloster rechts.
Diese Anordnung war von vortrefflicher malerischer Wirkung und dem Hervor¬
treten jedes Theils der dramatischen Handlung äußerst förderlu!?. Aber in dem
Inhalt der Scene selbst hat Dingelstedt eine modernisirende Motivirung ein-
geschoben. Bei Shakespeare wird Eleonore (lor z^on irro nor« modi^ dorn)
wegen ihrer edlen Geburt zu öffentlicher Buße und Verbannung verurtheilt,
während die gemeinen Theilnehmer ihres Verbrechens dem Tode überliefert wer¬
den. Shakespeare findet diese Ungleichheit des Rechts so natürlich, daß er kein
Wort der Erklärung hinzuzusetzen sich gemüßigt ficht. Der Bearbeiter trägt
unseren geläuterten Rechtsbegriffen so weit Rechnung, daß Eleonore die mil¬
dere Strafe erhält, weil sie: >


edler von Geburt und minder schuldig,

und läßt dann auch noch den Zauberer über diese Ungleichheit vor dem Gesetz in
Wuth gerathen und dem ganzen Hof beleidigende Wahrheiten ins Gesicht wer¬
fen. Möglich, daß ein modernes Publicum dergleichen Eonccssionen an unsere
Rechtsanschauung billigt: aber doch sollte ich meinen, daß wer einmal sich ent¬
schließt ein shakespcarcscheö Stück, ein Stück, welches im fünfzehnten Jahr¬
hundert spielt, mit anzusehen, auch die Resignation besitzen müsse, auf wenige
Stunden von dem Bewußtsein constitutioneller Staatsbürgerrechte abzusehen und
in den Geist der Zeiten sich versetzen zu lassen, in welchen die ganze Handlung
des Stücks mit allen ihren Bedingungen und Voraussetzungen ruht. — Nach
dem Gericht öffnen sich die Schranken, Gloster giebt seinen Stab ab und der
Act schließt mit der Buße Eleonorens. Auch hier ist sehr viel geändert, ein¬
geschaltet, erweitert: zugleich aber hat diese Scene Dingelstedt mit wahrhaft
künstlerischem Sinn ausgestattet. Er läßt Eleonore von einem Volkshaufen,
der vortrefflich eingeübt die niedere Leidenschaft des Pöbels, gesunkene Größe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/268>, abgerufen am 23.07.2024.