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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Deshalb ist die Annahme wohlberechtigt, daß der Rcnnstieg ursprünglich
ein Pfad der heiligen Wasserscheide und ein Cultusweg der Thüringer gewesen
sei, auf welchem an großen Festen der Götterwagen fortgezogen wurde und
schon zur Zeit des Tacitus die heidnischen Vorfahren Martin Luthers das
Opfcrmesscr zuckten, und über den niedergebrannten Holzstoß sprangen.

Der Name Rcnnstieg aber war kein alter, diesem Bergpfad allein zustehen¬
der Eigenname, sondern eine durch Mitteldeutschland reichende Bezeichnung für
Wege der Wasserscheide, es ist daher natürlich, daß er nur zufällig gebraucht
wird. Hatte der Rennstieg Thüringens damals einen oder mehre alte Eigen¬
namen, so waren diese zuverlässig aus heidnischem Cultus hervorgegangen und
im frühen Mittelalter den geistlichen Schreibern der Urkunden und Annalen
so anstößig, daß sie so viel möglich vermieden, die teuflischen Worte zu ge¬
brauchen.

Wenn aber auch die Anlage des Weges in den mythischen Vorstellungen
der Ureinwohner wurzelt, so ist doch seine Auffassung als Grcnzweg deshalb
kein Irrthum. Ja sie erhält erst dadurch die rechte Bestätigung. Denn gerade
weil das Volk das göttliche Leben seiner Bäche und Ströme in der Quelle
sucht, wird auch die gefaßte Quelle, der Brunnen, gern als Grenze des Ortes
wie des Volk'es aufgefaßt. Das gilt schon in der Ebene, es ist vollends ge¬
boten bei Höhenzügen und Gebirgen, wo Mutter Erde selbst jedem sichtbar ent¬
scheidet, welchem Lande sie die Wasserfluth zusenden will. Deshalb gehören
Gebirgskämme überall zu den ältesten und festesten Grenzen, und deshalb dürfen
wir mit Sicherheit annehmen, daß der Nennstieg auch Voltsgrenzc gewesen ist
seit die Deutschen in getrennten Stämmen Berge und Thäler Mitteleuropas
besetzten. Wir wissen, daß der Nennstieg nicht in jeder Periode der ältesten
Zeit auch Landesgrenze war; schon als die Hermunduren mit den Calder um
Salzquellen im jetzigen Franken kämpften, hatten sie ihn an seinem Westende
übersprungen, mehr als einmal dehnten sie sich bis an den Mai", ja bis
an die römische Südgrenze aus, aber als sie von Burgundern und später von
den Franken zurückgedrängt wurden, wahrte der heilige Weg der Wasserscheide
seine alte Bedeutung, und er hat sie im Ganzen genommen bis zur Gegen¬
wart behalten.

Was hier angedeutet, nicht ausgeführt wurde, das würde reichliche Stütze
und Begrenzung finden, wenn wir möglichst vollständig unterrichtet wären über
die örtlichen Ueberlieferungen, welche nicht nur in Urkunden und alten Auf¬
zeichnungen, sondern auch im Munde des Volles erhalten sind, wenn die Namen
der Berge, Waldstücke, Fluren, Quelle" genau untersucht würden, wenn von
den mystischen Sage", welche in den Waldvrten selbst noch etwa leben, Zu¬
verlässiges aufgezeichnet würde. Dann konnten wir nicht wenige der alten
Götternamen in Ortsbezeichnungen, in Sagen und Märchen wiederfinden, wir


Deshalb ist die Annahme wohlberechtigt, daß der Rcnnstieg ursprünglich
ein Pfad der heiligen Wasserscheide und ein Cultusweg der Thüringer gewesen
sei, auf welchem an großen Festen der Götterwagen fortgezogen wurde und
schon zur Zeit des Tacitus die heidnischen Vorfahren Martin Luthers das
Opfcrmesscr zuckten, und über den niedergebrannten Holzstoß sprangen.

Der Name Rcnnstieg aber war kein alter, diesem Bergpfad allein zustehen¬
der Eigenname, sondern eine durch Mitteldeutschland reichende Bezeichnung für
Wege der Wasserscheide, es ist daher natürlich, daß er nur zufällig gebraucht
wird. Hatte der Rennstieg Thüringens damals einen oder mehre alte Eigen¬
namen, so waren diese zuverlässig aus heidnischem Cultus hervorgegangen und
im frühen Mittelalter den geistlichen Schreibern der Urkunden und Annalen
so anstößig, daß sie so viel möglich vermieden, die teuflischen Worte zu ge¬
brauchen.

Wenn aber auch die Anlage des Weges in den mythischen Vorstellungen
der Ureinwohner wurzelt, so ist doch seine Auffassung als Grcnzweg deshalb
kein Irrthum. Ja sie erhält erst dadurch die rechte Bestätigung. Denn gerade
weil das Volk das göttliche Leben seiner Bäche und Ströme in der Quelle
sucht, wird auch die gefaßte Quelle, der Brunnen, gern als Grenze des Ortes
wie des Volk'es aufgefaßt. Das gilt schon in der Ebene, es ist vollends ge¬
boten bei Höhenzügen und Gebirgen, wo Mutter Erde selbst jedem sichtbar ent¬
scheidet, welchem Lande sie die Wasserfluth zusenden will. Deshalb gehören
Gebirgskämme überall zu den ältesten und festesten Grenzen, und deshalb dürfen
wir mit Sicherheit annehmen, daß der Nennstieg auch Voltsgrenzc gewesen ist
seit die Deutschen in getrennten Stämmen Berge und Thäler Mitteleuropas
besetzten. Wir wissen, daß der Nennstieg nicht in jeder Periode der ältesten
Zeit auch Landesgrenze war; schon als die Hermunduren mit den Calder um
Salzquellen im jetzigen Franken kämpften, hatten sie ihn an seinem Westende
übersprungen, mehr als einmal dehnten sie sich bis an den Mai», ja bis
an die römische Südgrenze aus, aber als sie von Burgundern und später von
den Franken zurückgedrängt wurden, wahrte der heilige Weg der Wasserscheide
seine alte Bedeutung, und er hat sie im Ganzen genommen bis zur Gegen¬
wart behalten.

Was hier angedeutet, nicht ausgeführt wurde, das würde reichliche Stütze
und Begrenzung finden, wenn wir möglichst vollständig unterrichtet wären über
die örtlichen Ueberlieferungen, welche nicht nur in Urkunden und alten Auf¬
zeichnungen, sondern auch im Munde des Volles erhalten sind, wenn die Namen
der Berge, Waldstücke, Fluren, Quelle» genau untersucht würden, wenn von
den mystischen Sage», welche in den Waldvrten selbst noch etwa leben, Zu¬
verlässiges aufgezeichnet würde. Dann konnten wir nicht wenige der alten
Götternamen in Ortsbezeichnungen, in Sagen und Märchen wiederfinden, wir


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[0222] Deshalb ist die Annahme wohlberechtigt, daß der Rcnnstieg ursprünglich ein Pfad der heiligen Wasserscheide und ein Cultusweg der Thüringer gewesen sei, auf welchem an großen Festen der Götterwagen fortgezogen wurde und schon zur Zeit des Tacitus die heidnischen Vorfahren Martin Luthers das Opfcrmesscr zuckten, und über den niedergebrannten Holzstoß sprangen. Der Name Rcnnstieg aber war kein alter, diesem Bergpfad allein zustehen¬ der Eigenname, sondern eine durch Mitteldeutschland reichende Bezeichnung für Wege der Wasserscheide, es ist daher natürlich, daß er nur zufällig gebraucht wird. Hatte der Rennstieg Thüringens damals einen oder mehre alte Eigen¬ namen, so waren diese zuverlässig aus heidnischem Cultus hervorgegangen und im frühen Mittelalter den geistlichen Schreibern der Urkunden und Annalen so anstößig, daß sie so viel möglich vermieden, die teuflischen Worte zu ge¬ brauchen. Wenn aber auch die Anlage des Weges in den mythischen Vorstellungen der Ureinwohner wurzelt, so ist doch seine Auffassung als Grcnzweg deshalb kein Irrthum. Ja sie erhält erst dadurch die rechte Bestätigung. Denn gerade weil das Volk das göttliche Leben seiner Bäche und Ströme in der Quelle sucht, wird auch die gefaßte Quelle, der Brunnen, gern als Grenze des Ortes wie des Volk'es aufgefaßt. Das gilt schon in der Ebene, es ist vollends ge¬ boten bei Höhenzügen und Gebirgen, wo Mutter Erde selbst jedem sichtbar ent¬ scheidet, welchem Lande sie die Wasserfluth zusenden will. Deshalb gehören Gebirgskämme überall zu den ältesten und festesten Grenzen, und deshalb dürfen wir mit Sicherheit annehmen, daß der Nennstieg auch Voltsgrenzc gewesen ist seit die Deutschen in getrennten Stämmen Berge und Thäler Mitteleuropas besetzten. Wir wissen, daß der Nennstieg nicht in jeder Periode der ältesten Zeit auch Landesgrenze war; schon als die Hermunduren mit den Calder um Salzquellen im jetzigen Franken kämpften, hatten sie ihn an seinem Westende übersprungen, mehr als einmal dehnten sie sich bis an den Mai», ja bis an die römische Südgrenze aus, aber als sie von Burgundern und später von den Franken zurückgedrängt wurden, wahrte der heilige Weg der Wasserscheide seine alte Bedeutung, und er hat sie im Ganzen genommen bis zur Gegen¬ wart behalten. Was hier angedeutet, nicht ausgeführt wurde, das würde reichliche Stütze und Begrenzung finden, wenn wir möglichst vollständig unterrichtet wären über die örtlichen Ueberlieferungen, welche nicht nur in Urkunden und alten Auf¬ zeichnungen, sondern auch im Munde des Volles erhalten sind, wenn die Namen der Berge, Waldstücke, Fluren, Quelle» genau untersucht würden, wenn von den mystischen Sage», welche in den Waldvrten selbst noch etwa leben, Zu¬ verlässiges aufgezeichnet würde. Dann konnten wir nicht wenige der alten Götternamen in Ortsbezeichnungen, in Sagen und Märchen wiederfinden, wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/222>, abgerufen am 23.07.2024.