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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Erinnerungen der Landschaft, er wird in Urkunden des spätern Mittelalters
mehr als einmal genannt und Jahrhunderte bevor sein Name in Urkunden er¬
scheint, z. B. im Jahr 1039 und 1227 als Straße oder als gerodeter Stieg
erwähnt. Seine Anlage fällt also in eine Zeit, aus welcher uns geschichtliche
Nachrichten nur spärlich oder gar nicht überliefert sind. Seine Linie ist sicher immer
dieselbe geblieben, er ist nur in kurzen Strecken, und wohl erst in neuer Zeit
bepflanzt worden,, dem Forstmann, dem Bewohner der nächsten Thäler gehört
er zu den werthen Eigenheiten des schonen Waldes, an welchem sein ganzes
Herz hängt. Es war ein unglücklicher Versuch, ihn als alten Handelsweg oder
als Heerstraße zu deuten. Wir kennen ziemlich genau den Lauf der ältesten
Straßen, welche quer über den Wald nach Thüringen und zwischen Wald und
Harz vom Rhein und Main zu Saale und Elbe führten, der Rennstieg gehört
nicht zu ihnen. Und wie sollte er für Kaufleute und Waaren angelegt sein, in
unheimlicher, menschenleerer Waldödc, Naubanfällcn weit mehr als jeder andere
Weg ausgesetzt, an einzelnen Stellen für Waarentransporte überhaupt nicht
Passirbar. Selbst der Ausdauer römischer Legionen war ein sechs bis achttägiger
Marsch ohne Reiterei und Gepäck durch feindliche Wälder und Felsen, ein mi߬
liches und verzweifeltes Unternehmen. Und wohin sollte ein solcher Weg füh¬
ren? wieder in Waldwüste" und Schluchten des Vvigtlandcs und des Erz¬
gebirges. Endlich, wie konnte ein solcher Pfad, irgend einmal in der Urzeit
für eine Unternehmung ausgeholzt, unversehrt durch Jahrtausende dauern? Seit
im Mittelalter der erste Dämmerschein historischer Kunde durch die dichten
Gipfel seiner Bäume brach, zur Zeit der Karolinger, da lag die Löuba, so hieß
damals wenigstens ein Theil des gothaischen Waldgebirges, als eine Wildniß
da, mit den ersten christlichen Kirchen und Kapellen an ihrem Saum. Und
daß sich seit den Sachsen- und Frankenkaisern die aufstrebenden Dynasten, welche
allmälig die Landeshoheit über den Wald erhielten, nicht freundnachbarlich ge¬
einigt haben, eine ziemlich unnütze breite Straße über das Gebirge auszuhauen,
wird jedem klar, der die Verhältnisse mittelalterlicher Herrscher ins Auge faßt.

Seine Entstehung muß in eine Zeit fallen, wo eine größere Volkskraft sich
dabei thätig erweisen konnte, und in dieser Zeit mußte die Anlage ein wichtiges
und nothwendiges Unternehmen sein.

Straßen und Pfades welche den Namen Rainweg, Rennweg, Neensteig
führten, gab es mehre, zumal auf fränkischem Grunde, und es lag nahe,
dieselben als alte Grenzwege -- von Rain, Grenzsaum -- aufzufassen,
welche Dörfer, Gaue, oder Völkerschaften von einander getrennt haben. Daß
auch der größte und berühmteste dieser Wege der Rennstieg des Waldes
im Ganzen betrachtet, die Südgrenze Thüringens und die Völkerscheide der
Thüringer und Franken bezeichnet hat, ist unzweifelhaft. Er mag schon in der
Urzeit Hermunduren von Kalten und wieder Markomannen von Burgundern


Erinnerungen der Landschaft, er wird in Urkunden des spätern Mittelalters
mehr als einmal genannt und Jahrhunderte bevor sein Name in Urkunden er¬
scheint, z. B. im Jahr 1039 und 1227 als Straße oder als gerodeter Stieg
erwähnt. Seine Anlage fällt also in eine Zeit, aus welcher uns geschichtliche
Nachrichten nur spärlich oder gar nicht überliefert sind. Seine Linie ist sicher immer
dieselbe geblieben, er ist nur in kurzen Strecken, und wohl erst in neuer Zeit
bepflanzt worden,, dem Forstmann, dem Bewohner der nächsten Thäler gehört
er zu den werthen Eigenheiten des schonen Waldes, an welchem sein ganzes
Herz hängt. Es war ein unglücklicher Versuch, ihn als alten Handelsweg oder
als Heerstraße zu deuten. Wir kennen ziemlich genau den Lauf der ältesten
Straßen, welche quer über den Wald nach Thüringen und zwischen Wald und
Harz vom Rhein und Main zu Saale und Elbe führten, der Rennstieg gehört
nicht zu ihnen. Und wie sollte er für Kaufleute und Waaren angelegt sein, in
unheimlicher, menschenleerer Waldödc, Naubanfällcn weit mehr als jeder andere
Weg ausgesetzt, an einzelnen Stellen für Waarentransporte überhaupt nicht
Passirbar. Selbst der Ausdauer römischer Legionen war ein sechs bis achttägiger
Marsch ohne Reiterei und Gepäck durch feindliche Wälder und Felsen, ein mi߬
liches und verzweifeltes Unternehmen. Und wohin sollte ein solcher Weg füh¬
ren? wieder in Waldwüste» und Schluchten des Vvigtlandcs und des Erz¬
gebirges. Endlich, wie konnte ein solcher Pfad, irgend einmal in der Urzeit
für eine Unternehmung ausgeholzt, unversehrt durch Jahrtausende dauern? Seit
im Mittelalter der erste Dämmerschein historischer Kunde durch die dichten
Gipfel seiner Bäume brach, zur Zeit der Karolinger, da lag die Löuba, so hieß
damals wenigstens ein Theil des gothaischen Waldgebirges, als eine Wildniß
da, mit den ersten christlichen Kirchen und Kapellen an ihrem Saum. Und
daß sich seit den Sachsen- und Frankenkaisern die aufstrebenden Dynasten, welche
allmälig die Landeshoheit über den Wald erhielten, nicht freundnachbarlich ge¬
einigt haben, eine ziemlich unnütze breite Straße über das Gebirge auszuhauen,
wird jedem klar, der die Verhältnisse mittelalterlicher Herrscher ins Auge faßt.

Seine Entstehung muß in eine Zeit fallen, wo eine größere Volkskraft sich
dabei thätig erweisen konnte, und in dieser Zeit mußte die Anlage ein wichtiges
und nothwendiges Unternehmen sein.

Straßen und Pfades welche den Namen Rainweg, Rennweg, Neensteig
führten, gab es mehre, zumal auf fränkischem Grunde, und es lag nahe,
dieselben als alte Grenzwege — von Rain, Grenzsaum — aufzufassen,
welche Dörfer, Gaue, oder Völkerschaften von einander getrennt haben. Daß
auch der größte und berühmteste dieser Wege der Rennstieg des Waldes
im Ganzen betrachtet, die Südgrenze Thüringens und die Völkerscheide der
Thüringer und Franken bezeichnet hat, ist unzweifelhaft. Er mag schon in der
Urzeit Hermunduren von Kalten und wieder Markomannen von Burgundern


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[0220] Erinnerungen der Landschaft, er wird in Urkunden des spätern Mittelalters mehr als einmal genannt und Jahrhunderte bevor sein Name in Urkunden er¬ scheint, z. B. im Jahr 1039 und 1227 als Straße oder als gerodeter Stieg erwähnt. Seine Anlage fällt also in eine Zeit, aus welcher uns geschichtliche Nachrichten nur spärlich oder gar nicht überliefert sind. Seine Linie ist sicher immer dieselbe geblieben, er ist nur in kurzen Strecken, und wohl erst in neuer Zeit bepflanzt worden,, dem Forstmann, dem Bewohner der nächsten Thäler gehört er zu den werthen Eigenheiten des schonen Waldes, an welchem sein ganzes Herz hängt. Es war ein unglücklicher Versuch, ihn als alten Handelsweg oder als Heerstraße zu deuten. Wir kennen ziemlich genau den Lauf der ältesten Straßen, welche quer über den Wald nach Thüringen und zwischen Wald und Harz vom Rhein und Main zu Saale und Elbe führten, der Rennstieg gehört nicht zu ihnen. Und wie sollte er für Kaufleute und Waaren angelegt sein, in unheimlicher, menschenleerer Waldödc, Naubanfällcn weit mehr als jeder andere Weg ausgesetzt, an einzelnen Stellen für Waarentransporte überhaupt nicht Passirbar. Selbst der Ausdauer römischer Legionen war ein sechs bis achttägiger Marsch ohne Reiterei und Gepäck durch feindliche Wälder und Felsen, ein mi߬ liches und verzweifeltes Unternehmen. Und wohin sollte ein solcher Weg füh¬ ren? wieder in Waldwüste» und Schluchten des Vvigtlandcs und des Erz¬ gebirges. Endlich, wie konnte ein solcher Pfad, irgend einmal in der Urzeit für eine Unternehmung ausgeholzt, unversehrt durch Jahrtausende dauern? Seit im Mittelalter der erste Dämmerschein historischer Kunde durch die dichten Gipfel seiner Bäume brach, zur Zeit der Karolinger, da lag die Löuba, so hieß damals wenigstens ein Theil des gothaischen Waldgebirges, als eine Wildniß da, mit den ersten christlichen Kirchen und Kapellen an ihrem Saum. Und daß sich seit den Sachsen- und Frankenkaisern die aufstrebenden Dynasten, welche allmälig die Landeshoheit über den Wald erhielten, nicht freundnachbarlich ge¬ einigt haben, eine ziemlich unnütze breite Straße über das Gebirge auszuhauen, wird jedem klar, der die Verhältnisse mittelalterlicher Herrscher ins Auge faßt. Seine Entstehung muß in eine Zeit fallen, wo eine größere Volkskraft sich dabei thätig erweisen konnte, und in dieser Zeit mußte die Anlage ein wichtiges und nothwendiges Unternehmen sein. Straßen und Pfades welche den Namen Rainweg, Rennweg, Neensteig führten, gab es mehre, zumal auf fränkischem Grunde, und es lag nahe, dieselben als alte Grenzwege — von Rain, Grenzsaum — aufzufassen, welche Dörfer, Gaue, oder Völkerschaften von einander getrennt haben. Daß auch der größte und berühmteste dieser Wege der Rennstieg des Waldes im Ganzen betrachtet, die Südgrenze Thüringens und die Völkerscheide der Thüringer und Franken bezeichnet hat, ist unzweifelhaft. Er mag schon in der Urzeit Hermunduren von Kalten und wieder Markomannen von Burgundern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/220>, abgerufen am 23.07.2024.