Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.Was habt Ihr denn Gutes gelernt aus unserer Predigt? Bchbdr. Gar viel Diese und noch viel mehr kurzweilige Gespräche, so zum Theil vergessen So weit der Bericht aus der Flugschrift. Der kleine Ketzer mit seiner Was habt Ihr denn Gutes gelernt aus unserer Predigt? Bchbdr. Gar viel Diese und noch viel mehr kurzweilige Gespräche, so zum Theil vergessen So weit der Bericht aus der Flugschrift. Der kleine Ketzer mit seiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188751"/> <p xml:id="ID_651" prev="#ID_650"> Was habt Ihr denn Gutes gelernt aus unserer Predigt? Bchbdr. Gar viel<lb/> Gutes, ich wollte es nicht um vieles Geld geben. Pater. El, was ist das<lb/> Gute? Sagt mir es doch bald her. Bchbdr. In Eurem Evangelio steht:<lb/> „Und sie reichten ihm einen Pfennig dar," in unserm aber: „und sie reichten<lb/> ihm einen Groschen dar." Unser Evangelium ist doch wenigstens elf Pfennige<lb/> mehr werth als Eures. Denn Christus frägt weiter: „Weh ist das Bild und<lb/> die Ueberschrift? Sie sprachen: des Kaisers." Pater: Ja, mein Buchbinder,<lb/> Ihr müßt wissen, das! man zur selben Zeit so große Pfennige machte, welche<lb/> man hernach Groschen genannthat. Bchbdr. Nein, Herr Pater, Euer Pfennig<lb/> ist falsch, man hat sein Lebtag nicht erfahren noch gehört, daß auf einen Pfennig<lb/> des Kaisers Bild und Überschrift wäre geprägt worden." Damit ging der<lb/> Pater zornig von ihm, und der Buchbinder in Ruhe und Friede nach Hause.</p><lb/> <p xml:id="ID_652"> Diese und noch viel mehr kurzweilige Gespräche, so zum Theil vergessen<lb/> sind: hat der selige Buchbinder gehalten, und er ist einzig und allein übrig<lb/> geblieben, gut evangelisch bis an sein Ende, und ungefähr zehn Jahre nachher<lb/> gestorben.</p><lb/> <p xml:id="ID_653" next="#ID_654"> So weit der Bericht aus der Flugschrift. Der kleine Ketzer mit seiner<lb/> Neigung zu Eulcnspicgelstrcichcn. mit schlagfertiger Dialektik und fester Bibel¬<lb/> kenntniß ist kein übler Repräsentant des frischen Selbstgefühls, mit welchem das<lb/> Volk bis in die Mitte des grausamen Krieges ging. Die hundertfünfzig Jahre<lb/> nach der Verwüstung unserer Volkskraft brachten den deutschen Stämmen die<lb/> größten innern Wandlungen. Der Pietismus kam in das Land und gab<lb/> dem verwilderten Volke an Stelle des theologischen Gezänkes erhöhte Wärme der<lb/> religiösen Empfindung, Innigkeit, Weichheit und eine schwärmerische Sehnsucht<lb/> nach den Freuden des Jenseits. Und unmittelbar nach ihm brachte das große<lb/> Jahrhundert der Aufklärung Kenntnisse, methodische Zucht des Denkens, eine<lb/> schärfere und unbefangenere Auffassung der Objecte. Die Wissenschaft erwuchs<lb/> zur Lehrerin des Volkes. Das neue Licht warf seine Strahlen allmälig auch<lb/> in die enge Behausung der Kleinen, mit anderer Methode als früher begann<lb/> das Volk zu sinnen und denken, nicht mehr nach dem Wortlaut der Schrift<lb/> wurden die Erscheinungen des Lebens beurtheilt, der gesunde Menschenverstand<lb/> fing sclbstt'rästig an Weltliches und Heiliges kritisch zu betrachten, in jedem<lb/> Dorf gab es Einzelne, welche den Aberglauben ihrer Nachbarn verlachten, welche<lb/> mehr auf die Moral als die Dogmatik der religiösen Ueberlieferungen gaben,<lb/> hier und da ein Buch lasen und Wohl gar für keine Beleidigung hielten, wenn<lb/> sie Freigeister genannt wurden. So regte sichs im letzten Drittel des Vongen<lb/> Jahrhunderts in den meiste» Landschaften Deutschlands. Anders in Oestreich.<lb/> Dort war, Wien und wenige andere Städte abgerechnet, dem Volke ein Jahr¬<lb/> hundert verschwunden wie ein Traum. Ja man darf sagen, die Selbstthätigkeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
Was habt Ihr denn Gutes gelernt aus unserer Predigt? Bchbdr. Gar viel
Gutes, ich wollte es nicht um vieles Geld geben. Pater. El, was ist das
Gute? Sagt mir es doch bald her. Bchbdr. In Eurem Evangelio steht:
„Und sie reichten ihm einen Pfennig dar," in unserm aber: „und sie reichten
ihm einen Groschen dar." Unser Evangelium ist doch wenigstens elf Pfennige
mehr werth als Eures. Denn Christus frägt weiter: „Weh ist das Bild und
die Ueberschrift? Sie sprachen: des Kaisers." Pater: Ja, mein Buchbinder,
Ihr müßt wissen, das! man zur selben Zeit so große Pfennige machte, welche
man hernach Groschen genannthat. Bchbdr. Nein, Herr Pater, Euer Pfennig
ist falsch, man hat sein Lebtag nicht erfahren noch gehört, daß auf einen Pfennig
des Kaisers Bild und Überschrift wäre geprägt worden." Damit ging der
Pater zornig von ihm, und der Buchbinder in Ruhe und Friede nach Hause.
Diese und noch viel mehr kurzweilige Gespräche, so zum Theil vergessen
sind: hat der selige Buchbinder gehalten, und er ist einzig und allein übrig
geblieben, gut evangelisch bis an sein Ende, und ungefähr zehn Jahre nachher
gestorben.
So weit der Bericht aus der Flugschrift. Der kleine Ketzer mit seiner
Neigung zu Eulcnspicgelstrcichcn. mit schlagfertiger Dialektik und fester Bibel¬
kenntniß ist kein übler Repräsentant des frischen Selbstgefühls, mit welchem das
Volk bis in die Mitte des grausamen Krieges ging. Die hundertfünfzig Jahre
nach der Verwüstung unserer Volkskraft brachten den deutschen Stämmen die
größten innern Wandlungen. Der Pietismus kam in das Land und gab
dem verwilderten Volke an Stelle des theologischen Gezänkes erhöhte Wärme der
religiösen Empfindung, Innigkeit, Weichheit und eine schwärmerische Sehnsucht
nach den Freuden des Jenseits. Und unmittelbar nach ihm brachte das große
Jahrhundert der Aufklärung Kenntnisse, methodische Zucht des Denkens, eine
schärfere und unbefangenere Auffassung der Objecte. Die Wissenschaft erwuchs
zur Lehrerin des Volkes. Das neue Licht warf seine Strahlen allmälig auch
in die enge Behausung der Kleinen, mit anderer Methode als früher begann
das Volk zu sinnen und denken, nicht mehr nach dem Wortlaut der Schrift
wurden die Erscheinungen des Lebens beurtheilt, der gesunde Menschenverstand
fing sclbstt'rästig an Weltliches und Heiliges kritisch zu betrachten, in jedem
Dorf gab es Einzelne, welche den Aberglauben ihrer Nachbarn verlachten, welche
mehr auf die Moral als die Dogmatik der religiösen Ueberlieferungen gaben,
hier und da ein Buch lasen und Wohl gar für keine Beleidigung hielten, wenn
sie Freigeister genannt wurden. So regte sichs im letzten Drittel des Vongen
Jahrhunderts in den meiste» Landschaften Deutschlands. Anders in Oestreich.
Dort war, Wien und wenige andere Städte abgerechnet, dem Volke ein Jahr¬
hundert verschwunden wie ein Traum. Ja man darf sagen, die Selbstthätigkeit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |