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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Vorschrift zu malen, nicht weil dies incorrect sei, sondern weil es ihnen un¬
genügend war.

In der That ist sehr ergötzlich, die alten Manuscripte ans dem vierzehnten
Jahrhundert zu lesen, welche künstlerische Recepte und Vorschriften enthalten.
Man findet "darin die ernsthafte und wichtig behandelte Angabe, wie ein Kleid
-- ein Heiligenschein -- Goldbrokat -- lebendiges und todtes Fleisch ein
Mann mit einer Wunde -- alte und junge Gesichter -- Wasser mit und ohne
Fische -- zu malen seien. So streng und gewissenhaft sind diese Regeln, daß
man sich leicht vorstellen kann, wie von festen conservativen Technikern ein
Neuerungssnchtiger als ein Wesen angesehen wurde, das für die Wohlfahrt der
Malerei weit gefahrbringender sei, als ein Ketzer dem Frieden der alleinselig¬
machenden Kirche. Auch waren diese alten Künstler tief durchdrungen von der
feierlichen Wichtigkeit ihrer Sache. Nicht nur, daß Enthaltsamkeit im Essen
und Trinken geboten war, auch jede Leidenschaft mußte vor der Arbeit unter¬
drückt werden"). Nun, Entwurf und Zeichnung konnten dadurch nur gewinnen.
Aber das Schwerste kam erst, wenn es galt die Farben aufzutragen. Cennini
sagt: "Wenn Du anfängst zu malen, so rufe die heilige Dreieinigkeit an."

Bei dem entschiedenen Streben, nach der Natur und nicht nach überlieferten
Schablonen zu malen, ist es wohl gerechtfertigt vorauszusetzen, daß die Realisten
sich nach neuen Mitteln und neuen Vortheilen sehnten, obgleich auch sie zweifel¬
los vor einem plötzlichen Wechsel des alten Hergebrachten zurückgeschreckt sein
würden. >

Der Gebrauch von gekochtem Oel war in Italien nicht so gewöhnlich als
in den nördlichen Ländern und es fehlt jeglicher Anhaltepunkt, wenn dasselbe
in Italien zum ersten Mal mit dem Firniß vermischt wurde. Aber eine gründ¬
liche Prüfung lehrt uns, daß nicht nur in der vereinzelten Altartafel von San
Lucia de'Bardi, sondern auch in denen der Peselli Abweichungen vom Alten
in dieser Richtung vorkamen; und man kann sich leicht denken, wie bald die
unmittelbaren Vortheile dieser Neuerungen sichtbar werden mußten, namentlich
in dem Ausmalen der Gewänder, des Hintergrundes und des Laubwerks der
Bäume, das durch scharfe Umrisse zu definiren war.

Wir nannten "die Peselli", weil die Lebensfaden von Pesello und Pesellino
eng in einander verschlungen sind. Giuliano d'Arrigo, gewöhnlich Pesello ge-
nannt, wurde 1367 geboren, und später genau mit Agnolv Gaddi befreundet,
in dessen Atelier sich Cennino Cennini jene Angaben erwarb, die er in sein
"I.ibi-o ekelt'^re,"" einflocht. Pesello betheiligte sich an den Concurrenzarbeiten,



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Grenzboten II. 18U4. 22

Vorschrift zu malen, nicht weil dies incorrect sei, sondern weil es ihnen un¬
genügend war.

In der That ist sehr ergötzlich, die alten Manuscripte ans dem vierzehnten
Jahrhundert zu lesen, welche künstlerische Recepte und Vorschriften enthalten.
Man findet »darin die ernsthafte und wichtig behandelte Angabe, wie ein Kleid
— ein Heiligenschein — Goldbrokat — lebendiges und todtes Fleisch ein
Mann mit einer Wunde — alte und junge Gesichter — Wasser mit und ohne
Fische — zu malen seien. So streng und gewissenhaft sind diese Regeln, daß
man sich leicht vorstellen kann, wie von festen conservativen Technikern ein
Neuerungssnchtiger als ein Wesen angesehen wurde, das für die Wohlfahrt der
Malerei weit gefahrbringender sei, als ein Ketzer dem Frieden der alleinselig¬
machenden Kirche. Auch waren diese alten Künstler tief durchdrungen von der
feierlichen Wichtigkeit ihrer Sache. Nicht nur, daß Enthaltsamkeit im Essen
und Trinken geboten war, auch jede Leidenschaft mußte vor der Arbeit unter¬
drückt werden"). Nun, Entwurf und Zeichnung konnten dadurch nur gewinnen.
Aber das Schwerste kam erst, wenn es galt die Farben aufzutragen. Cennini
sagt: „Wenn Du anfängst zu malen, so rufe die heilige Dreieinigkeit an."

Bei dem entschiedenen Streben, nach der Natur und nicht nach überlieferten
Schablonen zu malen, ist es wohl gerechtfertigt vorauszusetzen, daß die Realisten
sich nach neuen Mitteln und neuen Vortheilen sehnten, obgleich auch sie zweifel¬
los vor einem plötzlichen Wechsel des alten Hergebrachten zurückgeschreckt sein
würden. >

Der Gebrauch von gekochtem Oel war in Italien nicht so gewöhnlich als
in den nördlichen Ländern und es fehlt jeglicher Anhaltepunkt, wenn dasselbe
in Italien zum ersten Mal mit dem Firniß vermischt wurde. Aber eine gründ¬
liche Prüfung lehrt uns, daß nicht nur in der vereinzelten Altartafel von San
Lucia de'Bardi, sondern auch in denen der Peselli Abweichungen vom Alten
in dieser Richtung vorkamen; und man kann sich leicht denken, wie bald die
unmittelbaren Vortheile dieser Neuerungen sichtbar werden mußten, namentlich
in dem Ausmalen der Gewänder, des Hintergrundes und des Laubwerks der
Bäume, das durch scharfe Umrisse zu definiren war.

Wir nannten „die Peselli", weil die Lebensfaden von Pesello und Pesellino
eng in einander verschlungen sind. Giuliano d'Arrigo, gewöhnlich Pesello ge-
nannt, wurde 1367 geboren, und später genau mit Agnolv Gaddi befreundet,
in dessen Atelier sich Cennino Cennini jene Angaben erwarb, die er in sein
„I.ibi-o ekelt'^re,«" einflocht. Pesello betheiligte sich an den Concurrenzarbeiten,



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[0177] Vorschrift zu malen, nicht weil dies incorrect sei, sondern weil es ihnen un¬ genügend war. In der That ist sehr ergötzlich, die alten Manuscripte ans dem vierzehnten Jahrhundert zu lesen, welche künstlerische Recepte und Vorschriften enthalten. Man findet »darin die ernsthafte und wichtig behandelte Angabe, wie ein Kleid — ein Heiligenschein — Goldbrokat — lebendiges und todtes Fleisch ein Mann mit einer Wunde — alte und junge Gesichter — Wasser mit und ohne Fische — zu malen seien. So streng und gewissenhaft sind diese Regeln, daß man sich leicht vorstellen kann, wie von festen conservativen Technikern ein Neuerungssnchtiger als ein Wesen angesehen wurde, das für die Wohlfahrt der Malerei weit gefahrbringender sei, als ein Ketzer dem Frieden der alleinselig¬ machenden Kirche. Auch waren diese alten Künstler tief durchdrungen von der feierlichen Wichtigkeit ihrer Sache. Nicht nur, daß Enthaltsamkeit im Essen und Trinken geboten war, auch jede Leidenschaft mußte vor der Arbeit unter¬ drückt werden"). Nun, Entwurf und Zeichnung konnten dadurch nur gewinnen. Aber das Schwerste kam erst, wenn es galt die Farben aufzutragen. Cennini sagt: „Wenn Du anfängst zu malen, so rufe die heilige Dreieinigkeit an." Bei dem entschiedenen Streben, nach der Natur und nicht nach überlieferten Schablonen zu malen, ist es wohl gerechtfertigt vorauszusetzen, daß die Realisten sich nach neuen Mitteln und neuen Vortheilen sehnten, obgleich auch sie zweifel¬ los vor einem plötzlichen Wechsel des alten Hergebrachten zurückgeschreckt sein würden. > Der Gebrauch von gekochtem Oel war in Italien nicht so gewöhnlich als in den nördlichen Ländern und es fehlt jeglicher Anhaltepunkt, wenn dasselbe in Italien zum ersten Mal mit dem Firniß vermischt wurde. Aber eine gründ¬ liche Prüfung lehrt uns, daß nicht nur in der vereinzelten Altartafel von San Lucia de'Bardi, sondern auch in denen der Peselli Abweichungen vom Alten in dieser Richtung vorkamen; und man kann sich leicht denken, wie bald die unmittelbaren Vortheile dieser Neuerungen sichtbar werden mußten, namentlich in dem Ausmalen der Gewänder, des Hintergrundes und des Laubwerks der Bäume, das durch scharfe Umrisse zu definiren war. Wir nannten „die Peselli", weil die Lebensfaden von Pesello und Pesellino eng in einander verschlungen sind. Giuliano d'Arrigo, gewöhnlich Pesello ge- nannt, wurde 1367 geboren, und später genau mit Agnolv Gaddi befreundet, in dessen Atelier sich Cennino Cennini jene Angaben erwarb, die er in sein „I.ibi-o ekelt'^re,«" einflocht. Pesello betheiligte sich an den Concurrenzarbeiten, ") ^.reor el d uns esginno, eus, »ssnänls, pu» »IIsWei'ii-s tönen ig, man», et« snärs piu arisAÄnSo, s volsnä» ssssi pin ode ion 5s, Is koglis »I vsnto. N czussts si s non nssn6n troppo >s coups^mis äeUs, kemmins. vsnnini 1<ibi'0 äoU '.Vrte Osp. 29 p. 18. Grenzboten II. 18U4. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/177>, abgerufen am 25.08.2024.