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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Judenthum sich anschloß, um so mehr hing ihm auch noch der jüdische Particu-
larismus an; die erste Frage, welche eine Differenz hervorrief, war daher die
nach dem Umfang des christlichen Heilprincips, ob dasselbe nur gebornen Juden,
oder ob und unter welchen Bedingungen es auch gläubigen Heiden zu Theil
werde. Mitten in diesem Kampfe stehend, zeigen uns die paulinischen Briefe
den großen Heidenapostel. Von Paulus erst datirt der universale Charakter
des Christenthums, und die Geschichte der Losreißung des Christenthums vom
Judenthum ist die Geschichte seiner zwei ersten Jahrhunderte. Wie jener Kampf
nun zuerst persönlich von Paulus durchgefochten wurde, welche Phasen er in
der Folge noch durchzumachen hatte, wie er allmälig sich abschwächte, eine ver¬
mittelnde ausgleichende Richtung Platz griff, bis endlich die Gegensätze sich im
katholischen Dogma und in der katholischen Kirche zusammenschlossen -- dies
im Einzelnen zu verfolgen, an den Erzeugnissen der urchristlicher Literatur, der
kanonischen sowohl als der nichtkanonischen nachzuweisen und diese somit als
Zeugnisse für die verschiedenen Stadien in jenem Ausglcichungsproceß zu be¬
greifen, dies war nun die Aufgabe, wie sie die geschichtliche Betrachtung der
zwei ersten Jahrhunderte sich gestellt sah.

Diese wesentlich neue Auffassung hatte sich zuerst mit der Apostelgeschichte
auseinanderzusetzen. Denn diese wußte ja nichts von so tief eingreifenden
Gegensätzen; sie schilderte vielmehr das Verhältniß der Urapostel zu Paulus
als das allerfriedlichste, entgcgenkommendste; waren Differenzen vorhanden, so
bestanden sie keineswegs zwischen Paulus und den Uravosteln, sondern zwischen
jenem und unbedeutenden judaisirenden Sekten. Eben auf die Apostelgeschichte
war deshalb früher überhaupt die Anschauung von den ältesten Zuständen der
Kirche gegründet. Aber man konnte dies nur, indem man an den eignen
klaren Zeugnissen des Apostels in seinen Briefen, die uns mitten in seine
Lage, in seine Kämpfe hineinversetzen, vorbeiging. Wie eifrig muß sich der
Apostel für die Anerkennung seiner apostolischen Autorität, für die Grundlagen
seiner Thätigkeit wehren! Wie leidenschaftlich oder auch ironisch tritt er dabei
gegen die "Säulenapostel" und die von ihnen in Anspruch genommene Autorität
auf! Wie wirft der im zweiten Capitel des Briefes an die Galater erwähnte
Vorfall zwischen Petrus und Paulus in Antiochia mit einem Mal ein Licht auf
die Stellung der beiden Parteien, und wie contrastirt das Abkommen mit den
Urapostein zu Jerusalem, wie es im Eingang desselben Capitels erzählt ist,
mit dem sogenannten Apostelconvent in der Apostelgeschichte (Cap. Is), Nach
der Darstellung der letzteren ist es ein förmliches Concil, zu dem hier die
Apostel, die Presbyter, die ganze Gemeinde sich versammeln. Man erörtert die
vorliegende Frage, stimmt ab, faßt Beschlüsse und theilt diese in besondern
Schreiben den kleinasiatischen Gemeinden als Beschluß des heiligen Geistes mit.
Der Galaterbrief weiß nichts von einem solchen Concil, nach ihm ist es eine


Judenthum sich anschloß, um so mehr hing ihm auch noch der jüdische Particu-
larismus an; die erste Frage, welche eine Differenz hervorrief, war daher die
nach dem Umfang des christlichen Heilprincips, ob dasselbe nur gebornen Juden,
oder ob und unter welchen Bedingungen es auch gläubigen Heiden zu Theil
werde. Mitten in diesem Kampfe stehend, zeigen uns die paulinischen Briefe
den großen Heidenapostel. Von Paulus erst datirt der universale Charakter
des Christenthums, und die Geschichte der Losreißung des Christenthums vom
Judenthum ist die Geschichte seiner zwei ersten Jahrhunderte. Wie jener Kampf
nun zuerst persönlich von Paulus durchgefochten wurde, welche Phasen er in
der Folge noch durchzumachen hatte, wie er allmälig sich abschwächte, eine ver¬
mittelnde ausgleichende Richtung Platz griff, bis endlich die Gegensätze sich im
katholischen Dogma und in der katholischen Kirche zusammenschlossen — dies
im Einzelnen zu verfolgen, an den Erzeugnissen der urchristlicher Literatur, der
kanonischen sowohl als der nichtkanonischen nachzuweisen und diese somit als
Zeugnisse für die verschiedenen Stadien in jenem Ausglcichungsproceß zu be¬
greifen, dies war nun die Aufgabe, wie sie die geschichtliche Betrachtung der
zwei ersten Jahrhunderte sich gestellt sah.

Diese wesentlich neue Auffassung hatte sich zuerst mit der Apostelgeschichte
auseinanderzusetzen. Denn diese wußte ja nichts von so tief eingreifenden
Gegensätzen; sie schilderte vielmehr das Verhältniß der Urapostel zu Paulus
als das allerfriedlichste, entgcgenkommendste; waren Differenzen vorhanden, so
bestanden sie keineswegs zwischen Paulus und den Uravosteln, sondern zwischen
jenem und unbedeutenden judaisirenden Sekten. Eben auf die Apostelgeschichte
war deshalb früher überhaupt die Anschauung von den ältesten Zuständen der
Kirche gegründet. Aber man konnte dies nur, indem man an den eignen
klaren Zeugnissen des Apostels in seinen Briefen, die uns mitten in seine
Lage, in seine Kämpfe hineinversetzen, vorbeiging. Wie eifrig muß sich der
Apostel für die Anerkennung seiner apostolischen Autorität, für die Grundlagen
seiner Thätigkeit wehren! Wie leidenschaftlich oder auch ironisch tritt er dabei
gegen die „Säulenapostel" und die von ihnen in Anspruch genommene Autorität
auf! Wie wirft der im zweiten Capitel des Briefes an die Galater erwähnte
Vorfall zwischen Petrus und Paulus in Antiochia mit einem Mal ein Licht auf
die Stellung der beiden Parteien, und wie contrastirt das Abkommen mit den
Urapostein zu Jerusalem, wie es im Eingang desselben Capitels erzählt ist,
mit dem sogenannten Apostelconvent in der Apostelgeschichte (Cap. Is), Nach
der Darstellung der letzteren ist es ein förmliches Concil, zu dem hier die
Apostel, die Presbyter, die ganze Gemeinde sich versammeln. Man erörtert die
vorliegende Frage, stimmt ab, faßt Beschlüsse und theilt diese in besondern
Schreiben den kleinasiatischen Gemeinden als Beschluß des heiligen Geistes mit.
Der Galaterbrief weiß nichts von einem solchen Concil, nach ihm ist es eine


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[0144] Judenthum sich anschloß, um so mehr hing ihm auch noch der jüdische Particu- larismus an; die erste Frage, welche eine Differenz hervorrief, war daher die nach dem Umfang des christlichen Heilprincips, ob dasselbe nur gebornen Juden, oder ob und unter welchen Bedingungen es auch gläubigen Heiden zu Theil werde. Mitten in diesem Kampfe stehend, zeigen uns die paulinischen Briefe den großen Heidenapostel. Von Paulus erst datirt der universale Charakter des Christenthums, und die Geschichte der Losreißung des Christenthums vom Judenthum ist die Geschichte seiner zwei ersten Jahrhunderte. Wie jener Kampf nun zuerst persönlich von Paulus durchgefochten wurde, welche Phasen er in der Folge noch durchzumachen hatte, wie er allmälig sich abschwächte, eine ver¬ mittelnde ausgleichende Richtung Platz griff, bis endlich die Gegensätze sich im katholischen Dogma und in der katholischen Kirche zusammenschlossen — dies im Einzelnen zu verfolgen, an den Erzeugnissen der urchristlicher Literatur, der kanonischen sowohl als der nichtkanonischen nachzuweisen und diese somit als Zeugnisse für die verschiedenen Stadien in jenem Ausglcichungsproceß zu be¬ greifen, dies war nun die Aufgabe, wie sie die geschichtliche Betrachtung der zwei ersten Jahrhunderte sich gestellt sah. Diese wesentlich neue Auffassung hatte sich zuerst mit der Apostelgeschichte auseinanderzusetzen. Denn diese wußte ja nichts von so tief eingreifenden Gegensätzen; sie schilderte vielmehr das Verhältniß der Urapostel zu Paulus als das allerfriedlichste, entgcgenkommendste; waren Differenzen vorhanden, so bestanden sie keineswegs zwischen Paulus und den Uravosteln, sondern zwischen jenem und unbedeutenden judaisirenden Sekten. Eben auf die Apostelgeschichte war deshalb früher überhaupt die Anschauung von den ältesten Zuständen der Kirche gegründet. Aber man konnte dies nur, indem man an den eignen klaren Zeugnissen des Apostels in seinen Briefen, die uns mitten in seine Lage, in seine Kämpfe hineinversetzen, vorbeiging. Wie eifrig muß sich der Apostel für die Anerkennung seiner apostolischen Autorität, für die Grundlagen seiner Thätigkeit wehren! Wie leidenschaftlich oder auch ironisch tritt er dabei gegen die „Säulenapostel" und die von ihnen in Anspruch genommene Autorität auf! Wie wirft der im zweiten Capitel des Briefes an die Galater erwähnte Vorfall zwischen Petrus und Paulus in Antiochia mit einem Mal ein Licht auf die Stellung der beiden Parteien, und wie contrastirt das Abkommen mit den Urapostein zu Jerusalem, wie es im Eingang desselben Capitels erzählt ist, mit dem sogenannten Apostelconvent in der Apostelgeschichte (Cap. Is), Nach der Darstellung der letzteren ist es ein förmliches Concil, zu dem hier die Apostel, die Presbyter, die ganze Gemeinde sich versammeln. Man erörtert die vorliegende Frage, stimmt ab, faßt Beschlüsse und theilt diese in besondern Schreiben den kleinasiatischen Gemeinden als Beschluß des heiligen Geistes mit. Der Galaterbrief weiß nichts von einem solchen Concil, nach ihm ist es eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/144>, abgerufen am 25.08.2024.