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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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der Ort, um ein Gespräch anzuknüpfen." Ich entgegnete: "warum nicht? sagen
Sie mir immerhin, seit wie lange sind Sie Soldat?" Da sagte er etwas pi-
quirt: "es sind drei Monate." Ich antwortete, "o mein Herr, da kennen
Sie noch nicht das Loos eines Soldaten, das sich in einem Augenblick ändern
kann. Jetzt bin ich Ihr Gefangener, und Sie sind mein Herr; in einer Viertel¬
stunde kann ich der Ihrige sein, was würden Sie von meiner Menschlichkeit
denken, wenn ich Sie zwingen wollte, mit verwundeten Füßen ohne Stiefel
bei solchem Wetter zu marschiren? Ist das menschlich? Ist das der großen Nation
würdig, wie Sie sich nennen?" -- Darauf sagte er! "Sie haben Recht,
bleiben Sie!"

Während ich mich mit dem alten Jsegrimm von Capitain gezankt und
mit dem jungen Offizier parlamentirt hatte, war die Stube ziemlich leer ge¬
worden. Ich legte mich ruhig wieder in meinen Winkel, wo ich nun keinen
Mantel mehr hatte, da der freiwillige Jäger mit marschirt war. Das ganze
Gebahren der französischen Truppen, die Eile, mit der sie jetzt zurückgingen,
überhaupt rückgängige Bewegungen machten, hatte mich überzeugt, daß es mit
ihnen, obgleich sie uns besiegt, schlecht stände, und daß es nur darauf ankäme,
sich irgendwo vierundzwanzig Stunden verbergen zu können, um wieder frei zu
werden. Mein Commandeur hatte noch die am 1. October 1812 empfangene
russische Kugel im Bein, an welcher er über ein Jahr gelegen hatte; er war
nur so weit hergestellt, daß er zur Noth reiten konnte; denn es waren noch
drei Löcher vorhanden, die fast gar nicht schmerzten, aber immer noch verbun¬
den werden mußten. Er brauchte nur seine Beinkleider fallen zu lassen, um zu
constatiren. daß er auch verwundet war, und konnte also ebenfalls da bleiben,
aber es ist ein Unterschied zwischen zweiundzwanzig und einigen vierzig Jahren.

Wir, die wir zurückgeblieben waren, konnten lange nicht einschlafen. Es
wurde viel hin und hergesprochen, alle waren der Meinung, daß es mit den
Franzosen schlimm stände, hegten aber auch die Besorgnis;, es könne Mont-
mirail der Schauplatz eines Gefechts und dann vielleicht durch Granaten in
Brand gesteckt werden, wo wir dann jämmerlich verbrennen müßten. Ich
theilte diese Besorgniß nicht und war überglücklich, dem Transport in der kal¬
ten Februarnacht und noch dazu barfuß entgangen zu sein. So schlief ich denn
endlich ein und blieb bis an den hellen Morgen liegen. Da kam mein Bursche
herauf, der sich unten in dem weitläufigen Hofe mit noch einem Mann von der
Compagnie glücklich versteckt hatte und so dem Transport gleichfalls entgangen
war, und erzählte, daß in der Stadt eine große Stille sei, daß die Einwohner
hin und herliefen und daß keine Wachen mehr da seien. Er sei mit noch
einigen auf der Straße gewesen und sie hätten verstanden, daß Nüssen im Anmarsch
wären. Es dauerte auch gar nicht lange, so hörten wir Trompetengeschmetter.
russische Cavallerie marschirte durch, wir waren also nicht mehr Gefangene.


der Ort, um ein Gespräch anzuknüpfen." Ich entgegnete: „warum nicht? sagen
Sie mir immerhin, seit wie lange sind Sie Soldat?" Da sagte er etwas pi-
quirt: „es sind drei Monate." Ich antwortete, „o mein Herr, da kennen
Sie noch nicht das Loos eines Soldaten, das sich in einem Augenblick ändern
kann. Jetzt bin ich Ihr Gefangener, und Sie sind mein Herr; in einer Viertel¬
stunde kann ich der Ihrige sein, was würden Sie von meiner Menschlichkeit
denken, wenn ich Sie zwingen wollte, mit verwundeten Füßen ohne Stiefel
bei solchem Wetter zu marschiren? Ist das menschlich? Ist das der großen Nation
würdig, wie Sie sich nennen?" — Darauf sagte er! „Sie haben Recht,
bleiben Sie!"

Während ich mich mit dem alten Jsegrimm von Capitain gezankt und
mit dem jungen Offizier parlamentirt hatte, war die Stube ziemlich leer ge¬
worden. Ich legte mich ruhig wieder in meinen Winkel, wo ich nun keinen
Mantel mehr hatte, da der freiwillige Jäger mit marschirt war. Das ganze
Gebahren der französischen Truppen, die Eile, mit der sie jetzt zurückgingen,
überhaupt rückgängige Bewegungen machten, hatte mich überzeugt, daß es mit
ihnen, obgleich sie uns besiegt, schlecht stände, und daß es nur darauf ankäme,
sich irgendwo vierundzwanzig Stunden verbergen zu können, um wieder frei zu
werden. Mein Commandeur hatte noch die am 1. October 1812 empfangene
russische Kugel im Bein, an welcher er über ein Jahr gelegen hatte; er war
nur so weit hergestellt, daß er zur Noth reiten konnte; denn es waren noch
drei Löcher vorhanden, die fast gar nicht schmerzten, aber immer noch verbun¬
den werden mußten. Er brauchte nur seine Beinkleider fallen zu lassen, um zu
constatiren. daß er auch verwundet war, und konnte also ebenfalls da bleiben,
aber es ist ein Unterschied zwischen zweiundzwanzig und einigen vierzig Jahren.

Wir, die wir zurückgeblieben waren, konnten lange nicht einschlafen. Es
wurde viel hin und hergesprochen, alle waren der Meinung, daß es mit den
Franzosen schlimm stände, hegten aber auch die Besorgnis;, es könne Mont-
mirail der Schauplatz eines Gefechts und dann vielleicht durch Granaten in
Brand gesteckt werden, wo wir dann jämmerlich verbrennen müßten. Ich
theilte diese Besorgniß nicht und war überglücklich, dem Transport in der kal¬
ten Februarnacht und noch dazu barfuß entgangen zu sein. So schlief ich denn
endlich ein und blieb bis an den hellen Morgen liegen. Da kam mein Bursche
herauf, der sich unten in dem weitläufigen Hofe mit noch einem Mann von der
Compagnie glücklich versteckt hatte und so dem Transport gleichfalls entgangen
war, und erzählte, daß in der Stadt eine große Stille sei, daß die Einwohner
hin und herliefen und daß keine Wachen mehr da seien. Er sei mit noch
einigen auf der Straße gewesen und sie hätten verstanden, daß Nüssen im Anmarsch
wären. Es dauerte auch gar nicht lange, so hörten wir Trompetengeschmetter.
russische Cavallerie marschirte durch, wir waren also nicht mehr Gefangene.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/65>, abgerufen am 24.07.2024.