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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Rechte und Zustände, und unter seiner Hand ward allmcilig so manches Todt¬
gelegene drohend lebendig; aber es war ihm'zu kurze Zeit gegeben, um dauernd
wiederherzustellen, was so gründlich ruinirt war. Sein einsichtiges Wirken
hatte nur den Werth einer verhallenden Mahnung und eines Maßstabes der
tiefen Verkommenheit. Die Zeit, welche folgte, brachte den alten Unrath nicht
nur reichlich wieder, sie machte auch die Entfremdung märkischer Lande vom
Reiche zur Wahrheit. Durch die wiederholten Verpfändungen der Marken
durch Sigismund und seine Brüder und Vettern, durch den Widerspruch, der
den Pfandherren von Seiten der Stände begegnete, durch den Verfall des
Pfandes endlich, demzufolge Jobst von Mähren das Erbe überkam, wurden
die letzten Rechte fürstlichen Regimentes und obrigkeitlicher Rechte vernichtet.
Das Land galt als der Compost auf der Domäne des luxemburgischen Hauses.
"Jobst kam nur dann und wann" -- erzählt die Magdeburger Chronik -- "er
sammelte Gelder, setzte Hauptleute, die sich um nichts kümmerten, und ging
wieder." Gewissenlos ohne Beispiel, wie er war. lieh er sich förmlich und
eigentlich von den Ständen aus seiner fürstlichen Stellung hinauslaufen. Nun
griffen auch die östlichen Nachbarn zu. Von der Uckermark und der Priegnitz
kamen Stücke in mecklenburgischen und pommerschen Pfandbesitz; die Neumark
wurde von Sigismund. als sie zuerst an ihn heimgesallen war, dem König
von Polen angetragen; nur weil der deutsche Orden den Slaven überbot, er¬
hielt sie dieser unter Vorbehalt des Rückkaufs.

Das alles begab sich in jener Zeit, welche im Norden die skandinavische
Union entstehen sah, deren tückischer Schutz die hansischen Städte der Ostsee
lähmte. Den Pommernherzog Erich aber, welchem Margarethe die Kronen
Von Schweden. Norwegen und Dänemark übergab, repräsentirte die Verbin¬
dung und das EinVerständniß, das zwischen der vordrängenden Macht der drei
Reiche und der Politik des Pvlenkönigs obwaltete. Erichs Vater hatte die
Lehnshoheit Jagellos von Litthauen anerkannt, welchem die Krone Polens durch
seine Gemahlin Hedwig zugebracht war, während König Sigismund darauf
speculirte. durch seine Braut Maria, die Schwester Hedwigs, das polnische
Reich für sich zu erwerben. Diese Veränderung vervollständigte die verderbliche
Klammer, welche die nordostdeutschen Länder umspannt bielt. Und wie hin¬
fällig zeigten sich jetzt die ehemals so starken und trotzigen Vormauern Deutsch¬
lands nach dieser Seite! Die Zerrüttung der Marken hatte lange schon auch das
Ordensgebiet angesteckt. Der Andrang Polens brachte den heillosen Verrath zu
spät zu Tage, der den üppigen Ritterstaat unterwühlt hatte. Die Mordschlacht
von Tannenberg im Juli 1410 warf die Macht des Ordens völlig zu Boden.

Das waren die Auspicien, unter denen die Hohenzollern die Marken über¬
kamen. "Man sieht, es handelte sich hier um einen ganz neuen Anfang, um
eine Wiederherstellung im größten Maßstabe."




Rechte und Zustände, und unter seiner Hand ward allmcilig so manches Todt¬
gelegene drohend lebendig; aber es war ihm'zu kurze Zeit gegeben, um dauernd
wiederherzustellen, was so gründlich ruinirt war. Sein einsichtiges Wirken
hatte nur den Werth einer verhallenden Mahnung und eines Maßstabes der
tiefen Verkommenheit. Die Zeit, welche folgte, brachte den alten Unrath nicht
nur reichlich wieder, sie machte auch die Entfremdung märkischer Lande vom
Reiche zur Wahrheit. Durch die wiederholten Verpfändungen der Marken
durch Sigismund und seine Brüder und Vettern, durch den Widerspruch, der
den Pfandherren von Seiten der Stände begegnete, durch den Verfall des
Pfandes endlich, demzufolge Jobst von Mähren das Erbe überkam, wurden
die letzten Rechte fürstlichen Regimentes und obrigkeitlicher Rechte vernichtet.
Das Land galt als der Compost auf der Domäne des luxemburgischen Hauses.
„Jobst kam nur dann und wann" — erzählt die Magdeburger Chronik — „er
sammelte Gelder, setzte Hauptleute, die sich um nichts kümmerten, und ging
wieder." Gewissenlos ohne Beispiel, wie er war. lieh er sich förmlich und
eigentlich von den Ständen aus seiner fürstlichen Stellung hinauslaufen. Nun
griffen auch die östlichen Nachbarn zu. Von der Uckermark und der Priegnitz
kamen Stücke in mecklenburgischen und pommerschen Pfandbesitz; die Neumark
wurde von Sigismund. als sie zuerst an ihn heimgesallen war, dem König
von Polen angetragen; nur weil der deutsche Orden den Slaven überbot, er¬
hielt sie dieser unter Vorbehalt des Rückkaufs.

Das alles begab sich in jener Zeit, welche im Norden die skandinavische
Union entstehen sah, deren tückischer Schutz die hansischen Städte der Ostsee
lähmte. Den Pommernherzog Erich aber, welchem Margarethe die Kronen
Von Schweden. Norwegen und Dänemark übergab, repräsentirte die Verbin¬
dung und das EinVerständniß, das zwischen der vordrängenden Macht der drei
Reiche und der Politik des Pvlenkönigs obwaltete. Erichs Vater hatte die
Lehnshoheit Jagellos von Litthauen anerkannt, welchem die Krone Polens durch
seine Gemahlin Hedwig zugebracht war, während König Sigismund darauf
speculirte. durch seine Braut Maria, die Schwester Hedwigs, das polnische
Reich für sich zu erwerben. Diese Veränderung vervollständigte die verderbliche
Klammer, welche die nordostdeutschen Länder umspannt bielt. Und wie hin¬
fällig zeigten sich jetzt die ehemals so starken und trotzigen Vormauern Deutsch¬
lands nach dieser Seite! Die Zerrüttung der Marken hatte lange schon auch das
Ordensgebiet angesteckt. Der Andrang Polens brachte den heillosen Verrath zu
spät zu Tage, der den üppigen Ritterstaat unterwühlt hatte. Die Mordschlacht
von Tannenberg im Juli 1410 warf die Macht des Ordens völlig zu Boden.

Das waren die Auspicien, unter denen die Hohenzollern die Marken über¬
kamen. „Man sieht, es handelte sich hier um einen ganz neuen Anfang, um
eine Wiederherstellung im größten Maßstabe."




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[0522] Rechte und Zustände, und unter seiner Hand ward allmcilig so manches Todt¬ gelegene drohend lebendig; aber es war ihm'zu kurze Zeit gegeben, um dauernd wiederherzustellen, was so gründlich ruinirt war. Sein einsichtiges Wirken hatte nur den Werth einer verhallenden Mahnung und eines Maßstabes der tiefen Verkommenheit. Die Zeit, welche folgte, brachte den alten Unrath nicht nur reichlich wieder, sie machte auch die Entfremdung märkischer Lande vom Reiche zur Wahrheit. Durch die wiederholten Verpfändungen der Marken durch Sigismund und seine Brüder und Vettern, durch den Widerspruch, der den Pfandherren von Seiten der Stände begegnete, durch den Verfall des Pfandes endlich, demzufolge Jobst von Mähren das Erbe überkam, wurden die letzten Rechte fürstlichen Regimentes und obrigkeitlicher Rechte vernichtet. Das Land galt als der Compost auf der Domäne des luxemburgischen Hauses. „Jobst kam nur dann und wann" — erzählt die Magdeburger Chronik — „er sammelte Gelder, setzte Hauptleute, die sich um nichts kümmerten, und ging wieder." Gewissenlos ohne Beispiel, wie er war. lieh er sich förmlich und eigentlich von den Ständen aus seiner fürstlichen Stellung hinauslaufen. Nun griffen auch die östlichen Nachbarn zu. Von der Uckermark und der Priegnitz kamen Stücke in mecklenburgischen und pommerschen Pfandbesitz; die Neumark wurde von Sigismund. als sie zuerst an ihn heimgesallen war, dem König von Polen angetragen; nur weil der deutsche Orden den Slaven überbot, er¬ hielt sie dieser unter Vorbehalt des Rückkaufs. Das alles begab sich in jener Zeit, welche im Norden die skandinavische Union entstehen sah, deren tückischer Schutz die hansischen Städte der Ostsee lähmte. Den Pommernherzog Erich aber, welchem Margarethe die Kronen Von Schweden. Norwegen und Dänemark übergab, repräsentirte die Verbin¬ dung und das EinVerständniß, das zwischen der vordrängenden Macht der drei Reiche und der Politik des Pvlenkönigs obwaltete. Erichs Vater hatte die Lehnshoheit Jagellos von Litthauen anerkannt, welchem die Krone Polens durch seine Gemahlin Hedwig zugebracht war, während König Sigismund darauf speculirte. durch seine Braut Maria, die Schwester Hedwigs, das polnische Reich für sich zu erwerben. Diese Veränderung vervollständigte die verderbliche Klammer, welche die nordostdeutschen Länder umspannt bielt. Und wie hin¬ fällig zeigten sich jetzt die ehemals so starken und trotzigen Vormauern Deutsch¬ lands nach dieser Seite! Die Zerrüttung der Marken hatte lange schon auch das Ordensgebiet angesteckt. Der Andrang Polens brachte den heillosen Verrath zu spät zu Tage, der den üppigen Ritterstaat unterwühlt hatte. Die Mordschlacht von Tannenberg im Juli 1410 warf die Macht des Ordens völlig zu Boden. Das waren die Auspicien, unter denen die Hohenzollern die Marken über¬ kamen. „Man sieht, es handelte sich hier um einen ganz neuen Anfang, um eine Wiederherstellung im größten Maßstabe."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/522>, abgerufen am 24.07.2024.