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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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über den allgemeinen Charakter der Ausstellung fällen und nach dem Gesammt-
eindruck, nach den Richtungen, welche vorwiegen, das Resultat für den erfreu¬
lichen "der unerfreulichen Stand der zeitgenössischen Kunst überhaupt ziehen.

In ähnlicher Weise werden die Eindrücke beim Aufschlagen eines Dichter¬
buchs sich folgen. Einen wahren Werth wird dasselbe dann haben, wenn nicht
blos einzelne hervorragende Meister sich betheiligen, deren Namen allerdings
als Lockvögel nicht zu entbehren sind, sondern wenn sich bestimmte Richtungen
zu erkennen geben, und ganz besonders, wenn der noch namenlose Nachwuchs sich
mit Gutes versprechenden Erzeugnissen in die Reihe gestellt hat. Für die Erstlinge
junger Künstler sind noch ganz besonders die Ausstellungen wie die Dichter-
büchcr. Ein älterer rcnommirter Meister verschmäht es nicht selten, in solcher
Form und solcher bunien Gesellschaft seine Schöpfungen dem Publicum anzu¬
bieten. Er wird gesehen, gelesen und getauft auch ohne das Mittel der Asso¬
ciation. Er giebt ebensoviel als er empfängt, wenn er im Kreise der Mit¬
strebenden erscheint. Seine Betheiligung -- bei Dichterbüchern noch mehr als
bei 'Ausstellungen -- verleiht ihm gewissermaßen die Stellung eines Protectors.
Er hat die doppelte Ehre, einmal der Erste unter Gleichen zu sein, und dann
durch seinen Schutz die jüngeren Talente in die Gesellschaft einzuführen. Allein
die ganze Veranstaltung ist doch wesentlich zum Besten der letzteren. Für sie
ist es eine erste Gelegenheit sich hervorzuthun, eine Probe, die dem selbständigen
Auftreten vorauszugehen pflegt. Was bedeutend, probehaltig ist, hebt sich von
selbst hervor. Das Andere verschwindet unter der Menge, welche das Mittel¬
mäßige und Schlechte gnädig bedeckt. In diesem Sinne soll im Nachfolgenden
einiger jüngerer Talente Erwähnung geschehen, die sich in den beiden Dichtcr-
büchcrn bemerklich gemacht haben, von welchen das eine, das Münchener, be¬
reits ein Jahr alt ist, aber schon in dreifacher Auflage sich bewährt hat, das
andere vor Kurzem erschienen ist.

Es wäre schwer, auf Grund der vorliegenden beiden Bände über den all¬
gemeinen Charakter der zeitgenössischen Poesie, speciell der Lyrik, die doch immer
die Hauptmasse solcher Dichrerbücher bildet, ein bestimmtes Urtheil zu fällen.
Offenbar herrscht in unserer gegenwärtigen Lyrik ein gewisses Durchschnittsmaß
der Bildung, das sich nicht nur auf die Technik, sondern auch auf die zur Dar¬
stellung kommende Empsindungs- und Gedankenwelt erstreckt, und dabei dann
doch wieder eine Mannigfaltigkeit, welche der Einreihung in bestimmte Kate¬
gorien widerstrebt. Es entspricht dies genau dem Charakter unsrer heutigen
Cultur überhaupt, welche in gewissem Sinn eine allgemeine ist und doch in
die mannigfaltigsten, schwer zu begrenzenden Richtungen auseinandergeht.
Da nun jene durchschnittliche Bildung etwas Erlernbares ist, so wird auch der
weniger Begabte, wenn er nur Ancmpsindung, Gelehrigkeit und Takt besitzt,
leicht in einzelnen, zumal kleineren Productionen jene Hohe erreichen, auf


über den allgemeinen Charakter der Ausstellung fällen und nach dem Gesammt-
eindruck, nach den Richtungen, welche vorwiegen, das Resultat für den erfreu¬
lichen »der unerfreulichen Stand der zeitgenössischen Kunst überhaupt ziehen.

In ähnlicher Weise werden die Eindrücke beim Aufschlagen eines Dichter¬
buchs sich folgen. Einen wahren Werth wird dasselbe dann haben, wenn nicht
blos einzelne hervorragende Meister sich betheiligen, deren Namen allerdings
als Lockvögel nicht zu entbehren sind, sondern wenn sich bestimmte Richtungen
zu erkennen geben, und ganz besonders, wenn der noch namenlose Nachwuchs sich
mit Gutes versprechenden Erzeugnissen in die Reihe gestellt hat. Für die Erstlinge
junger Künstler sind noch ganz besonders die Ausstellungen wie die Dichter-
büchcr. Ein älterer rcnommirter Meister verschmäht es nicht selten, in solcher
Form und solcher bunien Gesellschaft seine Schöpfungen dem Publicum anzu¬
bieten. Er wird gesehen, gelesen und getauft auch ohne das Mittel der Asso¬
ciation. Er giebt ebensoviel als er empfängt, wenn er im Kreise der Mit¬
strebenden erscheint. Seine Betheiligung — bei Dichterbüchern noch mehr als
bei 'Ausstellungen — verleiht ihm gewissermaßen die Stellung eines Protectors.
Er hat die doppelte Ehre, einmal der Erste unter Gleichen zu sein, und dann
durch seinen Schutz die jüngeren Talente in die Gesellschaft einzuführen. Allein
die ganze Veranstaltung ist doch wesentlich zum Besten der letzteren. Für sie
ist es eine erste Gelegenheit sich hervorzuthun, eine Probe, die dem selbständigen
Auftreten vorauszugehen pflegt. Was bedeutend, probehaltig ist, hebt sich von
selbst hervor. Das Andere verschwindet unter der Menge, welche das Mittel¬
mäßige und Schlechte gnädig bedeckt. In diesem Sinne soll im Nachfolgenden
einiger jüngerer Talente Erwähnung geschehen, die sich in den beiden Dichtcr-
büchcrn bemerklich gemacht haben, von welchen das eine, das Münchener, be¬
reits ein Jahr alt ist, aber schon in dreifacher Auflage sich bewährt hat, das
andere vor Kurzem erschienen ist.

Es wäre schwer, auf Grund der vorliegenden beiden Bände über den all¬
gemeinen Charakter der zeitgenössischen Poesie, speciell der Lyrik, die doch immer
die Hauptmasse solcher Dichrerbücher bildet, ein bestimmtes Urtheil zu fällen.
Offenbar herrscht in unserer gegenwärtigen Lyrik ein gewisses Durchschnittsmaß
der Bildung, das sich nicht nur auf die Technik, sondern auch auf die zur Dar¬
stellung kommende Empsindungs- und Gedankenwelt erstreckt, und dabei dann
doch wieder eine Mannigfaltigkeit, welche der Einreihung in bestimmte Kate¬
gorien widerstrebt. Es entspricht dies genau dem Charakter unsrer heutigen
Cultur überhaupt, welche in gewissem Sinn eine allgemeine ist und doch in
die mannigfaltigsten, schwer zu begrenzenden Richtungen auseinandergeht.
Da nun jene durchschnittliche Bildung etwas Erlernbares ist, so wird auch der
weniger Begabte, wenn er nur Ancmpsindung, Gelehrigkeit und Takt besitzt,
leicht in einzelnen, zumal kleineren Productionen jene Hohe erreichen, auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/52>, abgerufen am 24.07.2024.