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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Angedruckte Briefe von Goethe an Dr. Noehden in London.

Georg Heinrich Noehden, aus dessen Nachlasse uns sein Neffe, Herr
Dr. K. H. Volckmar in Aurich, die nachfolgenden Briefe von Goethe zur Ver¬
öffentlichung gütig mitgetheilt hat, war im Jahre 1770 in Göttingen geboren.
Nachdem er auf der dortigen Universität, wo er bald zu den bevorzugten und
vertrauteren Schülern Heynes gehörte, seine Studien vollendet, verlebte er eine
lange Reihe glücklicher Jahre im Umgange mit angesehenen und liebenswür¬
digen englischen Familien, deren Söhnen er erst in Göttingen selbst, dann in
London, in Eton und Edinburg bei ihren Studien zur Seite stand, die er spä¬
ter auf ihren Reisen in Frankreich, Holland und nach Deutschland begleitete,
und mit denen er zeitlebens in gegenseitiger Zuneigung verbunden blieb.

Schon frühe war Noehden bestrebt, die Kenntniß deutscher Sprache und
Literatur in England anzubahnen, und seine Bemühungen waren bald von
glücklichem Erfolg begleitet. Seine Uebersetzung des Fiesco, die im Jahre 1796
erschien, erlebte rasch eine zweite Auflage und brachte ihn mit Schiller in Ver¬
bindung, dem sie so gelungen erschien, daß er sich erbot, seine Werke künftig
ihm vor dem Druck zur Uebersetzung mitzutheilen. Noehdens Mrinan zzi-aminar,
die zuerst im Jahr 1800 herauskam, und sein späteres Handwörterbuch der
deutschen und englischen Sprache, wozu ihn angesehene londoner Buchhändler
aufgefordert hatten, waren in England epochemachende Erscheinungen.

Diesen Mann von vielseitigster Bildung, ausgerüstet mit historischen Kennt¬
nissen aller Art, voll warmer Theilnahme an den schönen Künsten, finden wir
gegen Ende des Jahres 1818 am weimarscher Hofe, bereit, infolge einer
durch Empfehlung von Eichhorn in Göttingen an ihn ergangenen Aufforderung,
die Oberaufsicht über die Erziehung der Prinzessinnen Töchter des Erbgro߬
herzogs zu übernehmen. Wenn er sich durch seinen vieljährigen Aufenthalt in
England in Sprache und Sitten des Landes dermaßen eingelebt hatte, daß
man ihn für einen Eingebornen halten durfte, so konnte das in den Kreisen,
in die er jetzt eintrat, das Interesse an seiner Persönlichkeit nur erhöhen.

Goethe und die weimarscher Kunstfreunde fanden in ihm einen werthen
Mitstrebenden. Die Seltenheiten, die der Großherzog aus seiner Reise im Jahr


Grenzboten I. 1864. 62
Angedruckte Briefe von Goethe an Dr. Noehden in London.

Georg Heinrich Noehden, aus dessen Nachlasse uns sein Neffe, Herr
Dr. K. H. Volckmar in Aurich, die nachfolgenden Briefe von Goethe zur Ver¬
öffentlichung gütig mitgetheilt hat, war im Jahre 1770 in Göttingen geboren.
Nachdem er auf der dortigen Universität, wo er bald zu den bevorzugten und
vertrauteren Schülern Heynes gehörte, seine Studien vollendet, verlebte er eine
lange Reihe glücklicher Jahre im Umgange mit angesehenen und liebenswür¬
digen englischen Familien, deren Söhnen er erst in Göttingen selbst, dann in
London, in Eton und Edinburg bei ihren Studien zur Seite stand, die er spä¬
ter auf ihren Reisen in Frankreich, Holland und nach Deutschland begleitete,
und mit denen er zeitlebens in gegenseitiger Zuneigung verbunden blieb.

Schon frühe war Noehden bestrebt, die Kenntniß deutscher Sprache und
Literatur in England anzubahnen, und seine Bemühungen waren bald von
glücklichem Erfolg begleitet. Seine Uebersetzung des Fiesco, die im Jahre 1796
erschien, erlebte rasch eine zweite Auflage und brachte ihn mit Schiller in Ver¬
bindung, dem sie so gelungen erschien, daß er sich erbot, seine Werke künftig
ihm vor dem Druck zur Uebersetzung mitzutheilen. Noehdens Mrinan zzi-aminar,
die zuerst im Jahr 1800 herauskam, und sein späteres Handwörterbuch der
deutschen und englischen Sprache, wozu ihn angesehene londoner Buchhändler
aufgefordert hatten, waren in England epochemachende Erscheinungen.

Diesen Mann von vielseitigster Bildung, ausgerüstet mit historischen Kennt¬
nissen aller Art, voll warmer Theilnahme an den schönen Künsten, finden wir
gegen Ende des Jahres 1818 am weimarscher Hofe, bereit, infolge einer
durch Empfehlung von Eichhorn in Göttingen an ihn ergangenen Aufforderung,
die Oberaufsicht über die Erziehung der Prinzessinnen Töchter des Erbgro߬
herzogs zu übernehmen. Wenn er sich durch seinen vieljährigen Aufenthalt in
England in Sprache und Sitten des Landes dermaßen eingelebt hatte, daß
man ihn für einen Eingebornen halten durfte, so konnte das in den Kreisen,
in die er jetzt eintrat, das Interesse an seiner Persönlichkeit nur erhöhen.

Goethe und die weimarscher Kunstfreunde fanden in ihm einen werthen
Mitstrebenden. Die Seltenheiten, die der Großherzog aus seiner Reise im Jahr


Grenzboten I. 1864. 62
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[0495] Angedruckte Briefe von Goethe an Dr. Noehden in London. Georg Heinrich Noehden, aus dessen Nachlasse uns sein Neffe, Herr Dr. K. H. Volckmar in Aurich, die nachfolgenden Briefe von Goethe zur Ver¬ öffentlichung gütig mitgetheilt hat, war im Jahre 1770 in Göttingen geboren. Nachdem er auf der dortigen Universität, wo er bald zu den bevorzugten und vertrauteren Schülern Heynes gehörte, seine Studien vollendet, verlebte er eine lange Reihe glücklicher Jahre im Umgange mit angesehenen und liebenswür¬ digen englischen Familien, deren Söhnen er erst in Göttingen selbst, dann in London, in Eton und Edinburg bei ihren Studien zur Seite stand, die er spä¬ ter auf ihren Reisen in Frankreich, Holland und nach Deutschland begleitete, und mit denen er zeitlebens in gegenseitiger Zuneigung verbunden blieb. Schon frühe war Noehden bestrebt, die Kenntniß deutscher Sprache und Literatur in England anzubahnen, und seine Bemühungen waren bald von glücklichem Erfolg begleitet. Seine Uebersetzung des Fiesco, die im Jahre 1796 erschien, erlebte rasch eine zweite Auflage und brachte ihn mit Schiller in Ver¬ bindung, dem sie so gelungen erschien, daß er sich erbot, seine Werke künftig ihm vor dem Druck zur Uebersetzung mitzutheilen. Noehdens Mrinan zzi-aminar, die zuerst im Jahr 1800 herauskam, und sein späteres Handwörterbuch der deutschen und englischen Sprache, wozu ihn angesehene londoner Buchhändler aufgefordert hatten, waren in England epochemachende Erscheinungen. Diesen Mann von vielseitigster Bildung, ausgerüstet mit historischen Kennt¬ nissen aller Art, voll warmer Theilnahme an den schönen Künsten, finden wir gegen Ende des Jahres 1818 am weimarscher Hofe, bereit, infolge einer durch Empfehlung von Eichhorn in Göttingen an ihn ergangenen Aufforderung, die Oberaufsicht über die Erziehung der Prinzessinnen Töchter des Erbgro߬ herzogs zu übernehmen. Wenn er sich durch seinen vieljährigen Aufenthalt in England in Sprache und Sitten des Landes dermaßen eingelebt hatte, daß man ihn für einen Eingebornen halten durfte, so konnte das in den Kreisen, in die er jetzt eintrat, das Interesse an seiner Persönlichkeit nur erhöhen. Goethe und die weimarscher Kunstfreunde fanden in ihm einen werthen Mitstrebenden. Die Seltenheiten, die der Großherzog aus seiner Reise im Jahr Grenzboten I. 1864. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/495>, abgerufen am 24.07.2024.