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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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nicht zu führen vermochte, in einzelnen schmerzfreieren Stunden ihre Verse auf.
Aus diesem Tagebuch der Kranken hat ein werther Freund nach Ausscheidung
aller persönlichen Beziehungen die Sammlung herausgegeben. Und sie darf
nicht nur den Anspruch erheben, als Abdruck einer feinorganisirten, tiesinner-
lichen Natur unter ihren persönlichen Bekannten pietätvolle Beachtung zu fin¬
den; es erweist sich darin in der That ein künstlerisches Talent, dessen Bekannt¬
schaft auch einem größeren Publicum werthvoll sein wird.

Die herrschenden Stimmungen sind ein lebhaftes Naturgefühl, gehobene
Resignation und ein sehnsuchtsvolles, vertrauendes Aufblicken zu Gott und
einem Jenseits, welches frei von Erdenleiden sein wird. Aber Grundlage ih¬
res Wesens ist ein klarer Geist mit kräftigen Gedanken, der in der Erscheinung
den Inhalt sucht, in dem Vergänglichen ein Bild des Ewigen erkennt, und
mit sicherer Selbstbeherrschung das zuckende Herz bändigt. Aus den schmerz¬
lichen Empfindungen, welche ihr das vergängliche Leben der Natur, Wechsel
der Jahreszeiten, die Beschränktheit menschlicher Kraft, das Räthsel des eige¬
nen, ach zu langsam schwindenden Lebens darbietet, hebt sie sich immer wieder
muthig heraus, verstehend, glaubend, erwartend. Ihre Religiosität ist durch¬
aus frei von krankhafter Schwärmerei, und sie wirkt in ihrer gedankenvollen
Sicherheit und ehrlichen Herzlichkeit weit wohlthuender, als das weichliche
Spielen mit dem Bildervorrath des christlichen Glaubens, welcher in den Ge¬
dichten alter und neuer Pietisten so oft die Dürftigkeit der Poesie üvcrkleiden
muß. Und in vielen Gedichten rührt die Resignation und wieder die gicmbens-
srohe Zuversicht recht innig das Herz des Lesers.

Die Sprache ist die einer hochgebildeten Frau, an manchen Stellen,
namentlich in den Gedichten der ersten Zeit, stört Undeutlichkeit des Ausdrucks;
in andern Gedichten lassen Wort und Vers einzelner Stellen an Kraft und
Wohlklang zu wünschen übrig; im Ganzen aber ist die Sprache und Form
klar und würdig wie der Inhalt.

Und schon von den ersten Gedichten ab ist die echte poetische Begabung
an der besonders energischen Weise zu erkennen, in welcher sie den poetischen
Gedanken des Gedichtes anschlägt, steigert und in sicherem Aufschwünge ab¬
schließt. Der Gang der Empfindungen ist nirgend gekünstelt, gesucht, mühsam
erfunden, immer führt die Dichterin geistvoll und mit lebhaftem Strömen der
Empfindung die Idee des einzelnen, Gedichtes zur Höhe und zu wirksamen
Abschluß. Man merkt überall, wie schnell und kraftvoll die kleinen Seelen der
Gedichte in ihr lebendig werden. Und diese Dichtereigenschaft ist seit Heine
und der Bilderlyrik an deutschen Gedichten mit besonderer Freude hervorzuheben.

Ihr Dichtername ist nicht ganz unbekannt, Einzelnes ist bereits gelegentlich
durch dritte Hand in die Oeffentlichkeit gekommen. Der vorliegende Band wird,
so vertrauen wir. Vielen die Erinnerung an ein rührendes Menschenleben be->


nicht zu führen vermochte, in einzelnen schmerzfreieren Stunden ihre Verse auf.
Aus diesem Tagebuch der Kranken hat ein werther Freund nach Ausscheidung
aller persönlichen Beziehungen die Sammlung herausgegeben. Und sie darf
nicht nur den Anspruch erheben, als Abdruck einer feinorganisirten, tiesinner-
lichen Natur unter ihren persönlichen Bekannten pietätvolle Beachtung zu fin¬
den; es erweist sich darin in der That ein künstlerisches Talent, dessen Bekannt¬
schaft auch einem größeren Publicum werthvoll sein wird.

Die herrschenden Stimmungen sind ein lebhaftes Naturgefühl, gehobene
Resignation und ein sehnsuchtsvolles, vertrauendes Aufblicken zu Gott und
einem Jenseits, welches frei von Erdenleiden sein wird. Aber Grundlage ih¬
res Wesens ist ein klarer Geist mit kräftigen Gedanken, der in der Erscheinung
den Inhalt sucht, in dem Vergänglichen ein Bild des Ewigen erkennt, und
mit sicherer Selbstbeherrschung das zuckende Herz bändigt. Aus den schmerz¬
lichen Empfindungen, welche ihr das vergängliche Leben der Natur, Wechsel
der Jahreszeiten, die Beschränktheit menschlicher Kraft, das Räthsel des eige¬
nen, ach zu langsam schwindenden Lebens darbietet, hebt sie sich immer wieder
muthig heraus, verstehend, glaubend, erwartend. Ihre Religiosität ist durch¬
aus frei von krankhafter Schwärmerei, und sie wirkt in ihrer gedankenvollen
Sicherheit und ehrlichen Herzlichkeit weit wohlthuender, als das weichliche
Spielen mit dem Bildervorrath des christlichen Glaubens, welcher in den Ge¬
dichten alter und neuer Pietisten so oft die Dürftigkeit der Poesie üvcrkleiden
muß. Und in vielen Gedichten rührt die Resignation und wieder die gicmbens-
srohe Zuversicht recht innig das Herz des Lesers.

Die Sprache ist die einer hochgebildeten Frau, an manchen Stellen,
namentlich in den Gedichten der ersten Zeit, stört Undeutlichkeit des Ausdrucks;
in andern Gedichten lassen Wort und Vers einzelner Stellen an Kraft und
Wohlklang zu wünschen übrig; im Ganzen aber ist die Sprache und Form
klar und würdig wie der Inhalt.

Und schon von den ersten Gedichten ab ist die echte poetische Begabung
an der besonders energischen Weise zu erkennen, in welcher sie den poetischen
Gedanken des Gedichtes anschlägt, steigert und in sicherem Aufschwünge ab¬
schließt. Der Gang der Empfindungen ist nirgend gekünstelt, gesucht, mühsam
erfunden, immer führt die Dichterin geistvoll und mit lebhaftem Strömen der
Empfindung die Idee des einzelnen, Gedichtes zur Höhe und zu wirksamen
Abschluß. Man merkt überall, wie schnell und kraftvoll die kleinen Seelen der
Gedichte in ihr lebendig werden. Und diese Dichtereigenschaft ist seit Heine
und der Bilderlyrik an deutschen Gedichten mit besonderer Freude hervorzuheben.

Ihr Dichtername ist nicht ganz unbekannt, Einzelnes ist bereits gelegentlich
durch dritte Hand in die Oeffentlichkeit gekommen. Der vorliegende Band wird,
so vertrauen wir. Vielen die Erinnerung an ein rührendes Menschenleben be->


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/410>, abgerufen am 01.07.2024.