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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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liebe Uebelstände hervorgerufen. ein Jahrhundert hindurch bestehen, weil Eng¬
land für sich selbst eine so große Macht und eine so bedeutende Weltstellung
hat, daß den Engländern nie der Gedanke gekommen ist, sich Hannover natio¬
nal oder politisch mehr zu assimiliren, um dadurch mächtiger zu werden, ein
Gedanke, der seit Jahren die Triebkraft in dem ganzen Mechanismus des dä¬
nischen Regicrungssystems in Schleswig-Holstein war.

Die Dänen sind den Schleswig-Holstcinern mit ihren Annäherungsversuchen
um so mehr zuwider, als sie dieselben durch ihr ganzes Wesen abstoßen. Nicht
nur die Sprache ist verschieden, sondern auch der Charakter. Die Dänen sind
artig und mittheilsam bis zur Zudringlichkeit, die Schleswig-Holsteiner zugeknöpfte,
wortkarge Naturen. In Dänemark hat feit Einführung des Königsgesches,
also seit fast zweihundert Jahren, die absolute Monarchie einen nivcllirenden
Einfluß geübt, und in neuerer Zeit, seitdem an die Stelle des Absolutismus
eine constitutionelle Entwickelung getreten ist. hat eine demokratisierende Rich¬
tung überall die Oberhand gewonnen. In den Herzogthümern giebt es einen
starken Adel, dessen Vorrechte nur von einem kleinen Theil der Bevölkerung
bestritten werden, und bei dem Umstände, daß die ungeheure Mehrzahl der
Schleswig-Holsteiner aus Bauern besteht, finden Theorien von demokratischer
Gleichheit hier nur wenig Boden.

Häusig begegnet man der Ansicht, daß, weil die Personalunion seit 1460,
also über vier Jahrhunderte, bestanden habe, die Verbindung der Herzogtümer
mit Dänemark nicht ein so durchaus unmögliches Verhältniß sein könne. Dieser
Ansicht aber liegt ein historischer Irrthum zu Grunde. Die Verbindung der
ungeteilten Herzogtümer hat verhältnißmäßig nur kurze Zeit gedauert, nämlich
unter Christian dem Ersten von 1460 bis 1481, unter Friedrich dem Ersten
nur in einem Theil seiner Regierung, nämlich von 1824 bis 1533, und endlich
von 1773 bis zum Tode Friedrichs des Siebenten. Unter Christian dem
Ersten führte das Verhältniß sogleich zu Unruhen und Streitigkeiten; an die
Erfahrungen der neuesten Zeit braucht hier nicht erinnert zu werden. Während
der ganzen übrigen Zeit, unter König Hans und Christian dem Zweiten, sowie
vom Tode Friedrichs des Ersten bis 1773 bestand in den Herzogthümern das
System der Landestheilungen; der König von Dänemark regierte nur über den
sogenannten königlichen Antheil und das Verhältniß blieb dadurch erträglich,
daß namentlich die Herzoge des gottorfischen Hauses sich die Aufgabe gestellt
hatten, die Unabhängigkeit der Herzogtümer gegen die Könige von Dänemark
zu vertheidigen.

Die Dänen, vorzüglich die Kopenhagener, haben sich gewöhnt, die Herzog¬
tümer für dänische Zwecke materiell auszubeuten und sie als Versorgungsanstalt
für dänische Stellenjäger zu betrachten.

Die Mißstimmung, welche seit lange in den Herzogthümern bestand, hat


liebe Uebelstände hervorgerufen. ein Jahrhundert hindurch bestehen, weil Eng¬
land für sich selbst eine so große Macht und eine so bedeutende Weltstellung
hat, daß den Engländern nie der Gedanke gekommen ist, sich Hannover natio¬
nal oder politisch mehr zu assimiliren, um dadurch mächtiger zu werden, ein
Gedanke, der seit Jahren die Triebkraft in dem ganzen Mechanismus des dä¬
nischen Regicrungssystems in Schleswig-Holstein war.

Die Dänen sind den Schleswig-Holstcinern mit ihren Annäherungsversuchen
um so mehr zuwider, als sie dieselben durch ihr ganzes Wesen abstoßen. Nicht
nur die Sprache ist verschieden, sondern auch der Charakter. Die Dänen sind
artig und mittheilsam bis zur Zudringlichkeit, die Schleswig-Holsteiner zugeknöpfte,
wortkarge Naturen. In Dänemark hat feit Einführung des Königsgesches,
also seit fast zweihundert Jahren, die absolute Monarchie einen nivcllirenden
Einfluß geübt, und in neuerer Zeit, seitdem an die Stelle des Absolutismus
eine constitutionelle Entwickelung getreten ist. hat eine demokratisierende Rich¬
tung überall die Oberhand gewonnen. In den Herzogthümern giebt es einen
starken Adel, dessen Vorrechte nur von einem kleinen Theil der Bevölkerung
bestritten werden, und bei dem Umstände, daß die ungeheure Mehrzahl der
Schleswig-Holsteiner aus Bauern besteht, finden Theorien von demokratischer
Gleichheit hier nur wenig Boden.

Häusig begegnet man der Ansicht, daß, weil die Personalunion seit 1460,
also über vier Jahrhunderte, bestanden habe, die Verbindung der Herzogtümer
mit Dänemark nicht ein so durchaus unmögliches Verhältniß sein könne. Dieser
Ansicht aber liegt ein historischer Irrthum zu Grunde. Die Verbindung der
ungeteilten Herzogtümer hat verhältnißmäßig nur kurze Zeit gedauert, nämlich
unter Christian dem Ersten von 1460 bis 1481, unter Friedrich dem Ersten
nur in einem Theil seiner Regierung, nämlich von 1824 bis 1533, und endlich
von 1773 bis zum Tode Friedrichs des Siebenten. Unter Christian dem
Ersten führte das Verhältniß sogleich zu Unruhen und Streitigkeiten; an die
Erfahrungen der neuesten Zeit braucht hier nicht erinnert zu werden. Während
der ganzen übrigen Zeit, unter König Hans und Christian dem Zweiten, sowie
vom Tode Friedrichs des Ersten bis 1773 bestand in den Herzogthümern das
System der Landestheilungen; der König von Dänemark regierte nur über den
sogenannten königlichen Antheil und das Verhältniß blieb dadurch erträglich,
daß namentlich die Herzoge des gottorfischen Hauses sich die Aufgabe gestellt
hatten, die Unabhängigkeit der Herzogtümer gegen die Könige von Dänemark
zu vertheidigen.

Die Dänen, vorzüglich die Kopenhagener, haben sich gewöhnt, die Herzog¬
tümer für dänische Zwecke materiell auszubeuten und sie als Versorgungsanstalt
für dänische Stellenjäger zu betrachten.

Die Mißstimmung, welche seit lange in den Herzogthümern bestand, hat


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[0324] liebe Uebelstände hervorgerufen. ein Jahrhundert hindurch bestehen, weil Eng¬ land für sich selbst eine so große Macht und eine so bedeutende Weltstellung hat, daß den Engländern nie der Gedanke gekommen ist, sich Hannover natio¬ nal oder politisch mehr zu assimiliren, um dadurch mächtiger zu werden, ein Gedanke, der seit Jahren die Triebkraft in dem ganzen Mechanismus des dä¬ nischen Regicrungssystems in Schleswig-Holstein war. Die Dänen sind den Schleswig-Holstcinern mit ihren Annäherungsversuchen um so mehr zuwider, als sie dieselben durch ihr ganzes Wesen abstoßen. Nicht nur die Sprache ist verschieden, sondern auch der Charakter. Die Dänen sind artig und mittheilsam bis zur Zudringlichkeit, die Schleswig-Holsteiner zugeknöpfte, wortkarge Naturen. In Dänemark hat feit Einführung des Königsgesches, also seit fast zweihundert Jahren, die absolute Monarchie einen nivcllirenden Einfluß geübt, und in neuerer Zeit, seitdem an die Stelle des Absolutismus eine constitutionelle Entwickelung getreten ist. hat eine demokratisierende Rich¬ tung überall die Oberhand gewonnen. In den Herzogthümern giebt es einen starken Adel, dessen Vorrechte nur von einem kleinen Theil der Bevölkerung bestritten werden, und bei dem Umstände, daß die ungeheure Mehrzahl der Schleswig-Holsteiner aus Bauern besteht, finden Theorien von demokratischer Gleichheit hier nur wenig Boden. Häusig begegnet man der Ansicht, daß, weil die Personalunion seit 1460, also über vier Jahrhunderte, bestanden habe, die Verbindung der Herzogtümer mit Dänemark nicht ein so durchaus unmögliches Verhältniß sein könne. Dieser Ansicht aber liegt ein historischer Irrthum zu Grunde. Die Verbindung der ungeteilten Herzogtümer hat verhältnißmäßig nur kurze Zeit gedauert, nämlich unter Christian dem Ersten von 1460 bis 1481, unter Friedrich dem Ersten nur in einem Theil seiner Regierung, nämlich von 1824 bis 1533, und endlich von 1773 bis zum Tode Friedrichs des Siebenten. Unter Christian dem Ersten führte das Verhältniß sogleich zu Unruhen und Streitigkeiten; an die Erfahrungen der neuesten Zeit braucht hier nicht erinnert zu werden. Während der ganzen übrigen Zeit, unter König Hans und Christian dem Zweiten, sowie vom Tode Friedrichs des Ersten bis 1773 bestand in den Herzogthümern das System der Landestheilungen; der König von Dänemark regierte nur über den sogenannten königlichen Antheil und das Verhältniß blieb dadurch erträglich, daß namentlich die Herzoge des gottorfischen Hauses sich die Aufgabe gestellt hatten, die Unabhängigkeit der Herzogtümer gegen die Könige von Dänemark zu vertheidigen. Die Dänen, vorzüglich die Kopenhagener, haben sich gewöhnt, die Herzog¬ tümer für dänische Zwecke materiell auszubeuten und sie als Versorgungsanstalt für dänische Stellenjäger zu betrachten. Die Mißstimmung, welche seit lange in den Herzogthümern bestand, hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/324>, abgerufen am 04.07.2024.