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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Stande gekommen ist, zeigen eine durchgehende Einfalt und Einfachheit, wie
man sie Beethoven gar nicht' zutrauen möchte; auch würde man trotz mancher
eigenthümlicher und reizender Wendungen, welche in diesen vorzugsweise auf
Wohlklang berechneten Gesängen hervortreten, schwerlich Beethoven in ihnen
erkennen. Gerade dies giebt ihnen aber ein eigenthümliches Interesse. Aus
dieser Zeit stammt auch das große Terzett I'rtzMÄts (0p. 116), das erst im
Jahre 1824 zuerst aufgeführt wurde. Dieses, in großen Dimensionen angelegt
und ausgeführt, macht freilich einen ganz anderen Eindruck als jene kleinen
Canzonetten, allein wenn man es mit der Arie psrLäo zusammenhält,
welche im Jahr 1796 componirt ist, wird man doch den Unterschied der Zei¬
ten empfinden, in denen Beethoven die italienischen Formen mit gutem Glau¬
ben als naturgemäßen Ausdruck bestimmter Leidenschaften anwendete, und da
er sie mit Bewußtsein als ein Kunstmittel für gewisse Wirkungen handhabte.

Zwei große italienische Gesangstücke mit Orchester, eine Arie ?i>imo amora,
zMeei' ack viol und ein Duett Ziorni duoi tsliei, von deren Existenz
sichere Notizen da sind, haben sich so versteckt, daß sie bis jetzt nicht wieder
zum Vorschein gebracht sind.

Bekanntlich wurde Beethoven durch Thomson veranlaßt, schottische und
irische Melodien mit Begleitung von Klavier, Violine und Violoncello zu be¬
arbeiten, und diese Aufgabe gewann ihm so viel Interesse ab, daß er National¬
melodien auch anderer Völker in derselben Weise mit großem Eifer bearbeitete.
Von diesen Liedern ist bisher sowohl in England als in Deutschland nur ein
verhältnismäßig kleiner Theil gedruckt; durch Herrn Franz Esp eigne, der
mit großem Eifer denselben nachgespürt hat, sind mehr als 130 dergestalt be¬
arbeiteter Melodien zusammengebracht worden.

Hiermit werden die ungedruckten Kompositionen Beethovens aus der Zeit
seiner Reife, des Beethovens, wie ihn alle Welt kennt und anerkennt, wohl
vollständig aufgezählt sein; wie gering ist die Nachlese', welche hier noch zu
halten ist, im Verhältniß zu dem, was vorliegt! Nun ist aber anch eine, eben¬
falls nicht bedeutende, Anzahl von Jugendarbeiten des noch nicht fertigen
Beethoven vorhanden, die aus begreiflichen Gründen bisher ungedruckt ge¬
blieben sind.

In einem kleinen Notizbüchlein, das Beethoven auf der Reise von Bonn
nach Wien und dort in den nächstfolgenden Jahren gebraucht hat, findet sich
folgende rührende Aeußerung von seiner Hand aufgezeichnet:

Muth! auch bei allen Schwächen des Körpers soll doch mein
Geist herrschen. -- Fünfundzwanzig Jahre sind da, dieses
Jahr muß den völligen Mann entscheiden.

Und dieses Jahr entschied; mit den Trios, welche im Jahr 1793 erschienen,
stand der völlige Mann da, der es während seiner ganzen Künstlerlaufbahn be-


Stande gekommen ist, zeigen eine durchgehende Einfalt und Einfachheit, wie
man sie Beethoven gar nicht' zutrauen möchte; auch würde man trotz mancher
eigenthümlicher und reizender Wendungen, welche in diesen vorzugsweise auf
Wohlklang berechneten Gesängen hervortreten, schwerlich Beethoven in ihnen
erkennen. Gerade dies giebt ihnen aber ein eigenthümliches Interesse. Aus
dieser Zeit stammt auch das große Terzett I'rtzMÄts (0p. 116), das erst im
Jahre 1824 zuerst aufgeführt wurde. Dieses, in großen Dimensionen angelegt
und ausgeführt, macht freilich einen ganz anderen Eindruck als jene kleinen
Canzonetten, allein wenn man es mit der Arie psrLäo zusammenhält,
welche im Jahr 1796 componirt ist, wird man doch den Unterschied der Zei¬
ten empfinden, in denen Beethoven die italienischen Formen mit gutem Glau¬
ben als naturgemäßen Ausdruck bestimmter Leidenschaften anwendete, und da
er sie mit Bewußtsein als ein Kunstmittel für gewisse Wirkungen handhabte.

Zwei große italienische Gesangstücke mit Orchester, eine Arie ?i>imo amora,
zMeei' ack viol und ein Duett Ziorni duoi tsliei, von deren Existenz
sichere Notizen da sind, haben sich so versteckt, daß sie bis jetzt nicht wieder
zum Vorschein gebracht sind.

Bekanntlich wurde Beethoven durch Thomson veranlaßt, schottische und
irische Melodien mit Begleitung von Klavier, Violine und Violoncello zu be¬
arbeiten, und diese Aufgabe gewann ihm so viel Interesse ab, daß er National¬
melodien auch anderer Völker in derselben Weise mit großem Eifer bearbeitete.
Von diesen Liedern ist bisher sowohl in England als in Deutschland nur ein
verhältnismäßig kleiner Theil gedruckt; durch Herrn Franz Esp eigne, der
mit großem Eifer denselben nachgespürt hat, sind mehr als 130 dergestalt be¬
arbeiteter Melodien zusammengebracht worden.

Hiermit werden die ungedruckten Kompositionen Beethovens aus der Zeit
seiner Reife, des Beethovens, wie ihn alle Welt kennt und anerkennt, wohl
vollständig aufgezählt sein; wie gering ist die Nachlese', welche hier noch zu
halten ist, im Verhältniß zu dem, was vorliegt! Nun ist aber anch eine, eben¬
falls nicht bedeutende, Anzahl von Jugendarbeiten des noch nicht fertigen
Beethoven vorhanden, die aus begreiflichen Gründen bisher ungedruckt ge¬
blieben sind.

In einem kleinen Notizbüchlein, das Beethoven auf der Reise von Bonn
nach Wien und dort in den nächstfolgenden Jahren gebraucht hat, findet sich
folgende rührende Aeußerung von seiner Hand aufgezeichnet:

Muth! auch bei allen Schwächen des Körpers soll doch mein
Geist herrschen. — Fünfundzwanzig Jahre sind da, dieses
Jahr muß den völligen Mann entscheiden.

Und dieses Jahr entschied; mit den Trios, welche im Jahr 1793 erschienen,
stand der völlige Mann da, der es während seiner ganzen Künstlerlaufbahn be-


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[0316] Stande gekommen ist, zeigen eine durchgehende Einfalt und Einfachheit, wie man sie Beethoven gar nicht' zutrauen möchte; auch würde man trotz mancher eigenthümlicher und reizender Wendungen, welche in diesen vorzugsweise auf Wohlklang berechneten Gesängen hervortreten, schwerlich Beethoven in ihnen erkennen. Gerade dies giebt ihnen aber ein eigenthümliches Interesse. Aus dieser Zeit stammt auch das große Terzett I'rtzMÄts (0p. 116), das erst im Jahre 1824 zuerst aufgeführt wurde. Dieses, in großen Dimensionen angelegt und ausgeführt, macht freilich einen ganz anderen Eindruck als jene kleinen Canzonetten, allein wenn man es mit der Arie psrLäo zusammenhält, welche im Jahr 1796 componirt ist, wird man doch den Unterschied der Zei¬ ten empfinden, in denen Beethoven die italienischen Formen mit gutem Glau¬ ben als naturgemäßen Ausdruck bestimmter Leidenschaften anwendete, und da er sie mit Bewußtsein als ein Kunstmittel für gewisse Wirkungen handhabte. Zwei große italienische Gesangstücke mit Orchester, eine Arie ?i>imo amora, zMeei' ack viol und ein Duett Ziorni duoi tsliei, von deren Existenz sichere Notizen da sind, haben sich so versteckt, daß sie bis jetzt nicht wieder zum Vorschein gebracht sind. Bekanntlich wurde Beethoven durch Thomson veranlaßt, schottische und irische Melodien mit Begleitung von Klavier, Violine und Violoncello zu be¬ arbeiten, und diese Aufgabe gewann ihm so viel Interesse ab, daß er National¬ melodien auch anderer Völker in derselben Weise mit großem Eifer bearbeitete. Von diesen Liedern ist bisher sowohl in England als in Deutschland nur ein verhältnismäßig kleiner Theil gedruckt; durch Herrn Franz Esp eigne, der mit großem Eifer denselben nachgespürt hat, sind mehr als 130 dergestalt be¬ arbeiteter Melodien zusammengebracht worden. Hiermit werden die ungedruckten Kompositionen Beethovens aus der Zeit seiner Reife, des Beethovens, wie ihn alle Welt kennt und anerkennt, wohl vollständig aufgezählt sein; wie gering ist die Nachlese', welche hier noch zu halten ist, im Verhältniß zu dem, was vorliegt! Nun ist aber anch eine, eben¬ falls nicht bedeutende, Anzahl von Jugendarbeiten des noch nicht fertigen Beethoven vorhanden, die aus begreiflichen Gründen bisher ungedruckt ge¬ blieben sind. In einem kleinen Notizbüchlein, das Beethoven auf der Reise von Bonn nach Wien und dort in den nächstfolgenden Jahren gebraucht hat, findet sich folgende rührende Aeußerung von seiner Hand aufgezeichnet: Muth! auch bei allen Schwächen des Körpers soll doch mein Geist herrschen. — Fünfundzwanzig Jahre sind da, dieses Jahr muß den völligen Mann entscheiden. Und dieses Jahr entschied; mit den Trios, welche im Jahr 1793 erschienen, stand der völlige Mann da, der es während seiner ganzen Künstlerlaufbahn be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/316>, abgerufen am 24.07.2024.