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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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mahnt, sichert ihnen dauernden und tief eindringenden Einfluß auf alle, denen
Musik ein wahres inneres Bedürfniß ist, und daß kein Künstler, Jünger wie
Meister, mit dem Studium Bachs und Handels je fertig wird, mögen selbst
Liebhaber überwundener Standpunkte nicht in Abrede stellen.

Man ist in neuerer Zeit mit einem erfreulichen Eifer bestrebt, durch öffent¬
liche Aufführungen aller Art und durch Einbürgern in die engeren Kreise der
häuslichen Musik die Gesangs- und Jnstrumentalcompositionen Bachs und
Handels allgemein zugänglich und bekannt zu machen, das Verständniß der¬
selben und damit den wahren Genuß an denselben auf alle Weise zu befördern.
Daß Componisten, welche bei ihren Schöpfungen so ganz und gar nicht an
Dilettanten dachten, einem Publicum, das wesentlich aus Dilettanten gebildet
ist, nicht geringe Schwierigkeiten bieten, läßt sich denken. Gar manche Voraus¬
setzungen eines unmittelbaren Verstehens und Genießens müssen erst durch künst¬
liche Vorbereitung erworben werden; denn wie hoch auch jene Künstler sich
über ihre Zeit erhoben, sie fanden in derselben doch ihren Stand- und Aus¬
gangspunkt. Auf diesen zurückzugehen wird daher, um für Auffassung und
Form volles Verständniß zu gewinnen, nicht immer zu vermeiden sein, wiewohl
dies eben wegen der universalen Bedeutung und Größe unserer Meister, wo
nur wirklich musikalisches Talent und ernster Sinn für Kunst vorhanden ist,
ohne große Anstrengung und weitläufigen Apparat zu erreichen ist. Für eine
solche Popularisirung wirken die Publicationen der Bach- und Händelgesellschaft
um so bedeutsamer, als beide den überwiegenden Theil jener unsterblichen
Werke dem musikalischen Publicum entweder zuerst zugänglich machen, oder doch
zuerst rein und ohne Entstellung, wie der Komponist sie geschrieben hat. Welch
ein Schatz hier zu gewinnen war, wird man erst inne, nun er gehoben wird,
und Generationen werden vollauf zu thun haben, ihn zum Besten wahrer Kunst¬
bildung zu verwerthen. Indessen zeigt schon die Organisation dieser Gesell¬
schaften, daß weder Bach noch Händel jetzt schon in dem Maße populär sind,
daß man sich bei der Veröffentlichung ihrer Werke an das große musikalische
Publicum wenden konnte, man war genöthigt die Künstler, Kennerund Samm¬
ler ins Auge zu fassen. Bekanntlich zahlt jedes Mitglied dieser Gesellschaften
einen bestimmten jährlichen Beitrag, der Gesammtertrag derselben wird lediglich
auf die Publication verwendet, und von den Werken, welche auf solche Weise
jährlich im Druck hergestellt werden können, erhalten die Mitglieder ein Exem¬
plar. Von einer buchhändlerischen Speculation ist dabei nicht die Rede, auf
das Publicum außerhalb der Gesellschaft wird keine Rücksicht genommen, eine
theilweise Erwerbung einzelner oder mehrer Bände ist nicht statthaft. Nur
dadurch, daß man den Hauptgesichtspunkt, die sämmtlichen Werke in kritisch
berichtigten Text herzustellen, Besitz und Gebrauch derselben für alle Zeiten zu
sichern, ganz streng festhielt, wurde die Ausführung überhaupt möglich. Die


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mahnt, sichert ihnen dauernden und tief eindringenden Einfluß auf alle, denen
Musik ein wahres inneres Bedürfniß ist, und daß kein Künstler, Jünger wie
Meister, mit dem Studium Bachs und Handels je fertig wird, mögen selbst
Liebhaber überwundener Standpunkte nicht in Abrede stellen.

Man ist in neuerer Zeit mit einem erfreulichen Eifer bestrebt, durch öffent¬
liche Aufführungen aller Art und durch Einbürgern in die engeren Kreise der
häuslichen Musik die Gesangs- und Jnstrumentalcompositionen Bachs und
Handels allgemein zugänglich und bekannt zu machen, das Verständniß der¬
selben und damit den wahren Genuß an denselben auf alle Weise zu befördern.
Daß Componisten, welche bei ihren Schöpfungen so ganz und gar nicht an
Dilettanten dachten, einem Publicum, das wesentlich aus Dilettanten gebildet
ist, nicht geringe Schwierigkeiten bieten, läßt sich denken. Gar manche Voraus¬
setzungen eines unmittelbaren Verstehens und Genießens müssen erst durch künst¬
liche Vorbereitung erworben werden; denn wie hoch auch jene Künstler sich
über ihre Zeit erhoben, sie fanden in derselben doch ihren Stand- und Aus¬
gangspunkt. Auf diesen zurückzugehen wird daher, um für Auffassung und
Form volles Verständniß zu gewinnen, nicht immer zu vermeiden sein, wiewohl
dies eben wegen der universalen Bedeutung und Größe unserer Meister, wo
nur wirklich musikalisches Talent und ernster Sinn für Kunst vorhanden ist,
ohne große Anstrengung und weitläufigen Apparat zu erreichen ist. Für eine
solche Popularisirung wirken die Publicationen der Bach- und Händelgesellschaft
um so bedeutsamer, als beide den überwiegenden Theil jener unsterblichen
Werke dem musikalischen Publicum entweder zuerst zugänglich machen, oder doch
zuerst rein und ohne Entstellung, wie der Komponist sie geschrieben hat. Welch
ein Schatz hier zu gewinnen war, wird man erst inne, nun er gehoben wird,
und Generationen werden vollauf zu thun haben, ihn zum Besten wahrer Kunst¬
bildung zu verwerthen. Indessen zeigt schon die Organisation dieser Gesell¬
schaften, daß weder Bach noch Händel jetzt schon in dem Maße populär sind,
daß man sich bei der Veröffentlichung ihrer Werke an das große musikalische
Publicum wenden konnte, man war genöthigt die Künstler, Kennerund Samm¬
ler ins Auge zu fassen. Bekanntlich zahlt jedes Mitglied dieser Gesellschaften
einen bestimmten jährlichen Beitrag, der Gesammtertrag derselben wird lediglich
auf die Publication verwendet, und von den Werken, welche auf solche Weise
jährlich im Druck hergestellt werden können, erhalten die Mitglieder ein Exem¬
plar. Von einer buchhändlerischen Speculation ist dabei nicht die Rede, auf
das Publicum außerhalb der Gesellschaft wird keine Rücksicht genommen, eine
theilweise Erwerbung einzelner oder mehrer Bände ist nicht statthaft. Nur
dadurch, daß man den Hauptgesichtspunkt, die sämmtlichen Werke in kritisch
berichtigten Text herzustellen, Besitz und Gebrauch derselben für alle Zeiten zu
sichern, ganz streng festhielt, wurde die Ausführung überhaupt möglich. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/289>, abgerufen am 24.07.2024.