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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Die preußische Politik in der schleslvig-holsteinischen Sache.

Der plötzlich erfolgte Thronwechsel in Kopenhagen und seine Folgen mußte
in Preußen sehr verschiedene Empfindungen rege machen. Niemand konnte
es sich verhehlen, daß die hochgesteigerte Spannung des innern Conflictes einer
raschen und entschiedenen Action nach Außen hin wenig günstig sei; andrerseits
aber durfte man sich der Hoffnung hingeben, daß gerade die Nothwendigkeit
raschen Handelns in einer Sache, in der nicht nur Deutschlands Recht, sondern
auch Preußens Interesse und Ehre auf dem Spiele stand, dahin wirken werde,
die Schroffheit der vorhandenen Gegensätze zu mildern und in dem gemein¬
samen Streben aller Parteien nach einem Ziele einen Einigungspunkt zu einer
völligen Ausgleichung der schwebenden Differenzen zu finden. Diese Hoffnung,
die" wie ein Lichtstrahl Preußen durchzuckte und die auch von solchen getheilt
wurde, die eher geneigt waren, sich hoffnungsloser Resignation, als optimisti¬
schen Illusionen hinzugeben, sollte bald meta-uscht werden. Es war ein Irr¬
thum, daß in dieser Frage alle Factoren des Staatslebens einig sein würden,
ein Irrthum, daß die Größe der Aufgabe, die in klarster Bestimmtheit an die
Leiter der preußischen Politik herantrat, ohne Schwierigkeit alle Antipathien
überwinden und rasch jedes Widerstreben, eine von populärer Begeisterung ge¬
tragene Sache zu vertreten, überwältigen würde. Während man in der ersten
Zeit nur Besorgnisse hegte, ob die Negierung in dieser Sache mit der Entschie¬
denheit vorgehen würde, die einen raschen, und wie die Haltung der europä¬
ischen Cabinete jetzt wohl unzweifelhaft macht, unblutigen Erfolg verbürgen
konnte, während man also glaubte, daß es nur eines ermutigenden Entgegen¬
kommens bedürfen werde, um der Regierung die aus der innern Lage etwa
abgeleiteten Besorgnisse vor einem auswärtigen Conflicte zu benehmen, mußte
man sehr bald die Erfahrung machen, daß die preußische Politik in ihrer Grund¬
auffassung der ganzen Angelegenheit von der durch die Nation geförderten Lö¬
sung merklich abwich. Es mußte diese Wahrnehmung um so auffälliger erschei¬
nen, da, wenn es sich gleich in der Schleswig-holsteinischen Sache zunächst um
ein deutsches Interesse handelte, doch auch von rein preußischem Standpunkte
aus ein schleuniger Rücktritt von dem londoner Protokolle und die sofortige
Anerkennung des Herzogs Friedrich so augenscheinlich geboten war, daß ein


Grenzboten I. 1864. 26
Die preußische Politik in der schleslvig-holsteinischen Sache.

Der plötzlich erfolgte Thronwechsel in Kopenhagen und seine Folgen mußte
in Preußen sehr verschiedene Empfindungen rege machen. Niemand konnte
es sich verhehlen, daß die hochgesteigerte Spannung des innern Conflictes einer
raschen und entschiedenen Action nach Außen hin wenig günstig sei; andrerseits
aber durfte man sich der Hoffnung hingeben, daß gerade die Nothwendigkeit
raschen Handelns in einer Sache, in der nicht nur Deutschlands Recht, sondern
auch Preußens Interesse und Ehre auf dem Spiele stand, dahin wirken werde,
die Schroffheit der vorhandenen Gegensätze zu mildern und in dem gemein¬
samen Streben aller Parteien nach einem Ziele einen Einigungspunkt zu einer
völligen Ausgleichung der schwebenden Differenzen zu finden. Diese Hoffnung,
die" wie ein Lichtstrahl Preußen durchzuckte und die auch von solchen getheilt
wurde, die eher geneigt waren, sich hoffnungsloser Resignation, als optimisti¬
schen Illusionen hinzugeben, sollte bald meta-uscht werden. Es war ein Irr¬
thum, daß in dieser Frage alle Factoren des Staatslebens einig sein würden,
ein Irrthum, daß die Größe der Aufgabe, die in klarster Bestimmtheit an die
Leiter der preußischen Politik herantrat, ohne Schwierigkeit alle Antipathien
überwinden und rasch jedes Widerstreben, eine von populärer Begeisterung ge¬
tragene Sache zu vertreten, überwältigen würde. Während man in der ersten
Zeit nur Besorgnisse hegte, ob die Negierung in dieser Sache mit der Entschie¬
denheit vorgehen würde, die einen raschen, und wie die Haltung der europä¬
ischen Cabinete jetzt wohl unzweifelhaft macht, unblutigen Erfolg verbürgen
konnte, während man also glaubte, daß es nur eines ermutigenden Entgegen¬
kommens bedürfen werde, um der Regierung die aus der innern Lage etwa
abgeleiteten Besorgnisse vor einem auswärtigen Conflicte zu benehmen, mußte
man sehr bald die Erfahrung machen, daß die preußische Politik in ihrer Grund¬
auffassung der ganzen Angelegenheit von der durch die Nation geförderten Lö¬
sung merklich abwich. Es mußte diese Wahrnehmung um so auffälliger erschei¬
nen, da, wenn es sich gleich in der Schleswig-holsteinischen Sache zunächst um
ein deutsches Interesse handelte, doch auch von rein preußischem Standpunkte
aus ein schleuniger Rücktritt von dem londoner Protokolle und die sofortige
Anerkennung des Herzogs Friedrich so augenscheinlich geboten war, daß ein


Grenzboten I. 1864. 26
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[0211] Die preußische Politik in der schleslvig-holsteinischen Sache. Der plötzlich erfolgte Thronwechsel in Kopenhagen und seine Folgen mußte in Preußen sehr verschiedene Empfindungen rege machen. Niemand konnte es sich verhehlen, daß die hochgesteigerte Spannung des innern Conflictes einer raschen und entschiedenen Action nach Außen hin wenig günstig sei; andrerseits aber durfte man sich der Hoffnung hingeben, daß gerade die Nothwendigkeit raschen Handelns in einer Sache, in der nicht nur Deutschlands Recht, sondern auch Preußens Interesse und Ehre auf dem Spiele stand, dahin wirken werde, die Schroffheit der vorhandenen Gegensätze zu mildern und in dem gemein¬ samen Streben aller Parteien nach einem Ziele einen Einigungspunkt zu einer völligen Ausgleichung der schwebenden Differenzen zu finden. Diese Hoffnung, die" wie ein Lichtstrahl Preußen durchzuckte und die auch von solchen getheilt wurde, die eher geneigt waren, sich hoffnungsloser Resignation, als optimisti¬ schen Illusionen hinzugeben, sollte bald meta-uscht werden. Es war ein Irr¬ thum, daß in dieser Frage alle Factoren des Staatslebens einig sein würden, ein Irrthum, daß die Größe der Aufgabe, die in klarster Bestimmtheit an die Leiter der preußischen Politik herantrat, ohne Schwierigkeit alle Antipathien überwinden und rasch jedes Widerstreben, eine von populärer Begeisterung ge¬ tragene Sache zu vertreten, überwältigen würde. Während man in der ersten Zeit nur Besorgnisse hegte, ob die Negierung in dieser Sache mit der Entschie¬ denheit vorgehen würde, die einen raschen, und wie die Haltung der europä¬ ischen Cabinete jetzt wohl unzweifelhaft macht, unblutigen Erfolg verbürgen konnte, während man also glaubte, daß es nur eines ermutigenden Entgegen¬ kommens bedürfen werde, um der Regierung die aus der innern Lage etwa abgeleiteten Besorgnisse vor einem auswärtigen Conflicte zu benehmen, mußte man sehr bald die Erfahrung machen, daß die preußische Politik in ihrer Grund¬ auffassung der ganzen Angelegenheit von der durch die Nation geförderten Lö¬ sung merklich abwich. Es mußte diese Wahrnehmung um so auffälliger erschei¬ nen, da, wenn es sich gleich in der Schleswig-holsteinischen Sache zunächst um ein deutsches Interesse handelte, doch auch von rein preußischem Standpunkte aus ein schleuniger Rücktritt von dem londoner Protokolle und die sofortige Anerkennung des Herzogs Friedrich so augenscheinlich geboten war, daß ein Grenzboten I. 1864. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/211>, abgerufen am 24.07.2024.