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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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wir da sicherer wären, aber das Beutepferd ging nicht über den ChauMegraben;
so sehr es auch angetrieben wurde, es blieb stehen; wahrscheinlich war es zu
sehr ermüdet. Indem sausten die Unsern wieder, von den Feinden verfolgt, an
uns vorüber, da drang ich in meinen Bruder, in den Wald zu gehen, sich zu
retten und mich meinem Schicksal zu überlassen, ich gab ihm mein Geld für
meine Frau, mit mir sei es ja doch vorbei. Ich hatte noch nicht ausgeredet,
als die Franzosen, von der Verfolgung der Unsern wieder zurückgejagt kamen;
mein Bruder sprang über den Graben in den Wald, ich blieb halten, hilflos
und ergeben in mein Schicksal. Da sprengte ein französischer Cuirassier heran
und holte mit dem Pallasch aus, um mir den Rest zu geben, besann sich aber,
sprach ein paar französische Worte, die ich nickt verstand, und ritt dann ohne
mir etwas zu thun weiter. Bald darnach kam ein zweiter Cuirassier, hob eben¬
falls den Säbel, sagte aber in demselben Moment fast auf deutsch: "Nein, an
Dir will ich mich nicht versündigen, Du hast genug" und ritt auch weiter, ohne
mir das Mindeste zu thun. Nun aber erschien ein polnischer Ulan, der stach
mich ohne Weiteres mit der Lanze in den Rücken, so daß ich vom Pferde fiel,
dann, als ich schon am Boden lag, gab er mir noch einen Stich auf den rechten
Hüftknochen, was mir sehr weh that, und hierauf jagte er fort, weil unsere
Cuirassiere und Husaren wieder angesprengt kamen.

Ich lag nun hilflos da. aber als alles ruhig geworden war, kam mein
Bruder zurück, und es gelang ihm, mich wieder auf das Pferd zu bringen. Er
führte mich in unser heut Morgen verlassenes Bivouak, wo er mich vom Pferde
hob und in eine von den Ofsiziershütten legte, wo viel Stroh war. Er hatte
Binden in seinem Tornister, verband mich, so gut er konnte, deckte mich tüchtig
mit Stroh zu und verließ mich nun. weil er nicht länger bei mir bleiben konnte;
denn die Unsrigen retirirten ja immer, was ich aus dem Feuern schloß, das
immer näher und näher kam. Nun mag ich wohl ohnmächtig geworden sein,
denn von der Nacht weiß ich nichts, ich wurde aufgeweckt, als es Tag war.
Franzosen trugen mich aufs Schloß, wo eine Unzahl preußischer und franzö¬
sischer Verwundeter lag; sie brachten mich in ein Zimmer, wo schon ein französischer
Oberst war, dem man eben das Bein abgenommen hatte. Den braven Mann,
der selbst erst eine schmerzhafte Operation überstanden hatte, aber ganz munter
schien, überkam ein so großes Mitleid mit meinem Zustande, daß er darauf be¬
stand, ich müsse gleich nach ihm verbunden werden. Nachdem dies geschehen
und ich durch den Genuß von Wein ein wenig gestärkt war, fühlte ich mich
wohler. Am andern Tage wurden die Verwundeten fortgeschafft, der Oberst
drang darauf, daß ich mit ihm auf einen Wagen kam und nicht mehr von
ihm getrennt wurde, bis wir nach Paris gelangten, wo ich im Hotel de Dieu
untergebracht, sehr sorgsam gepflegt und gut behandelt wurde und nun geheilt,
daraus angetragen habe, zum Bataillon zu gehen, und da bin ich nun. Der


wir da sicherer wären, aber das Beutepferd ging nicht über den ChauMegraben;
so sehr es auch angetrieben wurde, es blieb stehen; wahrscheinlich war es zu
sehr ermüdet. Indem sausten die Unsern wieder, von den Feinden verfolgt, an
uns vorüber, da drang ich in meinen Bruder, in den Wald zu gehen, sich zu
retten und mich meinem Schicksal zu überlassen, ich gab ihm mein Geld für
meine Frau, mit mir sei es ja doch vorbei. Ich hatte noch nicht ausgeredet,
als die Franzosen, von der Verfolgung der Unsern wieder zurückgejagt kamen;
mein Bruder sprang über den Graben in den Wald, ich blieb halten, hilflos
und ergeben in mein Schicksal. Da sprengte ein französischer Cuirassier heran
und holte mit dem Pallasch aus, um mir den Rest zu geben, besann sich aber,
sprach ein paar französische Worte, die ich nickt verstand, und ritt dann ohne
mir etwas zu thun weiter. Bald darnach kam ein zweiter Cuirassier, hob eben¬
falls den Säbel, sagte aber in demselben Moment fast auf deutsch: „Nein, an
Dir will ich mich nicht versündigen, Du hast genug" und ritt auch weiter, ohne
mir das Mindeste zu thun. Nun aber erschien ein polnischer Ulan, der stach
mich ohne Weiteres mit der Lanze in den Rücken, so daß ich vom Pferde fiel,
dann, als ich schon am Boden lag, gab er mir noch einen Stich auf den rechten
Hüftknochen, was mir sehr weh that, und hierauf jagte er fort, weil unsere
Cuirassiere und Husaren wieder angesprengt kamen.

Ich lag nun hilflos da. aber als alles ruhig geworden war, kam mein
Bruder zurück, und es gelang ihm, mich wieder auf das Pferd zu bringen. Er
führte mich in unser heut Morgen verlassenes Bivouak, wo er mich vom Pferde
hob und in eine von den Ofsiziershütten legte, wo viel Stroh war. Er hatte
Binden in seinem Tornister, verband mich, so gut er konnte, deckte mich tüchtig
mit Stroh zu und verließ mich nun. weil er nicht länger bei mir bleiben konnte;
denn die Unsrigen retirirten ja immer, was ich aus dem Feuern schloß, das
immer näher und näher kam. Nun mag ich wohl ohnmächtig geworden sein,
denn von der Nacht weiß ich nichts, ich wurde aufgeweckt, als es Tag war.
Franzosen trugen mich aufs Schloß, wo eine Unzahl preußischer und franzö¬
sischer Verwundeter lag; sie brachten mich in ein Zimmer, wo schon ein französischer
Oberst war, dem man eben das Bein abgenommen hatte. Den braven Mann,
der selbst erst eine schmerzhafte Operation überstanden hatte, aber ganz munter
schien, überkam ein so großes Mitleid mit meinem Zustande, daß er darauf be¬
stand, ich müsse gleich nach ihm verbunden werden. Nachdem dies geschehen
und ich durch den Genuß von Wein ein wenig gestärkt war, fühlte ich mich
wohler. Am andern Tage wurden die Verwundeten fortgeschafft, der Oberst
drang darauf, daß ich mit ihm auf einen Wagen kam und nicht mehr von
ihm getrennt wurde, bis wir nach Paris gelangten, wo ich im Hotel de Dieu
untergebracht, sehr sorgsam gepflegt und gut behandelt wurde und nun geheilt,
daraus angetragen habe, zum Bataillon zu gehen, und da bin ich nun. Der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/204>, abgerufen am 24.07.2024.