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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Aus speciellere Punkte lenkte Hölder die Debatte zurück. Im Jahr 1848
emporgekommen, gilt er als der Führer der schwäbischen Fortschrittspartei, wie
in den Fragen der inneren Gesetzgebung, so auf dem Felde der Höheren Po¬
litik, und die Aufmerksamkeit, welche gleich seine ersten Worte erregten, zeigten,
daß seine Stimme als eine gewichtige anerkannt wird. Von behäbigen, wohl¬
wollendem Aeuszern. zeigte er in seinem Bortrag eine maßvolle Ruhe, wie sie
dem in langjährigen Kämpfen erprobten Parteiführer wohl ansteht, aber zu¬
gleich eine eindringende Schärfe, welche den Ministertisch in die geheimsten
Schlupfwinkel der Gedanken zu verfolgen schien. Er fragte nach dem Grund
der Verschleppungen am Bunde, nach dem Verhalten der Regierung zu den
neuesten Pressionsvcrsuchen der Großmächte, warf den Ministern nachträglich ein
verfassungswidriges Verhalten bezüglich des londoner Protokolls vor und be¬
zeichnete es als unheilvoll, daß der Minister, der damals den Beitritt zu dieser
Acte unterzeichnet, noch heute in einflußreicher Stellung sich befinde. Damit
berührte er eine delikate Seite, deren Kenntniß aber zum Verständniß der an¬
fänglichen Schwankungen der würtembergischen Regierung nothwendig ist.
Man behauptet nämlich, daß Herr v. Neurath, der damalige Minister des Aus¬
wärtigen , der Hauptrathgeber bei Hof sei. daß dieser der Schleswig-holsteinischen
Sache anfänglich sehr abgeneigt gewesen, und daß neben dem Andrängen der
Minister erst ein eigenhändiger Brief des Königs Johann, der auf die der Selb¬
ständigkeit der kleineren Staaten drohenden Gefahren hinwies, eine Umstimmung
zu Stande gebracht, die jetzt allerdings eine vollständige sei, zumal eine Aeuße¬
rung des Kaisers Franz Joseph über die selbständigen Anwandlungen der mit-
tclstaatlichen Höfe bekannt geworden sei, die nur zu lebhaft an die ungnädigen
Aeußerungen gegenüber dem wiener Gemeinderath erinnere.'

Solche Angriffe auf die Ministerbank waren nicht vereinzelt. Trug auch
der Commissionsbericht auf eine erneuerte Dankesbezeugung an die Regierung
an, und wurde diese auch schließlich einstimmig votirt. so verrieth doch die Mehr¬
zahl der Redner mehr Mißtrauen als Vertrauen. Die Minister hielten sich mit
ihren Antworten durchaus im Allgemeinen, speciellere Anfragen und Vorwürfe
ignorirten sie zum Theil gänzlich. Daß die Regierung entschlossen sei, ihren
jetzigen Standpunkt auch künftig nach jeder Seite hin entschieden festzuhalten,
war alles Positive, was man von Herrn v. Hügel erfuhr. Das Auftreten
dieses Ministers ist in der That wenig bedeutend, den Rednern schien er mit
großer Aufmerksamkeit zu folgen; wenn er aber sprach, trug er eine Befangen¬
heit zur Schau, die es glaublich erscheinen ließ, daß er. wenn schärfere Angriffe
auf seine Verwaltung erfolgen, eine wenig beneidenswerthe Figur mache. Besser
weiß Herr v. Linden, eine hohe aristokratische Gestalt mit scharfen Zügen und
großer Adlernase, sich den Schein der Ueberlegenheit zu geben. So oft ihm etwas
Unangenehmes gesagt wurde, bemühte er sich zu lächeln und seinem Nachbar


Aus speciellere Punkte lenkte Hölder die Debatte zurück. Im Jahr 1848
emporgekommen, gilt er als der Führer der schwäbischen Fortschrittspartei, wie
in den Fragen der inneren Gesetzgebung, so auf dem Felde der Höheren Po¬
litik, und die Aufmerksamkeit, welche gleich seine ersten Worte erregten, zeigten,
daß seine Stimme als eine gewichtige anerkannt wird. Von behäbigen, wohl¬
wollendem Aeuszern. zeigte er in seinem Bortrag eine maßvolle Ruhe, wie sie
dem in langjährigen Kämpfen erprobten Parteiführer wohl ansteht, aber zu¬
gleich eine eindringende Schärfe, welche den Ministertisch in die geheimsten
Schlupfwinkel der Gedanken zu verfolgen schien. Er fragte nach dem Grund
der Verschleppungen am Bunde, nach dem Verhalten der Regierung zu den
neuesten Pressionsvcrsuchen der Großmächte, warf den Ministern nachträglich ein
verfassungswidriges Verhalten bezüglich des londoner Protokolls vor und be¬
zeichnete es als unheilvoll, daß der Minister, der damals den Beitritt zu dieser
Acte unterzeichnet, noch heute in einflußreicher Stellung sich befinde. Damit
berührte er eine delikate Seite, deren Kenntniß aber zum Verständniß der an¬
fänglichen Schwankungen der würtembergischen Regierung nothwendig ist.
Man behauptet nämlich, daß Herr v. Neurath, der damalige Minister des Aus¬
wärtigen , der Hauptrathgeber bei Hof sei. daß dieser der Schleswig-holsteinischen
Sache anfänglich sehr abgeneigt gewesen, und daß neben dem Andrängen der
Minister erst ein eigenhändiger Brief des Königs Johann, der auf die der Selb¬
ständigkeit der kleineren Staaten drohenden Gefahren hinwies, eine Umstimmung
zu Stande gebracht, die jetzt allerdings eine vollständige sei, zumal eine Aeuße¬
rung des Kaisers Franz Joseph über die selbständigen Anwandlungen der mit-
tclstaatlichen Höfe bekannt geworden sei, die nur zu lebhaft an die ungnädigen
Aeußerungen gegenüber dem wiener Gemeinderath erinnere.'

Solche Angriffe auf die Ministerbank waren nicht vereinzelt. Trug auch
der Commissionsbericht auf eine erneuerte Dankesbezeugung an die Regierung
an, und wurde diese auch schließlich einstimmig votirt. so verrieth doch die Mehr¬
zahl der Redner mehr Mißtrauen als Vertrauen. Die Minister hielten sich mit
ihren Antworten durchaus im Allgemeinen, speciellere Anfragen und Vorwürfe
ignorirten sie zum Theil gänzlich. Daß die Regierung entschlossen sei, ihren
jetzigen Standpunkt auch künftig nach jeder Seite hin entschieden festzuhalten,
war alles Positive, was man von Herrn v. Hügel erfuhr. Das Auftreten
dieses Ministers ist in der That wenig bedeutend, den Rednern schien er mit
großer Aufmerksamkeit zu folgen; wenn er aber sprach, trug er eine Befangen¬
heit zur Schau, die es glaublich erscheinen ließ, daß er. wenn schärfere Angriffe
auf seine Verwaltung erfolgen, eine wenig beneidenswerthe Figur mache. Besser
weiß Herr v. Linden, eine hohe aristokratische Gestalt mit scharfen Zügen und
großer Adlernase, sich den Schein der Ueberlegenheit zu geben. So oft ihm etwas
Unangenehmes gesagt wurde, bemühte er sich zu lächeln und seinem Nachbar


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[0154] Aus speciellere Punkte lenkte Hölder die Debatte zurück. Im Jahr 1848 emporgekommen, gilt er als der Führer der schwäbischen Fortschrittspartei, wie in den Fragen der inneren Gesetzgebung, so auf dem Felde der Höheren Po¬ litik, und die Aufmerksamkeit, welche gleich seine ersten Worte erregten, zeigten, daß seine Stimme als eine gewichtige anerkannt wird. Von behäbigen, wohl¬ wollendem Aeuszern. zeigte er in seinem Bortrag eine maßvolle Ruhe, wie sie dem in langjährigen Kämpfen erprobten Parteiführer wohl ansteht, aber zu¬ gleich eine eindringende Schärfe, welche den Ministertisch in die geheimsten Schlupfwinkel der Gedanken zu verfolgen schien. Er fragte nach dem Grund der Verschleppungen am Bunde, nach dem Verhalten der Regierung zu den neuesten Pressionsvcrsuchen der Großmächte, warf den Ministern nachträglich ein verfassungswidriges Verhalten bezüglich des londoner Protokolls vor und be¬ zeichnete es als unheilvoll, daß der Minister, der damals den Beitritt zu dieser Acte unterzeichnet, noch heute in einflußreicher Stellung sich befinde. Damit berührte er eine delikate Seite, deren Kenntniß aber zum Verständniß der an¬ fänglichen Schwankungen der würtembergischen Regierung nothwendig ist. Man behauptet nämlich, daß Herr v. Neurath, der damalige Minister des Aus¬ wärtigen , der Hauptrathgeber bei Hof sei. daß dieser der Schleswig-holsteinischen Sache anfänglich sehr abgeneigt gewesen, und daß neben dem Andrängen der Minister erst ein eigenhändiger Brief des Königs Johann, der auf die der Selb¬ ständigkeit der kleineren Staaten drohenden Gefahren hinwies, eine Umstimmung zu Stande gebracht, die jetzt allerdings eine vollständige sei, zumal eine Aeuße¬ rung des Kaisers Franz Joseph über die selbständigen Anwandlungen der mit- tclstaatlichen Höfe bekannt geworden sei, die nur zu lebhaft an die ungnädigen Aeußerungen gegenüber dem wiener Gemeinderath erinnere.' Solche Angriffe auf die Ministerbank waren nicht vereinzelt. Trug auch der Commissionsbericht auf eine erneuerte Dankesbezeugung an die Regierung an, und wurde diese auch schließlich einstimmig votirt. so verrieth doch die Mehr¬ zahl der Redner mehr Mißtrauen als Vertrauen. Die Minister hielten sich mit ihren Antworten durchaus im Allgemeinen, speciellere Anfragen und Vorwürfe ignorirten sie zum Theil gänzlich. Daß die Regierung entschlossen sei, ihren jetzigen Standpunkt auch künftig nach jeder Seite hin entschieden festzuhalten, war alles Positive, was man von Herrn v. Hügel erfuhr. Das Auftreten dieses Ministers ist in der That wenig bedeutend, den Rednern schien er mit großer Aufmerksamkeit zu folgen; wenn er aber sprach, trug er eine Befangen¬ heit zur Schau, die es glaublich erscheinen ließ, daß er. wenn schärfere Angriffe auf seine Verwaltung erfolgen, eine wenig beneidenswerthe Figur mache. Besser weiß Herr v. Linden, eine hohe aristokratische Gestalt mit scharfen Zügen und großer Adlernase, sich den Schein der Ueberlegenheit zu geben. So oft ihm etwas Unangenehmes gesagt wurde, bemühte er sich zu lächeln und seinem Nachbar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/154>, abgerufen am 24.07.2024.