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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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mittelstaatliche Kammer zu hören. Und auch die Bekanntschaft des einen oder
andern Ihrer Minister werde ich aus diese Weise machen."

"Sicher wird Hr. v. Hügel erscheinen, der jetzt erleichterten Gemüths
hoffen darf, auch von der Opposition Angenehmes zu hören. Einigkeit der
Parteien und Einigkeit von Regierung und Volk ist jetzt die Parole. Und
da Herr v. Hügel in der Debatte wenig gewandt ist, werden Sie an seiner
Seite Herrn v. Linden, die Seele des Ministeriums und den geistesgegenwär¬
tigen Secundärem bedrängter Collegen finden. Aber auf Eines machen Sie
sich gefaßt: aus eine unerträgliche Hitze der Gallerte, die hart unter der Decke
angebracht ist, und dann auf eine unerschöpfliche Nedelust der Herren. Gewiß
sind sie alle im Wesentlichen einig, aber wenn Sie aushalten und mit weniger
als einem Dutzend Reden davonkommen, können Sie von Glück sagen."

"Nun, Redseligkeit ist doch sonst nicht der schlimmste Fehler der Schwaben.
Werde ich aber heut eines Anderen belehrt, so soll mich dies am wenigsten
abschrecken. Sie sollen meine Geduld bewundern."

Wir waren in eine Seitenstraße eingebogen. Ein einfaches, nur mit einem
Säulenportal geschmücktes Haus nahm uns aus. Die Gallerie war bereits
dicht besetzt, wie es schien von Leuten aus den besseren Ständen, darunter
mehre Offiziere. Mit Mühe gelang es uns, einen Platz an der Brüstung
zu erobern.

Der Halbmondsaal, von mäßiger Größe, so daß die Redner überall leicht
vernehmlich sind, macht einen freundlichen, angenehmen Eindruck. In der
Höhe der geraden Wand sind Medaillons der würtembergischen Regenten von
Herzog Christoph an angebracht. An der Rundung ziehen sich die Gallerten
hin. Die Abgeordneten bildeten zum Theil noch Gruppen im Saal. Eine
telegraphische Nachricht schien eben bekannt zu werden und machte die Runde.
Es war die Nachricht von identischen Noten Preußens und Oestreichs, welche
gegen den frankfurter Centralausschuß gerichtet seien und die Mittel- und Klein¬
staaten als Heerd revolutionärer Umtriebe denunciren. Ein Theil der Abgeord¬
neten hatte bereits Platz genommen. Rasch war ich über eine Anzahl Persön¬
lichkeiten orientirt. Offenbar sind die Sitze nicht nach den Parteiverhältnissen
vertheilt. Wurde mir doch der runde, entschiedene Kopf auf der äußersten
Rechten als Ludwig Seeger, das Mitglied des frankfurter Centralausschusses
bezeichnet. Rednerbühne ist keine vorhanden. Jeder spricht vom Platze, und,
die Plätze selbst scheinen zufällig heute so, morgen so genommen zu werden.
Wenigstens kam es vor, daß im Lauf der Debatte von einer und derselben
Stelle nacheinander verschiedene Redner von verschiedener Richtung sprachen.

Präsident Weber, der, selbst zu den Altliberalen zählend, den durch Römers
Rücktritt vacant gewordenen Präsidentenstuhl erst seit Kurzem bekleidet, gab
das Zeichen. Einer der Secretäre, der -- eines berühmten Juristen Sohn --


mittelstaatliche Kammer zu hören. Und auch die Bekanntschaft des einen oder
andern Ihrer Minister werde ich aus diese Weise machen."

„Sicher wird Hr. v. Hügel erscheinen, der jetzt erleichterten Gemüths
hoffen darf, auch von der Opposition Angenehmes zu hören. Einigkeit der
Parteien und Einigkeit von Regierung und Volk ist jetzt die Parole. Und
da Herr v. Hügel in der Debatte wenig gewandt ist, werden Sie an seiner
Seite Herrn v. Linden, die Seele des Ministeriums und den geistesgegenwär¬
tigen Secundärem bedrängter Collegen finden. Aber auf Eines machen Sie
sich gefaßt: aus eine unerträgliche Hitze der Gallerte, die hart unter der Decke
angebracht ist, und dann auf eine unerschöpfliche Nedelust der Herren. Gewiß
sind sie alle im Wesentlichen einig, aber wenn Sie aushalten und mit weniger
als einem Dutzend Reden davonkommen, können Sie von Glück sagen."

„Nun, Redseligkeit ist doch sonst nicht der schlimmste Fehler der Schwaben.
Werde ich aber heut eines Anderen belehrt, so soll mich dies am wenigsten
abschrecken. Sie sollen meine Geduld bewundern."

Wir waren in eine Seitenstraße eingebogen. Ein einfaches, nur mit einem
Säulenportal geschmücktes Haus nahm uns aus. Die Gallerie war bereits
dicht besetzt, wie es schien von Leuten aus den besseren Ständen, darunter
mehre Offiziere. Mit Mühe gelang es uns, einen Platz an der Brüstung
zu erobern.

Der Halbmondsaal, von mäßiger Größe, so daß die Redner überall leicht
vernehmlich sind, macht einen freundlichen, angenehmen Eindruck. In der
Höhe der geraden Wand sind Medaillons der würtembergischen Regenten von
Herzog Christoph an angebracht. An der Rundung ziehen sich die Gallerten
hin. Die Abgeordneten bildeten zum Theil noch Gruppen im Saal. Eine
telegraphische Nachricht schien eben bekannt zu werden und machte die Runde.
Es war die Nachricht von identischen Noten Preußens und Oestreichs, welche
gegen den frankfurter Centralausschuß gerichtet seien und die Mittel- und Klein¬
staaten als Heerd revolutionärer Umtriebe denunciren. Ein Theil der Abgeord¬
neten hatte bereits Platz genommen. Rasch war ich über eine Anzahl Persön¬
lichkeiten orientirt. Offenbar sind die Sitze nicht nach den Parteiverhältnissen
vertheilt. Wurde mir doch der runde, entschiedene Kopf auf der äußersten
Rechten als Ludwig Seeger, das Mitglied des frankfurter Centralausschusses
bezeichnet. Rednerbühne ist keine vorhanden. Jeder spricht vom Platze, und,
die Plätze selbst scheinen zufällig heute so, morgen so genommen zu werden.
Wenigstens kam es vor, daß im Lauf der Debatte von einer und derselben
Stelle nacheinander verschiedene Redner von verschiedener Richtung sprachen.

Präsident Weber, der, selbst zu den Altliberalen zählend, den durch Römers
Rücktritt vacant gewordenen Präsidentenstuhl erst seit Kurzem bekleidet, gab
das Zeichen. Einer der Secretäre, der — eines berühmten Juristen Sohn —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/151>, abgerufen am 24.07.2024.