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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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lustig machen". Alles war in einem Augenblick geschehen, raschen Schritts
marschirten wir weiter, und es erfolgte gar nichts darauf. Wir Offiziere wur¬
den in einem Gasthofe niedern Ranges untergebracht, wo man für Geld etwas
zu essen bekommen konnte, ich hatte keins, konnte mich aber nicht entschließen,
von der gratis zu habenden Noggenmehlsuppe mit Leinöl zu essen, weil sie gar
zu gräulich aussah und überdies abscheulich roch; sie war aber das Einzige,
was unser Rechnungsführer, der Freiwillige D.....g bezahlen konnte. Da
mit einem Male erschien mein junger französischer Offizier und forderte mich auf,
mit ihm zu meinen frühern Wirthsleuten zu gehen, da er es mir versprochen
habe und gern die schöne Tochter kennen lernen wolle. Als wir ins Zimmer
traten, erkannte mich meine gute Wirthin Madame Angenoux sogleich, fiel mir
weinend um den Hals, beklagte mit vielen Ausrufungen mein trauriges Geschick
.und bat den Offizier, mich bei ihr im Hause zu lassen. Derselbe bedauerte,
daß er ihren Wunsch nicht erfüllen könne, und lenkte dann rasch das Gespräch
auf ihre Tochter. "O," sagte sie, "die ist nach Paris geschickt; es war hier
in der Unruhe kein Bleiben für sie." Sie erkundigte sich nun, wo wir unter-
gebracht wären, und ich sagte ihr aufrichtig, wie schlecht es uns ginge und daß
ich mich nicht habe entschließen können, die Mehlsuppe zu essen. "Wie viel
Kameraden haben Sie?" Ich erwiderte, wir wären unserer vier Freunde, die
alles mit einander theilten, und sie versprach uns und meinen beiden Leuten,
die mit den andern Gefangenen im Hofe der Mairie eingesperrt waren, ein
Mittagsessen zu schicken. Und die gute alte Dame hielt Wort. Kaum war ich
zu meinen Kameraden zurückgekehrt und hatte ihnen verkündigt, daß nun un¬
sere Noth ein Ende habe, so erschien auch schon ein Dienstmädchen mit einem
großen Korbe sehr schmackhaften Essens und zwei Flaschen Wein, woran wir
alle genug hatten.

Wir blieben hier drei Tage liegen, wahrscheinlich weil der Transportun-
serer Armee wegen schwer durchzubringen war, und jeden Mittag erhielten wir
von Madame Angenoux ein gutes Diner. Als wir den Ort endlich verließen,
führte man uns durch die Straße, in welcher meine freundlichen Wirthsleute
wohnten; sie standen beide vor ihrem Hause, und mein Wirth kam auf mich zu,
um Abschied zu nehmen. Dabei reichte er mir die Hand und gab mir zwei
Laubthaler, indem er bemerkte: "Verzeihen Sie, mein Herr, aber Sie werden
dies nöthig haben; Sie können mir es später wieder geben."

Zuerst marschirten wir nun nach und durch Troyes. Hinter der Stadt
auf einem freien Platze wurde Halt gemacht und uns einige Stunden Ruhe
gegönnt, aber von Verpflegung war nicht die Rede. Ich wußte mir jedoch
zu helfen, indem ich mich des Mädchens, das ich vor einiger Zeit hier vor
Ungebührlichkeiten beschützt, erinnerte, mir aus den Gamins, die uns hier
umschwärmten, einen ziemlich anständig gekleideten heraussuchte und ihn fragte,


lustig machen". Alles war in einem Augenblick geschehen, raschen Schritts
marschirten wir weiter, und es erfolgte gar nichts darauf. Wir Offiziere wur¬
den in einem Gasthofe niedern Ranges untergebracht, wo man für Geld etwas
zu essen bekommen konnte, ich hatte keins, konnte mich aber nicht entschließen,
von der gratis zu habenden Noggenmehlsuppe mit Leinöl zu essen, weil sie gar
zu gräulich aussah und überdies abscheulich roch; sie war aber das Einzige,
was unser Rechnungsführer, der Freiwillige D.....g bezahlen konnte. Da
mit einem Male erschien mein junger französischer Offizier und forderte mich auf,
mit ihm zu meinen frühern Wirthsleuten zu gehen, da er es mir versprochen
habe und gern die schöne Tochter kennen lernen wolle. Als wir ins Zimmer
traten, erkannte mich meine gute Wirthin Madame Angenoux sogleich, fiel mir
weinend um den Hals, beklagte mit vielen Ausrufungen mein trauriges Geschick
.und bat den Offizier, mich bei ihr im Hause zu lassen. Derselbe bedauerte,
daß er ihren Wunsch nicht erfüllen könne, und lenkte dann rasch das Gespräch
auf ihre Tochter. „O," sagte sie, „die ist nach Paris geschickt; es war hier
in der Unruhe kein Bleiben für sie." Sie erkundigte sich nun, wo wir unter-
gebracht wären, und ich sagte ihr aufrichtig, wie schlecht es uns ginge und daß
ich mich nicht habe entschließen können, die Mehlsuppe zu essen. „Wie viel
Kameraden haben Sie?" Ich erwiderte, wir wären unserer vier Freunde, die
alles mit einander theilten, und sie versprach uns und meinen beiden Leuten,
die mit den andern Gefangenen im Hofe der Mairie eingesperrt waren, ein
Mittagsessen zu schicken. Und die gute alte Dame hielt Wort. Kaum war ich
zu meinen Kameraden zurückgekehrt und hatte ihnen verkündigt, daß nun un¬
sere Noth ein Ende habe, so erschien auch schon ein Dienstmädchen mit einem
großen Korbe sehr schmackhaften Essens und zwei Flaschen Wein, woran wir
alle genug hatten.

Wir blieben hier drei Tage liegen, wahrscheinlich weil der Transportun-
serer Armee wegen schwer durchzubringen war, und jeden Mittag erhielten wir
von Madame Angenoux ein gutes Diner. Als wir den Ort endlich verließen,
führte man uns durch die Straße, in welcher meine freundlichen Wirthsleute
wohnten; sie standen beide vor ihrem Hause, und mein Wirth kam auf mich zu,
um Abschied zu nehmen. Dabei reichte er mir die Hand und gab mir zwei
Laubthaler, indem er bemerkte: „Verzeihen Sie, mein Herr, aber Sie werden
dies nöthig haben; Sie können mir es später wieder geben."

Zuerst marschirten wir nun nach und durch Troyes. Hinter der Stadt
auf einem freien Platze wurde Halt gemacht und uns einige Stunden Ruhe
gegönnt, aber von Verpflegung war nicht die Rede. Ich wußte mir jedoch
zu helfen, indem ich mich des Mädchens, das ich vor einiger Zeit hier vor
Ungebührlichkeiten beschützt, erinnerte, mir aus den Gamins, die uns hier
umschwärmten, einen ziemlich anständig gekleideten heraussuchte und ihn fragte,


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[0145] lustig machen". Alles war in einem Augenblick geschehen, raschen Schritts marschirten wir weiter, und es erfolgte gar nichts darauf. Wir Offiziere wur¬ den in einem Gasthofe niedern Ranges untergebracht, wo man für Geld etwas zu essen bekommen konnte, ich hatte keins, konnte mich aber nicht entschließen, von der gratis zu habenden Noggenmehlsuppe mit Leinöl zu essen, weil sie gar zu gräulich aussah und überdies abscheulich roch; sie war aber das Einzige, was unser Rechnungsführer, der Freiwillige D.....g bezahlen konnte. Da mit einem Male erschien mein junger französischer Offizier und forderte mich auf, mit ihm zu meinen frühern Wirthsleuten zu gehen, da er es mir versprochen habe und gern die schöne Tochter kennen lernen wolle. Als wir ins Zimmer traten, erkannte mich meine gute Wirthin Madame Angenoux sogleich, fiel mir weinend um den Hals, beklagte mit vielen Ausrufungen mein trauriges Geschick .und bat den Offizier, mich bei ihr im Hause zu lassen. Derselbe bedauerte, daß er ihren Wunsch nicht erfüllen könne, und lenkte dann rasch das Gespräch auf ihre Tochter. „O," sagte sie, „die ist nach Paris geschickt; es war hier in der Unruhe kein Bleiben für sie." Sie erkundigte sich nun, wo wir unter- gebracht wären, und ich sagte ihr aufrichtig, wie schlecht es uns ginge und daß ich mich nicht habe entschließen können, die Mehlsuppe zu essen. „Wie viel Kameraden haben Sie?" Ich erwiderte, wir wären unserer vier Freunde, die alles mit einander theilten, und sie versprach uns und meinen beiden Leuten, die mit den andern Gefangenen im Hofe der Mairie eingesperrt waren, ein Mittagsessen zu schicken. Und die gute alte Dame hielt Wort. Kaum war ich zu meinen Kameraden zurückgekehrt und hatte ihnen verkündigt, daß nun un¬ sere Noth ein Ende habe, so erschien auch schon ein Dienstmädchen mit einem großen Korbe sehr schmackhaften Essens und zwei Flaschen Wein, woran wir alle genug hatten. Wir blieben hier drei Tage liegen, wahrscheinlich weil der Transportun- serer Armee wegen schwer durchzubringen war, und jeden Mittag erhielten wir von Madame Angenoux ein gutes Diner. Als wir den Ort endlich verließen, führte man uns durch die Straße, in welcher meine freundlichen Wirthsleute wohnten; sie standen beide vor ihrem Hause, und mein Wirth kam auf mich zu, um Abschied zu nehmen. Dabei reichte er mir die Hand und gab mir zwei Laubthaler, indem er bemerkte: „Verzeihen Sie, mein Herr, aber Sie werden dies nöthig haben; Sie können mir es später wieder geben." Zuerst marschirten wir nun nach und durch Troyes. Hinter der Stadt auf einem freien Platze wurde Halt gemacht und uns einige Stunden Ruhe gegönnt, aber von Verpflegung war nicht die Rede. Ich wußte mir jedoch zu helfen, indem ich mich des Mädchens, das ich vor einiger Zeit hier vor Ungebührlichkeiten beschützt, erinnerte, mir aus den Gamins, die uns hier umschwärmten, einen ziemlich anständig gekleideten heraussuchte und ihn fragte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/145>, abgerufen am 24.07.2024.