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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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natürlich gänzlich. Ich beschränke mich darauf, einige Symptome zu berühren,
die bei diesem Anlaß hervortraten.

Zunächst fiel es in die Augen, daß die Scheidung der großdeutschcn De¬
mokraten von dem Gros der Partei une vollzogene Thatsache ist. Es war die
erste Gelegenheit, bei welcher sich diese Erscheinung öffentlich manifestirte.
Obwohl die Einladung keineswegs exclusiv war. vielmehr mit Bezugnahme
auf den Rcichsverfassungssturm. der im April 1849 alle Parteien ohne Aus¬
nahme vereinigt haste, sich an die Mitglieder wie an die Nichtmitglicdcr des
Nationalvereins richtete, fühlte sich doch jene Fraction nicht berufen, an der
Feier Theil zu nehmen. Die Trennung ist also fertig, und nur der könnte sie
beklagen, der, das Gedeihen des früheren Liberalismus innerhalb der einzelnen
Staaten im Auge, dem deutschen Parteiwesen und damit den deutschen Fragen
überhaupt erst die zweite Stelle anweisen wollte. Ueber diesen Standpunkt ist
die Mehrzahl glücklich hinaus. Die Logik der Thatsachen war stärker als das
Jammern über die Zertrümmerung der Partei, die nur der Reaction zu gut
kommen werde. Ein Einziger von der eßlinger Minderheit war erschienen ; sein
taktvolles Austreten warf auf die Haltung seiner Gesinnungsgenossen nur ein
"in so schärferes Licht. Indem er der hingegangener Kämpfer für die Reichs-
verfassung gedachte, er. der in Eßlingen gegen die Reichsverfassung und für
ein neu zu cvnstituirendes Parlament gesprochen hatte, schien er ein Beispiel von
derjenigen Unterordnung persönlicher Meinungsverschiedenheit unter ein von
der großen Mehrheit gebilligtes Programm geben zu wollen, wie sie das Co¬
mite der Fortschrittspartei von Allen erwarten zu können glaubte. In einer
Beziehung wäre übrigens wirklich zu wünschen gewesen, daß nicht blos
Becher, sondern auch die Herren Oesterlen. Probst und Schott erschienen wären:
sie hätten abermals inne werden müssen, wie isolirt sie stehen, sie hätten an
dem zündenden Eindruck der beredten von der Tribüne gesprochenen Worte er¬
fahren, wie sehr der Gedanke durchgeschlagen hat, daß die Zukunft des cinzcl-
staatlichen Liberalismus an den Fortschritt der nationalen Idee geknüpft ist.

Andrerseits hat die Feier des 28. März auch davon wieder Zeugniß abge-
^in, daß die Schwaben, indem sie die Reihen der Nationalpartei verstärken,
gleich auf die in dieser südwestlichen Ecke Deutschlands vorherrschenden Nei¬
gungen und Sympathien keineswegs Verzicht leisten. Auch dies hat seine gute
Seite. Es ist ein Beweis, daß die Bewegung nicht von außen gemacht wird,
sie sich von innen heraus vollzieht. Die Berfechter des Nationcüvercins in
Schwaben hören zuweilen den Porwurf, sie stiften eine Gemeinde, die keinen
Boden im Land habe, sie suchen etwas Fremdes, den natürlichen Bedingungen
Widerstrebendes künstlich dem Stamme aufzupfropfen. Wäre dies der Fall, so
Wäre allerdings eine Reaction unausbleiblich, die das fremde Gewächs mit
sammt der dünnen Erdkrume, in der es steht, über kurz oder lang hinwegfegen


natürlich gänzlich. Ich beschränke mich darauf, einige Symptome zu berühren,
die bei diesem Anlaß hervortraten.

Zunächst fiel es in die Augen, daß die Scheidung der großdeutschcn De¬
mokraten von dem Gros der Partei une vollzogene Thatsache ist. Es war die
erste Gelegenheit, bei welcher sich diese Erscheinung öffentlich manifestirte.
Obwohl die Einladung keineswegs exclusiv war. vielmehr mit Bezugnahme
auf den Rcichsverfassungssturm. der im April 1849 alle Parteien ohne Aus¬
nahme vereinigt haste, sich an die Mitglieder wie an die Nichtmitglicdcr des
Nationalvereins richtete, fühlte sich doch jene Fraction nicht berufen, an der
Feier Theil zu nehmen. Die Trennung ist also fertig, und nur der könnte sie
beklagen, der, das Gedeihen des früheren Liberalismus innerhalb der einzelnen
Staaten im Auge, dem deutschen Parteiwesen und damit den deutschen Fragen
überhaupt erst die zweite Stelle anweisen wollte. Ueber diesen Standpunkt ist
die Mehrzahl glücklich hinaus. Die Logik der Thatsachen war stärker als das
Jammern über die Zertrümmerung der Partei, die nur der Reaction zu gut
kommen werde. Ein Einziger von der eßlinger Minderheit war erschienen ; sein
taktvolles Austreten warf auf die Haltung seiner Gesinnungsgenossen nur ein
"in so schärferes Licht. Indem er der hingegangener Kämpfer für die Reichs-
verfassung gedachte, er. der in Eßlingen gegen die Reichsverfassung und für
ein neu zu cvnstituirendes Parlament gesprochen hatte, schien er ein Beispiel von
derjenigen Unterordnung persönlicher Meinungsverschiedenheit unter ein von
der großen Mehrheit gebilligtes Programm geben zu wollen, wie sie das Co¬
mite der Fortschrittspartei von Allen erwarten zu können glaubte. In einer
Beziehung wäre übrigens wirklich zu wünschen gewesen, daß nicht blos
Becher, sondern auch die Herren Oesterlen. Probst und Schott erschienen wären:
sie hätten abermals inne werden müssen, wie isolirt sie stehen, sie hätten an
dem zündenden Eindruck der beredten von der Tribüne gesprochenen Worte er¬
fahren, wie sehr der Gedanke durchgeschlagen hat, daß die Zukunft des cinzcl-
staatlichen Liberalismus an den Fortschritt der nationalen Idee geknüpft ist.

Andrerseits hat die Feier des 28. März auch davon wieder Zeugniß abge-
^in, daß die Schwaben, indem sie die Reihen der Nationalpartei verstärken,
gleich auf die in dieser südwestlichen Ecke Deutschlands vorherrschenden Nei¬
gungen und Sympathien keineswegs Verzicht leisten. Auch dies hat seine gute
Seite. Es ist ein Beweis, daß die Bewegung nicht von außen gemacht wird,
sie sich von innen heraus vollzieht. Die Berfechter des Nationcüvercins in
Schwaben hören zuweilen den Porwurf, sie stiften eine Gemeinde, die keinen
Boden im Land habe, sie suchen etwas Fremdes, den natürlichen Bedingungen
Widerstrebendes künstlich dem Stamme aufzupfropfen. Wäre dies der Fall, so
Wäre allerdings eine Reaction unausbleiblich, die das fremde Gewächs mit
sammt der dünnen Erdkrume, in der es steht, über kurz oder lang hinwegfegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/99>, abgerufen am 19.10.2024.