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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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den großen politischen Fragen war es. daß die östreichische Regierung für ihre
Schwäche im Großen einen Ersatz im Kleinen suchte, daß Metternich, theils
um die Bildung kräftiger Staatencomplexe an den Grenzen Oestreichs zu ver¬
hüten, theils aus bis ins Maßlose gesteigerter NcvolulionZfurcht den einheit¬
lichen Bewegungen in der Schweiz entgegentrat, und den freiheitlichen Re¬
gungen in Deutschland, deren Bedeutung er in einer seine eigenen monarchischen
Grundsätze aufs höchste compromittirendcn Weise übertrieb, dadurch die Spitze abzu¬
brechen suchte, daß er dem Bundestage völlig den verhaßten, sein Ansehen immer
mehr untergrabenden Charakter einer Polizeibehörde ausdrückte. Im Uebrigen ge¬
stalteten sich die Verhältnisse beruhigend, bis im Jahre 1839 der Conflict zwischen
dem Sultan und dem Pascha von Aegypten den europäischen Frieden ernstlich
gefährdete. Springer faßt die Lösung der aus diesem Conflicte hervorgehenden
diplomatischen Verwickelung als eine völlige Niederlage Oestreichs auf. Wir
können dieser Ansicht nicht unbedingt beipflichten, halten vielmehr an der Auf¬
fassung fest, die wir in früheren Aufsätzen in den Grenzboten in Betreff dieser
Angelegenheit entwickelt haben. Allerdings scheiterte der übrigens kaum die be¬
scheidenen Grenzen eines Wunsches überschreitende Versuch Metternichs, die
Leitung der Verhandlungen in seine Hand zu nehmen. Auch mochte Metternich
von der Verständigung des Kaisers Nikolaus mit Lord Palmerston empfindlich
berührt werden. Indessen darf man doch nicht außer Acht lassen, daß das
Einvernehmen Rußlands und Englands die Vorbedingung einer friedlichen Lö¬
sung der Frage war, ferner, daß es Nußland war, welches eine Concession
machte und, seine Pläne vertagend, sich der auch von Oestreich getheilten Auf¬
fassung der orientalischen Frage anschloß, und daß, sobald es zu seiner alten
Politik zurückkehrte, sofort die Intimität mit England sich lösen mühte, wie ja
auch die dem Krimkriege vorangehenden Verhandlungen deutlich zeigen, daß
der Kaiser Nikolaus in einer argen Selbsttäuschung befangen war, wenn er die
Hoffnung gehegt hatte, England zum Gehilfen seiner orientalischen Pläne zu
gewinnen. Auch in den, wie wir glauben, gar nicht ernstlich gemeinten Kriegs¬
drohungen Frankreichs kann man doch keine Niederlage Oestreichs sehen, wie
denn auch der Verfasser die Gefahren eines Krieges, in dem Frankreich fast
ganz Europa gegen sich gehabt hätte, zu hoch anschlägt. Die leitende Rolle in
den orientalischen Angelegenheiten hatte Oestreich längst aufgegeben; sie bei die¬
ser Gelegenheit nicht wiedergewonnen zu haben, wird man kaum als eine Nie¬
derlage bezeichnen können. Seine Niederlage auf dem Felde der orientalischen
Diplomatie hatte Oestreich im russisch-türkischen Kriege erlitten. Was seitdem
geschah, war nur ein Symptom desselben Verfalles, der auf allen Gebieten
sich.vollzog, der unter der Regierung des Kaisers Ferdinand trotz einzelner
Versuche, sich zu kräftigem Handeln aufzuraffen, immer weiter und weiter
um sich griff, der endlich jene ständischen Bewegungen hervorrief, die nicht


den großen politischen Fragen war es. daß die östreichische Regierung für ihre
Schwäche im Großen einen Ersatz im Kleinen suchte, daß Metternich, theils
um die Bildung kräftiger Staatencomplexe an den Grenzen Oestreichs zu ver¬
hüten, theils aus bis ins Maßlose gesteigerter NcvolulionZfurcht den einheit¬
lichen Bewegungen in der Schweiz entgegentrat, und den freiheitlichen Re¬
gungen in Deutschland, deren Bedeutung er in einer seine eigenen monarchischen
Grundsätze aufs höchste compromittirendcn Weise übertrieb, dadurch die Spitze abzu¬
brechen suchte, daß er dem Bundestage völlig den verhaßten, sein Ansehen immer
mehr untergrabenden Charakter einer Polizeibehörde ausdrückte. Im Uebrigen ge¬
stalteten sich die Verhältnisse beruhigend, bis im Jahre 1839 der Conflict zwischen
dem Sultan und dem Pascha von Aegypten den europäischen Frieden ernstlich
gefährdete. Springer faßt die Lösung der aus diesem Conflicte hervorgehenden
diplomatischen Verwickelung als eine völlige Niederlage Oestreichs auf. Wir
können dieser Ansicht nicht unbedingt beipflichten, halten vielmehr an der Auf¬
fassung fest, die wir in früheren Aufsätzen in den Grenzboten in Betreff dieser
Angelegenheit entwickelt haben. Allerdings scheiterte der übrigens kaum die be¬
scheidenen Grenzen eines Wunsches überschreitende Versuch Metternichs, die
Leitung der Verhandlungen in seine Hand zu nehmen. Auch mochte Metternich
von der Verständigung des Kaisers Nikolaus mit Lord Palmerston empfindlich
berührt werden. Indessen darf man doch nicht außer Acht lassen, daß das
Einvernehmen Rußlands und Englands die Vorbedingung einer friedlichen Lö¬
sung der Frage war, ferner, daß es Nußland war, welches eine Concession
machte und, seine Pläne vertagend, sich der auch von Oestreich getheilten Auf¬
fassung der orientalischen Frage anschloß, und daß, sobald es zu seiner alten
Politik zurückkehrte, sofort die Intimität mit England sich lösen mühte, wie ja
auch die dem Krimkriege vorangehenden Verhandlungen deutlich zeigen, daß
der Kaiser Nikolaus in einer argen Selbsttäuschung befangen war, wenn er die
Hoffnung gehegt hatte, England zum Gehilfen seiner orientalischen Pläne zu
gewinnen. Auch in den, wie wir glauben, gar nicht ernstlich gemeinten Kriegs¬
drohungen Frankreichs kann man doch keine Niederlage Oestreichs sehen, wie
denn auch der Verfasser die Gefahren eines Krieges, in dem Frankreich fast
ganz Europa gegen sich gehabt hätte, zu hoch anschlägt. Die leitende Rolle in
den orientalischen Angelegenheiten hatte Oestreich längst aufgegeben; sie bei die¬
ser Gelegenheit nicht wiedergewonnen zu haben, wird man kaum als eine Nie¬
derlage bezeichnen können. Seine Niederlage auf dem Felde der orientalischen
Diplomatie hatte Oestreich im russisch-türkischen Kriege erlitten. Was seitdem
geschah, war nur ein Symptom desselben Verfalles, der auf allen Gebieten
sich.vollzog, der unter der Regierung des Kaisers Ferdinand trotz einzelner
Versuche, sich zu kräftigem Handeln aufzuraffen, immer weiter und weiter
um sich griff, der endlich jene ständischen Bewegungen hervorrief, die nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/496>, abgerufen am 19.10.2024.