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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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rüge zu bemerken^ daß bei Hessen-Homburg und Liechtenstein ein Vacat und bei
dem der Fürsorge des würdigen Herrn v. schätzet! überantworteten Bernburg
sowie bei den beiden Lippe ein Doppelfragezeichen steht.

Wir kommen zum Schluß. Das Turnen ist in Deutschland fast allgemein
als ein wesentliches und darum unumgängliches Erziehungs- und Bildungs¬
mittel anerkannt worden. Diese Ueberzeugung und mit ihr die Uebung der
Kunst wird schwerlich von einer andern Meinung, einer andern Manier oder
Methode körperlicher Ausbildung verdrängt werden. Im Gegentheil, was bis¬
her auf diesem Gebiete geleistet wurde, ist sehr wahrscheinlich nur das erste
Glied einer langen Kette von Vervollkommnungen, die auch auf andere Ge¬
biete des Volkslebens hinüberwirken werden.

Die Pflege und Forderung der Leibesübungen lassen sich gegenwärtig zwei
Gewalten angelegen sein: Regierungen und Volk. Jene erstrecken ihre Fürsorge
auf Schule und Heer. . In der Schule soll das Turnen das Exercitium des
Geistes ergänzen und dessen etwaigen schädlichen Einwirkungen auf die Gesund¬
heit des Leibes entgegenwirken. Im Heer hat es selbstverständlich den Zweck,
den Mann für den Kriegsdienst körperlich geschickt zu machen, beziehentlich zu
erhalten; denn bei strammer Leibesübung in den Schulen ist eine gewisse turne¬
rische Vorbildung bei allen zum Kriegsdienst Herangezogenen selbstverständlich.
Die Regierungen wenden auf diesen letztern Theil ihrer Aufgabe ihrer Mehr¬
zahl nach größere Aufmerksamkeit, und zwar nicht mit Recht; denn ohne Zwei¬
fel würde sich bei allgemeiner Einführung des Turnens in den Schulen eine
wesentliche Verminderung der bisher beinahe überall beobachteten auffallend
großen Menge kriegsuntüchtiger Rekruten herausstellen, namentlich dann, wenn
die Zwischenzeit zwischen dem Austritt aus der Schule und dem Eintritt in die
Armee das in dieser Hinsicht in der Schule Gelernte und Geübte nicht ver¬
loren gehen läßt.

Hier hatte das Volk einzutreten, und dies ist bereits in ausgedehntem,
wenn auch noch lange nicht in ausreichendem Maße geschehen. Auch das Volk hat,
indem es sich zu Turnvereinen zusammenthat, unabhängig von dem Einfluß
staatlicher Behörden, die Turnsache zu der seinen gemacht. Ja mehr noch, der
Gedanke des Turnens ist aus dem Volke herausgewachsen, hat in ihm zuerst
weithinreichende Wurzeln geschlagen. Und noch mehr: die Regierungen haben
zu Zeiten diese volksthümliche Schöpfung nicht nur nicht anerkennen und för¬
dern wollen, sondern sie für schadenbringend erklärt, sie auszurotten sich be¬
müht. Wie sich das Turnwesen in Zukunft unter den Deutschen gestalten wird,
läßt sich nicht mit voller Klarheit voraussehen. Sicher scheint nur, daß die
Regierungen aus mancherlei Rücksichten genöthigt sind, das Turnen bei ihren
Armeen immer energischer zu betreiben. Ist aber turnerische Durchbildung, Fer¬
tigkeit in allen männlichen Leibesübungen ein Haupterforderniß des Soldaten,


rüge zu bemerken^ daß bei Hessen-Homburg und Liechtenstein ein Vacat und bei
dem der Fürsorge des würdigen Herrn v. schätzet! überantworteten Bernburg
sowie bei den beiden Lippe ein Doppelfragezeichen steht.

Wir kommen zum Schluß. Das Turnen ist in Deutschland fast allgemein
als ein wesentliches und darum unumgängliches Erziehungs- und Bildungs¬
mittel anerkannt worden. Diese Ueberzeugung und mit ihr die Uebung der
Kunst wird schwerlich von einer andern Meinung, einer andern Manier oder
Methode körperlicher Ausbildung verdrängt werden. Im Gegentheil, was bis¬
her auf diesem Gebiete geleistet wurde, ist sehr wahrscheinlich nur das erste
Glied einer langen Kette von Vervollkommnungen, die auch auf andere Ge¬
biete des Volkslebens hinüberwirken werden.

Die Pflege und Forderung der Leibesübungen lassen sich gegenwärtig zwei
Gewalten angelegen sein: Regierungen und Volk. Jene erstrecken ihre Fürsorge
auf Schule und Heer. . In der Schule soll das Turnen das Exercitium des
Geistes ergänzen und dessen etwaigen schädlichen Einwirkungen auf die Gesund¬
heit des Leibes entgegenwirken. Im Heer hat es selbstverständlich den Zweck,
den Mann für den Kriegsdienst körperlich geschickt zu machen, beziehentlich zu
erhalten; denn bei strammer Leibesübung in den Schulen ist eine gewisse turne¬
rische Vorbildung bei allen zum Kriegsdienst Herangezogenen selbstverständlich.
Die Regierungen wenden auf diesen letztern Theil ihrer Aufgabe ihrer Mehr¬
zahl nach größere Aufmerksamkeit, und zwar nicht mit Recht; denn ohne Zwei¬
fel würde sich bei allgemeiner Einführung des Turnens in den Schulen eine
wesentliche Verminderung der bisher beinahe überall beobachteten auffallend
großen Menge kriegsuntüchtiger Rekruten herausstellen, namentlich dann, wenn
die Zwischenzeit zwischen dem Austritt aus der Schule und dem Eintritt in die
Armee das in dieser Hinsicht in der Schule Gelernte und Geübte nicht ver¬
loren gehen läßt.

Hier hatte das Volk einzutreten, und dies ist bereits in ausgedehntem,
wenn auch noch lange nicht in ausreichendem Maße geschehen. Auch das Volk hat,
indem es sich zu Turnvereinen zusammenthat, unabhängig von dem Einfluß
staatlicher Behörden, die Turnsache zu der seinen gemacht. Ja mehr noch, der
Gedanke des Turnens ist aus dem Volke herausgewachsen, hat in ihm zuerst
weithinreichende Wurzeln geschlagen. Und noch mehr: die Regierungen haben
zu Zeiten diese volksthümliche Schöpfung nicht nur nicht anerkennen und för¬
dern wollen, sondern sie für schadenbringend erklärt, sie auszurotten sich be¬
müht. Wie sich das Turnwesen in Zukunft unter den Deutschen gestalten wird,
läßt sich nicht mit voller Klarheit voraussehen. Sicher scheint nur, daß die
Regierungen aus mancherlei Rücksichten genöthigt sind, das Turnen bei ihren
Armeen immer energischer zu betreiben. Ist aber turnerische Durchbildung, Fer¬
tigkeit in allen männlichen Leibesübungen ein Haupterforderniß des Soldaten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/470>, abgerufen am 19.10.2024.