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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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die ebensowenig den Bewohnern gestattet hinauszusehen, als dem Lichte hin¬
einzufallen. Doch dort an jenem Hause, wo die Flachbögen auf dünnen Halb-
säulenstengeln fußen, scheinen sie etwas tragen zu sollen; nur nicht eine Last
über sich, sondern eine Reihe von kleinen Böglein, welche ihnen unten ange¬
hängt sind. Vortrefflicher Einfall! weshalb nicht an jedes dieser Böglein noch
ein Glöckchen hängen, um der Formensprache dieser neuen, nationalen Archi¬
tektur eine passende Begleitung zu geben?

Und was ist mit all diesen steinernen Fälschungen erreicht? Vielleicht rhyth¬
mische Verhältnisse, welche einen Totaleindruck, der dem Wesen des Gegen¬
standes im Allgemeinen entspricht, und soweit eine wenigstens im Ganzen
wahre Erscheinung hervorbringen? Oder etwa eine Scenerie, die wie ein phan¬
tasievolles Gedicht sich um den Bau legt und daher um das Gerüste und Ge-
rümpel im Inneren, welches nur dem Bedürfnisse dient, sich nicht kümmert?
So wenig das Eine, wie das Andere. Mit allen jenen Lügen weiß die neue
Bauweise nichts zu erreichen, als unschöne Verhältnisse und eine phantasielose
nüchterne Anordnung.

Einige Thore erstrecken sich in die häßlichste Länge über zwei Stockwerke
hinauf, um wo möglich mit ihrer Spitze die Brüstung des dritten zu erreichen.
Wo mag hier wohl der Fußboden liegen? Die Antwort ist einfach. Nur der
dritte Theil von der Hohe des Thores öffnet sich und durch diese lächerliche
Oeffnung zeigt sich die Decke eines ganz niedrigen Eingangs, darüber aber an
den Fenstern, welche in den auf die Mauern geblendeten hölzernen Thorflügeln
angebracht sind, schwebt ein so halb im Eingang, halb im Innern harmlos
lebendes Geschlecht. Und warum denn gleich drei solche Ungethüme von über-
strcckten Thoren nebeneinander, da nur ein Drittheil von einem einzigen wirk¬
licher Eingang ist? Gastlich scheinen die Thore den Herbeikommenden einzuladen,
und kaum findet er ein Schlupfloch, durch das er eintreten kann. Auch wird
die Fa^abe durch einen solchen Pleonasmus nur verunstaltet. Ihr Ansehen
könnte nur gewinnen, wenn sie blos einen einzigen entsprechend großen
Eingang hätte; zumal diese Architektur nicht zu wissen scheint, daß einem großen
Thore auch eine entsprechend starke Einrahmung zu geben ist und dieselbe nicht
noch dürftiger sein darf, als die ohnehin schon zur möglichsten Dünnheit zu¬
sammengeschrumpften Einfassungen der Fenster.

Nun die Gliederung und künstlerische Anordnung. Vom Boden bis zum
Hauptgesimse hinauf (wenn einige handbreit ausladende Prosilchcn, hier und da
auf winzige Tragsteinchen oder Bogenfrieschen gesetzt, sich so nennen können)
steigen schmächtige Lisenen in die Hohe, die kaum sich über die Wandfläche hin¬
auswagen, und schließen, wie schmale Säume, unendlich überstreckte Füllungen
ein, die ihrerseits in der Form schmaler, langer, regelmäßig durchlöcherter
Handtücher neben einander hängen. Fenstersohlbänke und Gurten müssen


die ebensowenig den Bewohnern gestattet hinauszusehen, als dem Lichte hin¬
einzufallen. Doch dort an jenem Hause, wo die Flachbögen auf dünnen Halb-
säulenstengeln fußen, scheinen sie etwas tragen zu sollen; nur nicht eine Last
über sich, sondern eine Reihe von kleinen Böglein, welche ihnen unten ange¬
hängt sind. Vortrefflicher Einfall! weshalb nicht an jedes dieser Böglein noch
ein Glöckchen hängen, um der Formensprache dieser neuen, nationalen Archi¬
tektur eine passende Begleitung zu geben?

Und was ist mit all diesen steinernen Fälschungen erreicht? Vielleicht rhyth¬
mische Verhältnisse, welche einen Totaleindruck, der dem Wesen des Gegen¬
standes im Allgemeinen entspricht, und soweit eine wenigstens im Ganzen
wahre Erscheinung hervorbringen? Oder etwa eine Scenerie, die wie ein phan¬
tasievolles Gedicht sich um den Bau legt und daher um das Gerüste und Ge-
rümpel im Inneren, welches nur dem Bedürfnisse dient, sich nicht kümmert?
So wenig das Eine, wie das Andere. Mit allen jenen Lügen weiß die neue
Bauweise nichts zu erreichen, als unschöne Verhältnisse und eine phantasielose
nüchterne Anordnung.

Einige Thore erstrecken sich in die häßlichste Länge über zwei Stockwerke
hinauf, um wo möglich mit ihrer Spitze die Brüstung des dritten zu erreichen.
Wo mag hier wohl der Fußboden liegen? Die Antwort ist einfach. Nur der
dritte Theil von der Hohe des Thores öffnet sich und durch diese lächerliche
Oeffnung zeigt sich die Decke eines ganz niedrigen Eingangs, darüber aber an
den Fenstern, welche in den auf die Mauern geblendeten hölzernen Thorflügeln
angebracht sind, schwebt ein so halb im Eingang, halb im Innern harmlos
lebendes Geschlecht. Und warum denn gleich drei solche Ungethüme von über-
strcckten Thoren nebeneinander, da nur ein Drittheil von einem einzigen wirk¬
licher Eingang ist? Gastlich scheinen die Thore den Herbeikommenden einzuladen,
und kaum findet er ein Schlupfloch, durch das er eintreten kann. Auch wird
die Fa^abe durch einen solchen Pleonasmus nur verunstaltet. Ihr Ansehen
könnte nur gewinnen, wenn sie blos einen einzigen entsprechend großen
Eingang hätte; zumal diese Architektur nicht zu wissen scheint, daß einem großen
Thore auch eine entsprechend starke Einrahmung zu geben ist und dieselbe nicht
noch dürftiger sein darf, als die ohnehin schon zur möglichsten Dünnheit zu¬
sammengeschrumpften Einfassungen der Fenster.

Nun die Gliederung und künstlerische Anordnung. Vom Boden bis zum
Hauptgesimse hinauf (wenn einige handbreit ausladende Prosilchcn, hier und da
auf winzige Tragsteinchen oder Bogenfrieschen gesetzt, sich so nennen können)
steigen schmächtige Lisenen in die Hohe, die kaum sich über die Wandfläche hin¬
auswagen, und schließen, wie schmale Säume, unendlich überstreckte Füllungen
ein, die ihrerseits in der Form schmaler, langer, regelmäßig durchlöcherter
Handtücher neben einander hängen. Fenstersohlbänke und Gurten müssen


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[0448] die ebensowenig den Bewohnern gestattet hinauszusehen, als dem Lichte hin¬ einzufallen. Doch dort an jenem Hause, wo die Flachbögen auf dünnen Halb- säulenstengeln fußen, scheinen sie etwas tragen zu sollen; nur nicht eine Last über sich, sondern eine Reihe von kleinen Böglein, welche ihnen unten ange¬ hängt sind. Vortrefflicher Einfall! weshalb nicht an jedes dieser Böglein noch ein Glöckchen hängen, um der Formensprache dieser neuen, nationalen Archi¬ tektur eine passende Begleitung zu geben? Und was ist mit all diesen steinernen Fälschungen erreicht? Vielleicht rhyth¬ mische Verhältnisse, welche einen Totaleindruck, der dem Wesen des Gegen¬ standes im Allgemeinen entspricht, und soweit eine wenigstens im Ganzen wahre Erscheinung hervorbringen? Oder etwa eine Scenerie, die wie ein phan¬ tasievolles Gedicht sich um den Bau legt und daher um das Gerüste und Ge- rümpel im Inneren, welches nur dem Bedürfnisse dient, sich nicht kümmert? So wenig das Eine, wie das Andere. Mit allen jenen Lügen weiß die neue Bauweise nichts zu erreichen, als unschöne Verhältnisse und eine phantasielose nüchterne Anordnung. Einige Thore erstrecken sich in die häßlichste Länge über zwei Stockwerke hinauf, um wo möglich mit ihrer Spitze die Brüstung des dritten zu erreichen. Wo mag hier wohl der Fußboden liegen? Die Antwort ist einfach. Nur der dritte Theil von der Hohe des Thores öffnet sich und durch diese lächerliche Oeffnung zeigt sich die Decke eines ganz niedrigen Eingangs, darüber aber an den Fenstern, welche in den auf die Mauern geblendeten hölzernen Thorflügeln angebracht sind, schwebt ein so halb im Eingang, halb im Innern harmlos lebendes Geschlecht. Und warum denn gleich drei solche Ungethüme von über- strcckten Thoren nebeneinander, da nur ein Drittheil von einem einzigen wirk¬ licher Eingang ist? Gastlich scheinen die Thore den Herbeikommenden einzuladen, und kaum findet er ein Schlupfloch, durch das er eintreten kann. Auch wird die Fa^abe durch einen solchen Pleonasmus nur verunstaltet. Ihr Ansehen könnte nur gewinnen, wenn sie blos einen einzigen entsprechend großen Eingang hätte; zumal diese Architektur nicht zu wissen scheint, daß einem großen Thore auch eine entsprechend starke Einrahmung zu geben ist und dieselbe nicht noch dürftiger sein darf, als die ohnehin schon zur möglichsten Dünnheit zu¬ sammengeschrumpften Einfassungen der Fenster. Nun die Gliederung und künstlerische Anordnung. Vom Boden bis zum Hauptgesimse hinauf (wenn einige handbreit ausladende Prosilchcn, hier und da auf winzige Tragsteinchen oder Bogenfrieschen gesetzt, sich so nennen können) steigen schmächtige Lisenen in die Hohe, die kaum sich über die Wandfläche hin¬ auswagen, und schließen, wie schmale Säume, unendlich überstreckte Füllungen ein, die ihrerseits in der Form schmaler, langer, regelmäßig durchlöcherter Handtücher neben einander hängen. Fenstersohlbänke und Gurten müssen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/448>, abgerufen am 19.10.2024.