Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sehe" zufolge wird von dem Arbeitsertrag zunächst so viel abgezogen und unter
die Arbeiter vertheilt, als zu ihrer Lebcnsfristung erforderlich ist (Arbeitslohn).
Der ganze Ueberschuß der Production -- des Arbeitsertrages -- fällt auf den
Unternchmerantheil. Daher folgt, nach diesem grausamen Gesetze, das; die
Classe der Arbeiter, der Enterbten, sogar von der durch die Fortschritte der
Civilisation gesteigerten Produktivität, d. h. von dem gesteigerten Arbeits¬
erträge, von der gesteigerten Ertragsfähigkeit ihrer eigenen Arbeit nothwendig
ausgeschlossen ist. Für den Arbeiter immer die Lebensnothdurft, für den
Unternchmerantheil immer Alles, was über dieselbe hinaus von der Arbeit
producirt wird. Gehen auch infolge der großartigen Entwickelung der Industrie
eine Menge Bedürfnisse im Preise so herab, daß sie dem Arbeiter zugänglich,
ja in den Kreis der nothwendigen Bedürfnisse ausgenommen werden, so trifft
das wieder den Arbeiter nur als Consumenten und nicht als Producenten und
verschwindet wieder durch das Walten des "ehernen Gesetzes", welches, sich nie
ändernd, den Arbeiter stets auf den äußersten Grenzen der Lebensnothdurft
herum gravitiren läßt. Wenn man einwerfe, daß sich das Leben des Arbeiters
von heute im Vergleich mit dem des Arbeiters von früher besser gestaltet habe, so
sei das ein unstatthafter Vergleich; das Leben des Arbeiters von heute müsse
vielmehr mit dem Leben der andern Classen der Gegenwart verglichen werden.

Nichts vermöge dieses grausame Gesetz zu beseitigen, als die "freie indi¬
viduelle Association der Arbeiter" in ihrer Anwendung und Ausdehnung auf
die fabrikmäßige Großprvduction, welche den Arbeiterstand zu seinem eigenen
Unternehmer machen werde. Damit falle die Scheidung zwischen Arbeitslohn
und Unternehmergewinn und somit der Arbeitslohn überhaupt weg, und an
seine Stelle trete der Arbeitsertrag.

Ausdrücklich wird hierbei erklärt, daß die Association den ganzen Arbeiter¬
stand und nicht einzelne Mitglieder desselben, die emporkommen wollen, um¬
fassen müsse, daß es sich also um Gründung von Fabriken handele, in denen
der gesammte Arbeiterstand beschäftigt sei.

Betrachten wir nun kurz das lassallesche "eherne Gesetz", so mag sich das¬
selbe in der Theorie in der That sehr unabänderlich und sehr grausam ausnehmen.
Im praktischen Leben aber zeigt es so viele Ausnahmen, daß von seiner Un¬
abänderlichkeit wie von seiner Grausamkeit ein gutes Theil wegfällt. Vor allen
Dingen bestimmt sich der Arbeitslohn, wie der Preis für alles Andere nach dem
Verhältniß der Nachfrage zum Angebote, und da dieses Verhältniß auf den verschie¬
denen Gebieten der Industrie ein unendlich verschiedenes ist, so ergibt sich daraus
eine große Abweichung der Arbeitslöhne unter einander. Es gibt z. B. Gewerbs-
zweige, bei denen ein Arbeiter in Schlesien die Woche zwei und einen halben
Thaler verdient, während dieselbe Arbeit in Berlin oder Leipzig mit vier bis
sechs Thalern wöchentlich bezahlt wird. Wollte man in diesem Falle behaupten,


sehe" zufolge wird von dem Arbeitsertrag zunächst so viel abgezogen und unter
die Arbeiter vertheilt, als zu ihrer Lebcnsfristung erforderlich ist (Arbeitslohn).
Der ganze Ueberschuß der Production — des Arbeitsertrages — fällt auf den
Unternchmerantheil. Daher folgt, nach diesem grausamen Gesetze, das; die
Classe der Arbeiter, der Enterbten, sogar von der durch die Fortschritte der
Civilisation gesteigerten Produktivität, d. h. von dem gesteigerten Arbeits¬
erträge, von der gesteigerten Ertragsfähigkeit ihrer eigenen Arbeit nothwendig
ausgeschlossen ist. Für den Arbeiter immer die Lebensnothdurft, für den
Unternchmerantheil immer Alles, was über dieselbe hinaus von der Arbeit
producirt wird. Gehen auch infolge der großartigen Entwickelung der Industrie
eine Menge Bedürfnisse im Preise so herab, daß sie dem Arbeiter zugänglich,
ja in den Kreis der nothwendigen Bedürfnisse ausgenommen werden, so trifft
das wieder den Arbeiter nur als Consumenten und nicht als Producenten und
verschwindet wieder durch das Walten des „ehernen Gesetzes", welches, sich nie
ändernd, den Arbeiter stets auf den äußersten Grenzen der Lebensnothdurft
herum gravitiren läßt. Wenn man einwerfe, daß sich das Leben des Arbeiters
von heute im Vergleich mit dem des Arbeiters von früher besser gestaltet habe, so
sei das ein unstatthafter Vergleich; das Leben des Arbeiters von heute müsse
vielmehr mit dem Leben der andern Classen der Gegenwart verglichen werden.

Nichts vermöge dieses grausame Gesetz zu beseitigen, als die „freie indi¬
viduelle Association der Arbeiter" in ihrer Anwendung und Ausdehnung auf
die fabrikmäßige Großprvduction, welche den Arbeiterstand zu seinem eigenen
Unternehmer machen werde. Damit falle die Scheidung zwischen Arbeitslohn
und Unternehmergewinn und somit der Arbeitslohn überhaupt weg, und an
seine Stelle trete der Arbeitsertrag.

Ausdrücklich wird hierbei erklärt, daß die Association den ganzen Arbeiter¬
stand und nicht einzelne Mitglieder desselben, die emporkommen wollen, um¬
fassen müsse, daß es sich also um Gründung von Fabriken handele, in denen
der gesammte Arbeiterstand beschäftigt sei.

Betrachten wir nun kurz das lassallesche „eherne Gesetz", so mag sich das¬
selbe in der Theorie in der That sehr unabänderlich und sehr grausam ausnehmen.
Im praktischen Leben aber zeigt es so viele Ausnahmen, daß von seiner Un¬
abänderlichkeit wie von seiner Grausamkeit ein gutes Theil wegfällt. Vor allen
Dingen bestimmt sich der Arbeitslohn, wie der Preis für alles Andere nach dem
Verhältniß der Nachfrage zum Angebote, und da dieses Verhältniß auf den verschie¬
denen Gebieten der Industrie ein unendlich verschiedenes ist, so ergibt sich daraus
eine große Abweichung der Arbeitslöhne unter einander. Es gibt z. B. Gewerbs-
zweige, bei denen ein Arbeiter in Schlesien die Woche zwei und einen halben
Thaler verdient, während dieselbe Arbeit in Berlin oder Leipzig mit vier bis
sechs Thalern wöchentlich bezahlt wird. Wollte man in diesem Falle behaupten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188366"/>
            <p xml:id="ID_1085" prev="#ID_1084"> sehe" zufolge wird von dem Arbeitsertrag zunächst so viel abgezogen und unter<lb/>
die Arbeiter vertheilt, als zu ihrer Lebcnsfristung erforderlich ist (Arbeitslohn).<lb/>
Der ganze Ueberschuß der Production &#x2014; des Arbeitsertrages &#x2014; fällt auf den<lb/>
Unternchmerantheil. Daher folgt, nach diesem grausamen Gesetze, das; die<lb/>
Classe der Arbeiter, der Enterbten, sogar von der durch die Fortschritte der<lb/>
Civilisation gesteigerten Produktivität, d. h. von dem gesteigerten Arbeits¬<lb/>
erträge, von der gesteigerten Ertragsfähigkeit ihrer eigenen Arbeit nothwendig<lb/>
ausgeschlossen ist. Für den Arbeiter immer die Lebensnothdurft, für den<lb/>
Unternchmerantheil immer Alles, was über dieselbe hinaus von der Arbeit<lb/>
producirt wird. Gehen auch infolge der großartigen Entwickelung der Industrie<lb/>
eine Menge Bedürfnisse im Preise so herab, daß sie dem Arbeiter zugänglich,<lb/>
ja in den Kreis der nothwendigen Bedürfnisse ausgenommen werden, so trifft<lb/>
das wieder den Arbeiter nur als Consumenten und nicht als Producenten und<lb/>
verschwindet wieder durch das Walten des &#x201E;ehernen Gesetzes", welches, sich nie<lb/>
ändernd, den Arbeiter stets auf den äußersten Grenzen der Lebensnothdurft<lb/>
herum gravitiren läßt. Wenn man einwerfe, daß sich das Leben des Arbeiters<lb/>
von heute im Vergleich mit dem des Arbeiters von früher besser gestaltet habe, so<lb/>
sei das ein unstatthafter Vergleich; das Leben des Arbeiters von heute müsse<lb/>
vielmehr mit dem Leben der andern Classen der Gegenwart verglichen werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1086"> Nichts vermöge dieses grausame Gesetz zu beseitigen, als die &#x201E;freie indi¬<lb/>
viduelle Association der Arbeiter" in ihrer Anwendung und Ausdehnung auf<lb/>
die fabrikmäßige Großprvduction, welche den Arbeiterstand zu seinem eigenen<lb/>
Unternehmer machen werde. Damit falle die Scheidung zwischen Arbeitslohn<lb/>
und Unternehmergewinn und somit der Arbeitslohn überhaupt weg, und an<lb/>
seine Stelle trete der Arbeitsertrag.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1087"> Ausdrücklich wird hierbei erklärt, daß die Association den ganzen Arbeiter¬<lb/>
stand und nicht einzelne Mitglieder desselben, die emporkommen wollen, um¬<lb/>
fassen müsse, daß es sich also um Gründung von Fabriken handele, in denen<lb/>
der gesammte Arbeiterstand beschäftigt sei.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Betrachten wir nun kurz das lassallesche &#x201E;eherne Gesetz", so mag sich das¬<lb/>
selbe in der Theorie in der That sehr unabänderlich und sehr grausam ausnehmen.<lb/>
Im praktischen Leben aber zeigt es so viele Ausnahmen, daß von seiner Un¬<lb/>
abänderlichkeit wie von seiner Grausamkeit ein gutes Theil wegfällt. Vor allen<lb/>
Dingen bestimmt sich der Arbeitslohn, wie der Preis für alles Andere nach dem<lb/>
Verhältniß der Nachfrage zum Angebote, und da dieses Verhältniß auf den verschie¬<lb/>
denen Gebieten der Industrie ein unendlich verschiedenes ist, so ergibt sich daraus<lb/>
eine große Abweichung der Arbeitslöhne unter einander. Es gibt z. B. Gewerbs-<lb/>
zweige, bei denen ein Arbeiter in Schlesien die Woche zwei und einen halben<lb/>
Thaler verdient, während dieselbe Arbeit in Berlin oder Leipzig mit vier bis<lb/>
sechs Thalern wöchentlich bezahlt wird. Wollte man in diesem Falle behaupten,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0339] sehe" zufolge wird von dem Arbeitsertrag zunächst so viel abgezogen und unter die Arbeiter vertheilt, als zu ihrer Lebcnsfristung erforderlich ist (Arbeitslohn). Der ganze Ueberschuß der Production — des Arbeitsertrages — fällt auf den Unternchmerantheil. Daher folgt, nach diesem grausamen Gesetze, das; die Classe der Arbeiter, der Enterbten, sogar von der durch die Fortschritte der Civilisation gesteigerten Produktivität, d. h. von dem gesteigerten Arbeits¬ erträge, von der gesteigerten Ertragsfähigkeit ihrer eigenen Arbeit nothwendig ausgeschlossen ist. Für den Arbeiter immer die Lebensnothdurft, für den Unternchmerantheil immer Alles, was über dieselbe hinaus von der Arbeit producirt wird. Gehen auch infolge der großartigen Entwickelung der Industrie eine Menge Bedürfnisse im Preise so herab, daß sie dem Arbeiter zugänglich, ja in den Kreis der nothwendigen Bedürfnisse ausgenommen werden, so trifft das wieder den Arbeiter nur als Consumenten und nicht als Producenten und verschwindet wieder durch das Walten des „ehernen Gesetzes", welches, sich nie ändernd, den Arbeiter stets auf den äußersten Grenzen der Lebensnothdurft herum gravitiren läßt. Wenn man einwerfe, daß sich das Leben des Arbeiters von heute im Vergleich mit dem des Arbeiters von früher besser gestaltet habe, so sei das ein unstatthafter Vergleich; das Leben des Arbeiters von heute müsse vielmehr mit dem Leben der andern Classen der Gegenwart verglichen werden. Nichts vermöge dieses grausame Gesetz zu beseitigen, als die „freie indi¬ viduelle Association der Arbeiter" in ihrer Anwendung und Ausdehnung auf die fabrikmäßige Großprvduction, welche den Arbeiterstand zu seinem eigenen Unternehmer machen werde. Damit falle die Scheidung zwischen Arbeitslohn und Unternehmergewinn und somit der Arbeitslohn überhaupt weg, und an seine Stelle trete der Arbeitsertrag. Ausdrücklich wird hierbei erklärt, daß die Association den ganzen Arbeiter¬ stand und nicht einzelne Mitglieder desselben, die emporkommen wollen, um¬ fassen müsse, daß es sich also um Gründung von Fabriken handele, in denen der gesammte Arbeiterstand beschäftigt sei. Betrachten wir nun kurz das lassallesche „eherne Gesetz", so mag sich das¬ selbe in der Theorie in der That sehr unabänderlich und sehr grausam ausnehmen. Im praktischen Leben aber zeigt es so viele Ausnahmen, daß von seiner Un¬ abänderlichkeit wie von seiner Grausamkeit ein gutes Theil wegfällt. Vor allen Dingen bestimmt sich der Arbeitslohn, wie der Preis für alles Andere nach dem Verhältniß der Nachfrage zum Angebote, und da dieses Verhältniß auf den verschie¬ denen Gebieten der Industrie ein unendlich verschiedenes ist, so ergibt sich daraus eine große Abweichung der Arbeitslöhne unter einander. Es gibt z. B. Gewerbs- zweige, bei denen ein Arbeiter in Schlesien die Woche zwei und einen halben Thaler verdient, während dieselbe Arbeit in Berlin oder Leipzig mit vier bis sechs Thalern wöchentlich bezahlt wird. Wollte man in diesem Falle behaupten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/339
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/339>, abgerufen am 20.10.2024.