Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lung bilden", und verabschiedete sie mit Dank für den treuen Beistand, welchen
sie Jahrhunderte hindurch den Landesherren geleistet und für das letzte große
Opfer, welches sie durch die Verzichtleistung auf ihre ständischen Rechte dem
Vaterlande dargebracht hätten.

So war auf völlig geordnetem und gesetzlichem Wege die Brücke geschla¬
gen, welche zum konstitutionellen Staat führte. Die zur Vereinbarung einer
Repräsentativverfassung gewählten Vertreter versammelten sich im October des
Jahres 1848 und beendigten ihr Werk im August des folgenden Jahres.

In der Zeit bis zum Zusammentritt der constituirenden Abgeordnetenkammer
schieden sich innerhalb der auf die Gestaltung Mecklenburgs zu einem constitutio-
nellen Staate gerichteten Bestrebungen zwei Parteien, eine mildere und eine
entschiedenere. Die letztere war in den "Nefvrinvercinen" repräsentirt, und unter
ihren Führern nahm Advocat Moritz Wiggers zu Rostock die erste Stelle
ein; die weniger Entschiedener organisirten sich im September zu "constitutio-
nellen Vereinen". An diese constitutionellen Vereine schlössen sich auch manche
Leute an, welche im Herzen dem constuutioncllcn Staat t'eiueswegs hold
waren, vorläufig aber doch noch Bedenken trugen, dies offen einzugestehen.
Der Justizrath Kapsel, später Director des Oberkirchenraths, und der Justiz¬
rath v. Liebehcrr, späterDircctvr des Konsistoriums, waren Vorstandsmit¬
glieder des schweriner konstitutionellen Vereins, zum Vorstände des tcssincr
Vereins gehörte Josias v. Plüskow auf Kvwalz. ' Selbst Krabbe stand damals
in den Reihen der constitutionellen Politiker. Die constitutionellen Vereine
spielten freilich in verschiedenen Schattirnngen, und ihr Programm war mehr
durch den Gegensatz gegen die demokratischen Vereine, als durch ein klares,
positives Ziel bedingt. Aber daß sie den Feudalismus bekämpfen und für den
Constitutionalismus wirken wollten, sagte doch schon ihr Name. Die Statuten
des schweriner Vereins erklärten sich überdies ausdrücklich für eine zeitgemäße,
durchgreifende und volksthümliche Reform der staatlichen und socialen Zustände
und für die Einführung der verheißenen constitutionellen Verfassung. Der
rostocker Verein, dem mehre dortige Professoren angehörten, und in welchem
der Professor Thöl (jetzt in Göttingen) den Vorsitz führte. ging sogar bis z"
der Aufstellung des Satzes, daß die Revolution sittlich gerechtfertigt sei, wenn
der Fürst dem wahren Volkswillen entgegentrete; und der Vorsitzende sprach
die Ueberzeugung aus. daß dieser constitutionelle Verein wesentlich mit dem
Zwecke der Reformvereine übereinstimme und nur in den Mitteln differirc.
indem, wie er meinte, die Reformvcrcine auf die Physische Gewalt sich stützten
und den Willen der Volksversammlungen mit dem Willen des Volks verwechselten.
Durch dergleichen Vorwürfe suchten die constitutionellen Vereine ihr gesondertes
Dasein zu rechtfertigen. Eine Anzahl von Männern, die sich selbst die "Wohl¬
gesinnten" nannten und auf einer Versammlung zu Sternberg den Grund zu


lung bilden", und verabschiedete sie mit Dank für den treuen Beistand, welchen
sie Jahrhunderte hindurch den Landesherren geleistet und für das letzte große
Opfer, welches sie durch die Verzichtleistung auf ihre ständischen Rechte dem
Vaterlande dargebracht hätten.

So war auf völlig geordnetem und gesetzlichem Wege die Brücke geschla¬
gen, welche zum konstitutionellen Staat führte. Die zur Vereinbarung einer
Repräsentativverfassung gewählten Vertreter versammelten sich im October des
Jahres 1848 und beendigten ihr Werk im August des folgenden Jahres.

In der Zeit bis zum Zusammentritt der constituirenden Abgeordnetenkammer
schieden sich innerhalb der auf die Gestaltung Mecklenburgs zu einem constitutio-
nellen Staate gerichteten Bestrebungen zwei Parteien, eine mildere und eine
entschiedenere. Die letztere war in den „Nefvrinvercinen" repräsentirt, und unter
ihren Führern nahm Advocat Moritz Wiggers zu Rostock die erste Stelle
ein; die weniger Entschiedener organisirten sich im September zu „constitutio-
nellen Vereinen". An diese constitutionellen Vereine schlössen sich auch manche
Leute an, welche im Herzen dem constuutioncllcn Staat t'eiueswegs hold
waren, vorläufig aber doch noch Bedenken trugen, dies offen einzugestehen.
Der Justizrath Kapsel, später Director des Oberkirchenraths, und der Justiz¬
rath v. Liebehcrr, späterDircctvr des Konsistoriums, waren Vorstandsmit¬
glieder des schweriner konstitutionellen Vereins, zum Vorstände des tcssincr
Vereins gehörte Josias v. Plüskow auf Kvwalz. ' Selbst Krabbe stand damals
in den Reihen der constitutionellen Politiker. Die constitutionellen Vereine
spielten freilich in verschiedenen Schattirnngen, und ihr Programm war mehr
durch den Gegensatz gegen die demokratischen Vereine, als durch ein klares,
positives Ziel bedingt. Aber daß sie den Feudalismus bekämpfen und für den
Constitutionalismus wirken wollten, sagte doch schon ihr Name. Die Statuten
des schweriner Vereins erklärten sich überdies ausdrücklich für eine zeitgemäße,
durchgreifende und volksthümliche Reform der staatlichen und socialen Zustände
und für die Einführung der verheißenen constitutionellen Verfassung. Der
rostocker Verein, dem mehre dortige Professoren angehörten, und in welchem
der Professor Thöl (jetzt in Göttingen) den Vorsitz führte. ging sogar bis z"
der Aufstellung des Satzes, daß die Revolution sittlich gerechtfertigt sei, wenn
der Fürst dem wahren Volkswillen entgegentrete; und der Vorsitzende sprach
die Ueberzeugung aus. daß dieser constitutionelle Verein wesentlich mit dem
Zwecke der Reformvereine übereinstimme und nur in den Mitteln differirc.
indem, wie er meinte, die Reformvcrcine auf die Physische Gewalt sich stützten
und den Willen der Volksversammlungen mit dem Willen des Volks verwechselten.
Durch dergleichen Vorwürfe suchten die constitutionellen Vereine ihr gesondertes
Dasein zu rechtfertigen. Eine Anzahl von Männern, die sich selbst die „Wohl¬
gesinnten" nannten und auf einer Versammlung zu Sternberg den Grund zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188243"/>
          <p xml:id="ID_693" prev="#ID_692"> lung bilden", und verabschiedete sie mit Dank für den treuen Beistand, welchen<lb/>
sie Jahrhunderte hindurch den Landesherren geleistet und für das letzte große<lb/>
Opfer, welches sie durch die Verzichtleistung auf ihre ständischen Rechte dem<lb/>
Vaterlande dargebracht hätten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_694"> So war auf völlig geordnetem und gesetzlichem Wege die Brücke geschla¬<lb/>
gen, welche zum konstitutionellen Staat führte. Die zur Vereinbarung einer<lb/>
Repräsentativverfassung gewählten Vertreter versammelten sich im October des<lb/>
Jahres 1848 und beendigten ihr Werk im August des folgenden Jahres.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_695" next="#ID_696"> In der Zeit bis zum Zusammentritt der constituirenden Abgeordnetenkammer<lb/>
schieden sich innerhalb der auf die Gestaltung Mecklenburgs zu einem constitutio-<lb/>
nellen Staate gerichteten Bestrebungen zwei Parteien, eine mildere und eine<lb/>
entschiedenere. Die letztere war in den &#x201E;Nefvrinvercinen" repräsentirt, und unter<lb/>
ihren Führern nahm Advocat Moritz Wiggers zu Rostock die erste Stelle<lb/>
ein; die weniger Entschiedener organisirten sich im September zu &#x201E;constitutio-<lb/>
nellen Vereinen".  An diese constitutionellen Vereine schlössen sich auch manche<lb/>
Leute an, welche im Herzen dem constuutioncllcn Staat t'eiueswegs hold<lb/>
waren, vorläufig aber doch noch Bedenken trugen, dies offen einzugestehen.<lb/>
Der Justizrath Kapsel, später Director des Oberkirchenraths, und der Justiz¬<lb/>
rath v. Liebehcrr,  späterDircctvr des Konsistoriums, waren Vorstandsmit¬<lb/>
glieder des schweriner konstitutionellen Vereins, zum Vorstände des tcssincr<lb/>
Vereins gehörte Josias v. Plüskow auf Kvwalz. ' Selbst Krabbe stand damals<lb/>
in den Reihen der constitutionellen Politiker.  Die constitutionellen Vereine<lb/>
spielten freilich in verschiedenen Schattirnngen, und ihr Programm war mehr<lb/>
durch den Gegensatz gegen die demokratischen Vereine, als durch ein klares,<lb/>
positives Ziel bedingt.  Aber daß sie den Feudalismus bekämpfen und für den<lb/>
Constitutionalismus wirken wollten, sagte doch schon ihr Name. Die Statuten<lb/>
des schweriner Vereins erklärten sich überdies ausdrücklich für eine zeitgemäße,<lb/>
durchgreifende und volksthümliche Reform der staatlichen und socialen Zustände<lb/>
und für die Einführung der verheißenen constitutionellen Verfassung. Der<lb/>
rostocker Verein, dem mehre dortige Professoren angehörten, und in welchem<lb/>
der Professor Thöl (jetzt in Göttingen) den Vorsitz führte. ging sogar bis z"<lb/>
der Aufstellung des Satzes, daß die Revolution sittlich gerechtfertigt sei, wenn<lb/>
der Fürst dem wahren Volkswillen entgegentrete; und der Vorsitzende sprach<lb/>
die Ueberzeugung aus. daß dieser constitutionelle Verein wesentlich mit dem<lb/>
Zwecke der Reformvereine übereinstimme und nur in den Mitteln differirc.<lb/>
indem, wie er meinte, die Reformvcrcine auf die Physische Gewalt sich stützten<lb/>
und den Willen der Volksversammlungen mit dem Willen des Volks verwechselten.<lb/>
Durch dergleichen Vorwürfe suchten die constitutionellen Vereine ihr gesondertes<lb/>
Dasein zu rechtfertigen.  Eine Anzahl von Männern, die sich selbst die &#x201E;Wohl¬<lb/>
gesinnten" nannten und auf einer Versammlung zu Sternberg den Grund zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0216] lung bilden", und verabschiedete sie mit Dank für den treuen Beistand, welchen sie Jahrhunderte hindurch den Landesherren geleistet und für das letzte große Opfer, welches sie durch die Verzichtleistung auf ihre ständischen Rechte dem Vaterlande dargebracht hätten. So war auf völlig geordnetem und gesetzlichem Wege die Brücke geschla¬ gen, welche zum konstitutionellen Staat führte. Die zur Vereinbarung einer Repräsentativverfassung gewählten Vertreter versammelten sich im October des Jahres 1848 und beendigten ihr Werk im August des folgenden Jahres. In der Zeit bis zum Zusammentritt der constituirenden Abgeordnetenkammer schieden sich innerhalb der auf die Gestaltung Mecklenburgs zu einem constitutio- nellen Staate gerichteten Bestrebungen zwei Parteien, eine mildere und eine entschiedenere. Die letztere war in den „Nefvrinvercinen" repräsentirt, und unter ihren Führern nahm Advocat Moritz Wiggers zu Rostock die erste Stelle ein; die weniger Entschiedener organisirten sich im September zu „constitutio- nellen Vereinen". An diese constitutionellen Vereine schlössen sich auch manche Leute an, welche im Herzen dem constuutioncllcn Staat t'eiueswegs hold waren, vorläufig aber doch noch Bedenken trugen, dies offen einzugestehen. Der Justizrath Kapsel, später Director des Oberkirchenraths, und der Justiz¬ rath v. Liebehcrr, späterDircctvr des Konsistoriums, waren Vorstandsmit¬ glieder des schweriner konstitutionellen Vereins, zum Vorstände des tcssincr Vereins gehörte Josias v. Plüskow auf Kvwalz. ' Selbst Krabbe stand damals in den Reihen der constitutionellen Politiker. Die constitutionellen Vereine spielten freilich in verschiedenen Schattirnngen, und ihr Programm war mehr durch den Gegensatz gegen die demokratischen Vereine, als durch ein klares, positives Ziel bedingt. Aber daß sie den Feudalismus bekämpfen und für den Constitutionalismus wirken wollten, sagte doch schon ihr Name. Die Statuten des schweriner Vereins erklärten sich überdies ausdrücklich für eine zeitgemäße, durchgreifende und volksthümliche Reform der staatlichen und socialen Zustände und für die Einführung der verheißenen constitutionellen Verfassung. Der rostocker Verein, dem mehre dortige Professoren angehörten, und in welchem der Professor Thöl (jetzt in Göttingen) den Vorsitz führte. ging sogar bis z" der Aufstellung des Satzes, daß die Revolution sittlich gerechtfertigt sei, wenn der Fürst dem wahren Volkswillen entgegentrete; und der Vorsitzende sprach die Ueberzeugung aus. daß dieser constitutionelle Verein wesentlich mit dem Zwecke der Reformvereine übereinstimme und nur in den Mitteln differirc. indem, wie er meinte, die Reformvcrcine auf die Physische Gewalt sich stützten und den Willen der Volksversammlungen mit dem Willen des Volks verwechselten. Durch dergleichen Vorwürfe suchten die constitutionellen Vereine ihr gesondertes Dasein zu rechtfertigen. Eine Anzahl von Männern, die sich selbst die „Wohl¬ gesinnten" nannten und auf einer Versammlung zu Sternberg den Grund zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/216
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/216>, abgerufen am 20.10.2024.