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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Zeit der Congreßsitzungen hier .sich zusammenfand und geltend machte. Die
Mitglieder von Senat, Abgeordnetenhaus und Regierung, die früher aus dem
Süden hierher kamen, waren in gewisser Beschränkung Leute von vornehmen
Manieren, und sie gaben ohne Zweifel mehr Geld für Vergnügungen aus, als ihre
Kollegen'aus dem Norden. Die Nachkommen der altenglischen Kavaliere sind
heiterer, prunkliebcnder, genußsüchtiger, minder trocken und um vieles auf¬
geknöpfter und gastlicher als die Nachkommen der altenglischen Rundköpfe, und
die Folge, daß diese jetzt hier beinahe allein schalten, ist eine sehr merkliche
Umwandelung des Charakters der Stadt aus heiterer Lebhaftigkeit in melan¬
cholische Geschäftsmäßigkeit, neben der wilde Lustigkeit und Galgenhumor sich
breit machen.

So lange der Süden ein Interesse am Kapitol lenkte, bewirkten seine dun¬
keln Schönheiten und seine feurigen Gentlemen, daß die Scsfivnszeitcn auf die
prächtigste Weise verflossen. Senatoren und Volksvertreter suchten sich durch
den Glanz ihrer Abendgesellschaften zu überbieten. Die Empfangstage des
Präsidenten würden einem fürstlichen Hofe, wenigstens was die Eleganz der
Toiletten betrifft, Ehre gemacht haben, modische Equipagen belebten in langem
Corso des Nachmittags die Hauptstraßen, und Hunderte königlicher Frauen¬
gestalten wandelten in den Anlagen vor dem Capitol, wenn die Musikchöre der
Marine ihre Concerte gaben.

In der Zwischenzeit zwischen den Sessionen versank die Stadt in Schlum-
mer. Ihre Riesenhotels waren verlassen, wenn es nicht einmal eine Hochzeit
darin gab. Die kleine Armee von Regierungsbeamten ging großenteils aus
Urlaub, und die Negerkutscher saßen ernst und schweigsam, nur selten durch
mien Fahrgast zu dem gewöhnlichen dienstfertigen Grinsen veranlaßt, auf den
Böcken ihrer überzähligen Droschken. Der Aufseher an der Longbridge verließ
seinen Posten ungestraft. Die Ställe des Weißen Hauses waren verschlossen,
und die hübschen flinken Jungen, welche die Herren Senatoren und Abgeord¬
neten im Capitol so geschäftig bedient hatten, wenn sie während der Sitzung
ein Glas Wasser oder einen Brief besorgt haben wollten, schlenderten hinaus
nach dem Flusse, um sich mit Fischen die Zeit zu vertreiben. Die Stadt war
in der Saison ein Modell amerikanischer Vornehmheit, außer der Saison der
langweiligste und einfachste Ort der Welt. Keine einzige Kanone vertheidigte
die Stadt gegen einen Angriff von der Landseite, und die Herren Gesetzgeber
brummten, wenn man ihnen Ausbesserungskostcn abverlangte für Fort Washing¬
ton, einen kleinen alten Kasten, zwanzig Meilen stromabwärts. Epochemachendes
kam in jener guten alten Zeit zu Washington niemals vor, auch in der Saison
nicht. Man müßte denn dahin rechnen, daß gelegentlich ein Senator Knüttel
einen Repräsentanten spitzig "durchwammsie", oder daß Herr Langfinger vom
Schatzamt. Sohn des Ex-Vicepräsidenten, beim "Abstrahiren" entdeckt wurde,


Zeit der Congreßsitzungen hier .sich zusammenfand und geltend machte. Die
Mitglieder von Senat, Abgeordnetenhaus und Regierung, die früher aus dem
Süden hierher kamen, waren in gewisser Beschränkung Leute von vornehmen
Manieren, und sie gaben ohne Zweifel mehr Geld für Vergnügungen aus, als ihre
Kollegen'aus dem Norden. Die Nachkommen der altenglischen Kavaliere sind
heiterer, prunkliebcnder, genußsüchtiger, minder trocken und um vieles auf¬
geknöpfter und gastlicher als die Nachkommen der altenglischen Rundköpfe, und
die Folge, daß diese jetzt hier beinahe allein schalten, ist eine sehr merkliche
Umwandelung des Charakters der Stadt aus heiterer Lebhaftigkeit in melan¬
cholische Geschäftsmäßigkeit, neben der wilde Lustigkeit und Galgenhumor sich
breit machen.

So lange der Süden ein Interesse am Kapitol lenkte, bewirkten seine dun¬
keln Schönheiten und seine feurigen Gentlemen, daß die Scsfivnszeitcn auf die
prächtigste Weise verflossen. Senatoren und Volksvertreter suchten sich durch
den Glanz ihrer Abendgesellschaften zu überbieten. Die Empfangstage des
Präsidenten würden einem fürstlichen Hofe, wenigstens was die Eleganz der
Toiletten betrifft, Ehre gemacht haben, modische Equipagen belebten in langem
Corso des Nachmittags die Hauptstraßen, und Hunderte königlicher Frauen¬
gestalten wandelten in den Anlagen vor dem Capitol, wenn die Musikchöre der
Marine ihre Concerte gaben.

In der Zwischenzeit zwischen den Sessionen versank die Stadt in Schlum-
mer. Ihre Riesenhotels waren verlassen, wenn es nicht einmal eine Hochzeit
darin gab. Die kleine Armee von Regierungsbeamten ging großenteils aus
Urlaub, und die Negerkutscher saßen ernst und schweigsam, nur selten durch
mien Fahrgast zu dem gewöhnlichen dienstfertigen Grinsen veranlaßt, auf den
Böcken ihrer überzähligen Droschken. Der Aufseher an der Longbridge verließ
seinen Posten ungestraft. Die Ställe des Weißen Hauses waren verschlossen,
und die hübschen flinken Jungen, welche die Herren Senatoren und Abgeord¬
neten im Capitol so geschäftig bedient hatten, wenn sie während der Sitzung
ein Glas Wasser oder einen Brief besorgt haben wollten, schlenderten hinaus
nach dem Flusse, um sich mit Fischen die Zeit zu vertreiben. Die Stadt war
in der Saison ein Modell amerikanischer Vornehmheit, außer der Saison der
langweiligste und einfachste Ort der Welt. Keine einzige Kanone vertheidigte
die Stadt gegen einen Angriff von der Landseite, und die Herren Gesetzgeber
brummten, wenn man ihnen Ausbesserungskostcn abverlangte für Fort Washing¬
ton, einen kleinen alten Kasten, zwanzig Meilen stromabwärts. Epochemachendes
kam in jener guten alten Zeit zu Washington niemals vor, auch in der Saison
nicht. Man müßte denn dahin rechnen, daß gelegentlich ein Senator Knüttel
einen Repräsentanten spitzig „durchwammsie", oder daß Herr Langfinger vom
Schatzamt. Sohn des Ex-Vicepräsidenten, beim „Abstrahiren" entdeckt wurde,


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[0470] Zeit der Congreßsitzungen hier .sich zusammenfand und geltend machte. Die Mitglieder von Senat, Abgeordnetenhaus und Regierung, die früher aus dem Süden hierher kamen, waren in gewisser Beschränkung Leute von vornehmen Manieren, und sie gaben ohne Zweifel mehr Geld für Vergnügungen aus, als ihre Kollegen'aus dem Norden. Die Nachkommen der altenglischen Kavaliere sind heiterer, prunkliebcnder, genußsüchtiger, minder trocken und um vieles auf¬ geknöpfter und gastlicher als die Nachkommen der altenglischen Rundköpfe, und die Folge, daß diese jetzt hier beinahe allein schalten, ist eine sehr merkliche Umwandelung des Charakters der Stadt aus heiterer Lebhaftigkeit in melan¬ cholische Geschäftsmäßigkeit, neben der wilde Lustigkeit und Galgenhumor sich breit machen. So lange der Süden ein Interesse am Kapitol lenkte, bewirkten seine dun¬ keln Schönheiten und seine feurigen Gentlemen, daß die Scsfivnszeitcn auf die prächtigste Weise verflossen. Senatoren und Volksvertreter suchten sich durch den Glanz ihrer Abendgesellschaften zu überbieten. Die Empfangstage des Präsidenten würden einem fürstlichen Hofe, wenigstens was die Eleganz der Toiletten betrifft, Ehre gemacht haben, modische Equipagen belebten in langem Corso des Nachmittags die Hauptstraßen, und Hunderte königlicher Frauen¬ gestalten wandelten in den Anlagen vor dem Capitol, wenn die Musikchöre der Marine ihre Concerte gaben. In der Zwischenzeit zwischen den Sessionen versank die Stadt in Schlum- mer. Ihre Riesenhotels waren verlassen, wenn es nicht einmal eine Hochzeit darin gab. Die kleine Armee von Regierungsbeamten ging großenteils aus Urlaub, und die Negerkutscher saßen ernst und schweigsam, nur selten durch mien Fahrgast zu dem gewöhnlichen dienstfertigen Grinsen veranlaßt, auf den Böcken ihrer überzähligen Droschken. Der Aufseher an der Longbridge verließ seinen Posten ungestraft. Die Ställe des Weißen Hauses waren verschlossen, und die hübschen flinken Jungen, welche die Herren Senatoren und Abgeord¬ neten im Capitol so geschäftig bedient hatten, wenn sie während der Sitzung ein Glas Wasser oder einen Brief besorgt haben wollten, schlenderten hinaus nach dem Flusse, um sich mit Fischen die Zeit zu vertreiben. Die Stadt war in der Saison ein Modell amerikanischer Vornehmheit, außer der Saison der langweiligste und einfachste Ort der Welt. Keine einzige Kanone vertheidigte die Stadt gegen einen Angriff von der Landseite, und die Herren Gesetzgeber brummten, wenn man ihnen Ausbesserungskostcn abverlangte für Fort Washing¬ ton, einen kleinen alten Kasten, zwanzig Meilen stromabwärts. Epochemachendes kam in jener guten alten Zeit zu Washington niemals vor, auch in der Saison nicht. Man müßte denn dahin rechnen, daß gelegentlich ein Senator Knüttel einen Repräsentanten spitzig „durchwammsie", oder daß Herr Langfinger vom Schatzamt. Sohn des Ex-Vicepräsidenten, beim „Abstrahiren" entdeckt wurde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/470>, abgerufen am 27.07.2024.