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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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verruchte Geldstück ist vernichtet, der beschädigte Zettel ist nur der Ausdruck der
Creditsumme, auf die er lautet, und deshalb der Ersetzung sähig. Bei dem
Zettel ist die Transportabilität noch größer und die Werthfeststellung noch weit
einfacher als selbst bei dem vollkommensten Metallgeld. Vor allen Dingen aber
hört die Waareneigenschaft, die bei dem Metallgeld nur zurücktritt, hier voll¬
ständig auf und findet der Begriff des Werthes in dem Zettel einen reineren
und zugleich weit minder kostspieligen Ausdruck als in dem Geldstück. Auf
dem Glauben, daß diesem Gegenstand allgemeine Gültigkeit zukomme, beruht
.^nicht das Geldstück wie der Zettel; und wenn heutzutage, wo der dreitausend-
jährigen Entwickelung des Metallgeldes gegenüber das auf den Credit der
Skalen fundirte Papiergeld noch in seinen ersten Anfängen steht, wenn heut¬
zutage der Glaube, daß ein Goldstück an jedem Ort ausgegeben werden kann,
noch allgemeiner verbreitet ist als der Glaube, daß man an jedem Ort eine
englische oder preußische Banknote nimmt, so sind wir eben hierin noch im Lernen
begriffen und theils noch nicht ganz befreit von dem blinden Haschen des Wil¬
den nach dem glänzenden Spielwerk, theils des Glaubens an eine gesicherte
und geordnete politische Zukunft, namentlich auf dem Kontinent, noch allzu
wenig gewöhnt. Es gibt nichts Höheres, nichts unerschütterlicher Festes als
den Credit eines Gemeinwesens, das seine eigene Kasse führt und seine Aus¬
gaben sich von Niemandem und durch Niemanden dictiren läßt, als durch sich
selbst nach den Erwägungen des Gemeinwohls. Wenn die Zettel der großen
Gemeinwesen Europas erst auf diesem Gründe ruhen, wenn das Erschüttern
dieser Grundfeste des Staats erst ebenso nicht blos als Verbrechen, sondern
auch als Lächerlichkeit gelten wird, wie heutzutage die Brandschatzungen der
wegelagernden Junker des Mittelalters, dann stehen unsre Zettel fester als
heute unsre Metallmünze steht, deren gefährliche Schäden und deren bedenk¬
liche Abhängigkeit von der Waarenstellung des Goldes und Silbers dem Kauf¬
mann wie dem Staatsmann wohl bekannt sind.

Dem Alterthum ist der große und fruchtbare Gedanke eines Gesammtcredits des
Gemeinwesens, gegenüber den einzelnen Bürgern wie dem gesammten Ausland,
'u der Hauptsache fremd geblieben; nur die Anfänge dazu finden sich nament¬
lich in der Scheidemünze, am meisten entwickelt in der späteren römischen Kaiser¬
zeit, freilich in der Hauptsache mehr durch gewissenlosen Mißbrauch des Münz-
vegals als durch bewußten Fortschritt zu einem principiell verschiedenen Geld¬
system. Wie das Alterthum zu der Bildung sich selbst regierender Großstaaten
und zu der eines wahrhaften international geordneten Staatensystems nicht ge¬
langt ist, so ist es auch im Geldwesen durchaus über das Metall nicht hinaus¬
gekommen. Zu fester und selbständiger Entwickelung ist das Metall als all¬
gemeiner und ausschließlicher Werthmesser im Alterthum an zwei verschiedenen
Punkten gelangt, deren Gegensatz bedeutsam ist. Es gibt zwei gleich uralte und


Grenjlwtm I. 1863. 49

verruchte Geldstück ist vernichtet, der beschädigte Zettel ist nur der Ausdruck der
Creditsumme, auf die er lautet, und deshalb der Ersetzung sähig. Bei dem
Zettel ist die Transportabilität noch größer und die Werthfeststellung noch weit
einfacher als selbst bei dem vollkommensten Metallgeld. Vor allen Dingen aber
hört die Waareneigenschaft, die bei dem Metallgeld nur zurücktritt, hier voll¬
ständig auf und findet der Begriff des Werthes in dem Zettel einen reineren
und zugleich weit minder kostspieligen Ausdruck als in dem Geldstück. Auf
dem Glauben, daß diesem Gegenstand allgemeine Gültigkeit zukomme, beruht
.^nicht das Geldstück wie der Zettel; und wenn heutzutage, wo der dreitausend-
jährigen Entwickelung des Metallgeldes gegenüber das auf den Credit der
Skalen fundirte Papiergeld noch in seinen ersten Anfängen steht, wenn heut¬
zutage der Glaube, daß ein Goldstück an jedem Ort ausgegeben werden kann,
noch allgemeiner verbreitet ist als der Glaube, daß man an jedem Ort eine
englische oder preußische Banknote nimmt, so sind wir eben hierin noch im Lernen
begriffen und theils noch nicht ganz befreit von dem blinden Haschen des Wil¬
den nach dem glänzenden Spielwerk, theils des Glaubens an eine gesicherte
und geordnete politische Zukunft, namentlich auf dem Kontinent, noch allzu
wenig gewöhnt. Es gibt nichts Höheres, nichts unerschütterlicher Festes als
den Credit eines Gemeinwesens, das seine eigene Kasse führt und seine Aus¬
gaben sich von Niemandem und durch Niemanden dictiren läßt, als durch sich
selbst nach den Erwägungen des Gemeinwohls. Wenn die Zettel der großen
Gemeinwesen Europas erst auf diesem Gründe ruhen, wenn das Erschüttern
dieser Grundfeste des Staats erst ebenso nicht blos als Verbrechen, sondern
auch als Lächerlichkeit gelten wird, wie heutzutage die Brandschatzungen der
wegelagernden Junker des Mittelalters, dann stehen unsre Zettel fester als
heute unsre Metallmünze steht, deren gefährliche Schäden und deren bedenk¬
liche Abhängigkeit von der Waarenstellung des Goldes und Silbers dem Kauf¬
mann wie dem Staatsmann wohl bekannt sind.

Dem Alterthum ist der große und fruchtbare Gedanke eines Gesammtcredits des
Gemeinwesens, gegenüber den einzelnen Bürgern wie dem gesammten Ausland,
'u der Hauptsache fremd geblieben; nur die Anfänge dazu finden sich nament¬
lich in der Scheidemünze, am meisten entwickelt in der späteren römischen Kaiser¬
zeit, freilich in der Hauptsache mehr durch gewissenlosen Mißbrauch des Münz-
vegals als durch bewußten Fortschritt zu einem principiell verschiedenen Geld¬
system. Wie das Alterthum zu der Bildung sich selbst regierender Großstaaten
und zu der eines wahrhaften international geordneten Staatensystems nicht ge¬
langt ist, so ist es auch im Geldwesen durchaus über das Metall nicht hinaus¬
gekommen. Zu fester und selbständiger Entwickelung ist das Metall als all¬
gemeiner und ausschließlicher Werthmesser im Alterthum an zwei verschiedenen
Punkten gelangt, deren Gegensatz bedeutsam ist. Es gibt zwei gleich uralte und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/393>, abgerufen am 23.11.2024.