Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.zum schwarzen Meer begonnen, der Krimkrieg, der italienische Krieg, die Die polnische Aristokratie sah plötzlich in erreichbarer Nähe, was unter zum schwarzen Meer begonnen, der Krimkrieg, der italienische Krieg, die Die polnische Aristokratie sah plötzlich in erreichbarer Nähe, was unter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187850"/> <p xml:id="ID_1300" prev="#ID_1299"> zum schwarzen Meer begonnen, der Krimkrieg, der italienische Krieg, die<lb/> Bewegungen in den Donauländern füllten die Phantasie der Jugend und er«<lb/> öffneten eine Menge von Perspectiven, gerade so glänzend und unsicher, wie sie<lb/> ungeduldigen Politikern am meisten zu behagen scheinen. Beide polnische Par¬<lb/> teien machten in dieser Zeit Fortschritte, beide schieden sich in Zweck und<lb/> Mitteln weiter von einander als je. in beiden wuchs Argwohn und Haß, wo¬<lb/> mit die Gegner betrachtet wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1301" next="#ID_1302"> Die polnische Aristokratie sah plötzlich in erreichbarer Nähe, was unter<lb/> Kaiser Nikolaus Phantasiebild Einzelner gewesen war: ein selbständiges Polen<lb/> mit eigener Verwaltung und nationalem Heer, nur durch Personalunion mit<lb/> Rußland verbunden. Vielleicht war es sogar möglich, die oberste Leitung des<lb/> Reiches in Warschau zu fixiren, und aus dem Vicctonigthum eines kaiserlichen<lb/> Prinzen eine Secundogenitur zu bilden. Man wußte aus der Regierungszeit<lb/> des verstorbenen Großfürsten Konstantin, daß es keine unüberwindlichen Schwie¬<lb/> rigkeiten gehabt hatte, einen widerwärtigen Czarowitsch in einen warmen Polen<lb/> zu verwandeln, und man durfte hoffen, daß einem solchen Polenreiche die Ge¬<lb/> legenheit nicht fehlen werde, sich von dem in seinen Grundfesten erschütterten<lb/> Nußland so weit abzulösen, als vorteilhaft wäre. Wie klug und erfolg¬<lb/> reich die Partei bis zum Beginn dieses Jahres operirt hat, ist bekannt. Die<lb/> Schwierigkeit, das aufsässige Polen von Petersburg aus zu regieren, erwies sich<lb/> im letzten Herbst den Russen fast unüberwindlich. Es war damals zu Peters¬<lb/> burg auch in der Näbe des Kaisers eine verbreitete Ansicht, daß man Polen<lb/> auf die Länge nicht festhalten werde. Einer der russischen Generäle nach dem<lb/> andern halte sich als unbrauchbar erwiesen. Der Großfürst, dessen die Polen be¬<lb/> durften, war ihnen als Statthalter gesandt. Ein entschlossener Vertreter der<lb/> conscrvaNven Partei, Marquis Wielopolskj, war Rathgeber des Großfürsten<lb/> und Leiter der innern Verwaltung geworden, geräuschlos und systematisch ar¬<lb/> beitete er an der Emancipation des polnischen Elementes. Die Russen wurden<lb/> so viel als möglich aus den Beamtenstellen entfernt, — wozu die Unfähigkeit<lb/> der Mehrzahl genügenden Vorwand gab —, der Großfürst wurde für seine hohe<lb/> Aufgabe — noch ist unbekannt wie weit — gewonnen. Zuletzt wurde sogar<lb/> in der innern Verwaltung die polnische Sprache wieder eingeführt. Die Russen<lb/> waren thatsächlich bereits aus dem Lande gedrückt, selbst ein Theil des Heeres<lb/> bestand, wie verlautet, aus Polen unter Polnischgesinnten. Nie war Polen,<lb/> etwa eine kurze Zeit vor der Thronbesteigung des Kaiser Nikolaus aus¬<lb/> genommen, einer friedlichen Emancipation so nahe als in diesem Winter.<lb/> Und mit Stolz durften sich die Führer der aristokratischen Partei sagen, daß<lb/> sie durch eine Politik, wie sie der Aristokratie des civilisirten Europas jetzt<lb/> nicht mehr möglich wäre, ihrem Vaterlande die einzige unter den gegebenen<lb/> Verhältnissen erreichbare Selbständigkeit eingeleitet hatten, eine Selbständigkeit'</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0356]
zum schwarzen Meer begonnen, der Krimkrieg, der italienische Krieg, die
Bewegungen in den Donauländern füllten die Phantasie der Jugend und er«
öffneten eine Menge von Perspectiven, gerade so glänzend und unsicher, wie sie
ungeduldigen Politikern am meisten zu behagen scheinen. Beide polnische Par¬
teien machten in dieser Zeit Fortschritte, beide schieden sich in Zweck und
Mitteln weiter von einander als je. in beiden wuchs Argwohn und Haß, wo¬
mit die Gegner betrachtet wurden.
Die polnische Aristokratie sah plötzlich in erreichbarer Nähe, was unter
Kaiser Nikolaus Phantasiebild Einzelner gewesen war: ein selbständiges Polen
mit eigener Verwaltung und nationalem Heer, nur durch Personalunion mit
Rußland verbunden. Vielleicht war es sogar möglich, die oberste Leitung des
Reiches in Warschau zu fixiren, und aus dem Vicctonigthum eines kaiserlichen
Prinzen eine Secundogenitur zu bilden. Man wußte aus der Regierungszeit
des verstorbenen Großfürsten Konstantin, daß es keine unüberwindlichen Schwie¬
rigkeiten gehabt hatte, einen widerwärtigen Czarowitsch in einen warmen Polen
zu verwandeln, und man durfte hoffen, daß einem solchen Polenreiche die Ge¬
legenheit nicht fehlen werde, sich von dem in seinen Grundfesten erschütterten
Nußland so weit abzulösen, als vorteilhaft wäre. Wie klug und erfolg¬
reich die Partei bis zum Beginn dieses Jahres operirt hat, ist bekannt. Die
Schwierigkeit, das aufsässige Polen von Petersburg aus zu regieren, erwies sich
im letzten Herbst den Russen fast unüberwindlich. Es war damals zu Peters¬
burg auch in der Näbe des Kaisers eine verbreitete Ansicht, daß man Polen
auf die Länge nicht festhalten werde. Einer der russischen Generäle nach dem
andern halte sich als unbrauchbar erwiesen. Der Großfürst, dessen die Polen be¬
durften, war ihnen als Statthalter gesandt. Ein entschlossener Vertreter der
conscrvaNven Partei, Marquis Wielopolskj, war Rathgeber des Großfürsten
und Leiter der innern Verwaltung geworden, geräuschlos und systematisch ar¬
beitete er an der Emancipation des polnischen Elementes. Die Russen wurden
so viel als möglich aus den Beamtenstellen entfernt, — wozu die Unfähigkeit
der Mehrzahl genügenden Vorwand gab —, der Großfürst wurde für seine hohe
Aufgabe — noch ist unbekannt wie weit — gewonnen. Zuletzt wurde sogar
in der innern Verwaltung die polnische Sprache wieder eingeführt. Die Russen
waren thatsächlich bereits aus dem Lande gedrückt, selbst ein Theil des Heeres
bestand, wie verlautet, aus Polen unter Polnischgesinnten. Nie war Polen,
etwa eine kurze Zeit vor der Thronbesteigung des Kaiser Nikolaus aus¬
genommen, einer friedlichen Emancipation so nahe als in diesem Winter.
Und mit Stolz durften sich die Führer der aristokratischen Partei sagen, daß
sie durch eine Politik, wie sie der Aristokratie des civilisirten Europas jetzt
nicht mehr möglich wäre, ihrem Vaterlande die einzige unter den gegebenen
Verhältnissen erreichbare Selbständigkeit eingeleitet hatten, eine Selbständigkeit'
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