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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in der Darstellung der Zeitgeschichte das Interesse der Kirche hinter dem der Renn¬
bahn zurücktritt, und man statt eines Stadtprcdigers öfter einen Kutscher zu
hören meint, verfolgt die ziemlich eingehende Darstellung der griechischen Mytho¬
logie und Heroengeschichte lediglich einen christlich-apologetischen Zweck: das
euhemeristische System ist hier bis an die Grenze des Möglichen hin aus¬
gebeutet, die Greuel des Heidenthums) namentlich die angeblichen Menschen¬
opfer bei Städtegründungen, werden mit Vorliebe regisirirt. Dieses merk¬
würdige Buch, das Bentley zur Folie einer seiner glänzendsten Schriften
gemacht, an das er aber mit auffallender Einseitigkeit den ganz unhistonschcn
Maßstab eines strengen Classicismus gelegt hat, ist bis in das zwölfte Jahr¬
hundert die Grundlage der byzantinischen Wcltchroniken geblieben. Ein anderer
Joannes aus Antiochien, der unter Heraklius schrieb, nahm die Chronik des
Malaka unter Auemerzung der gröbsten historischen Verstöße und unter Hin-
zufügung von Auszügen aus Dio und Eutropius in die seinige auf; die der¬
selben Zeit angehörende Osterchronik sorgte durch Hinzufügung von Consular-
sasten für einen nothdürftigen chronologischen Faden und verallgemeinerte den
Inhalt durch Streichung des speciell auf Antiochien Bezüglichen und Einflech-
tung merkwürdiger Begebenheiten aus der Chronik von Konstantinopel. So
oder so, bald in der ursprünglichen, bald in einer revidirten Gestalt, hat das
Malaka'sche Gcschichtsscbcma trotz oder wegen seiner Dürftigkeit die byzantinische
Annalistik bis auf Michael Glykas herab beherrscht, und erst unter den Kom-
ncnen und Paläologen nahm die Geschichtschreibung wieder einen höhern Flug,
erlahmte aber bald, indem sie sich zu künstlicher Classicitcit hinaufschrauben
wollte, unter dem Fluche, der auf allem neugriechischen ruht: es ist eine Re¬
naissance im übelsten Sinne des Worts, die unsere Theilnahme nur wenig zu
fesseln im Stande ist.

Wie im Abendlande, so folgt auch im christlichen Orient auf das Er¬
löschen der altgrichischen Historik eine Lücke, aber nicht von einem, sondern
von zwei vollen Jahrhunderten, für die wir buchstäblich nur zwei Geschichts¬
quellen haben, die dürre Möncbschronik des Theopbanes und das übcrlurze
und nicht einmal gut unterrichtete Compendium des Nicephorus, beide erst
aus dem neunten Jahrhundert. Gewiß ist der Grund, daß uns über einen
so wichtigen Zeitraum wie den der bilderstürmenden Kaiser alle gleichzeitigen
Berichte fehlen, nicht in dem Verluste der Geschichtsquellen, sondern in dem
unhistonschcn Sinne der Zeit zu suchen. Wer je in der Lage gewesen ist, Unter¬
suchungen über die spätere Kaisergeschichte anzustellen, wird es empfunden
haben, daß man, selbst wo es sich noch um die Zeiten Dioclctians oder Con-
stantins handelt, nicht umhin kann, das Zeugenverhör bis zum Ende des
sechsten Jahrhunderts auszudehnen, ebensogut aber, daß man kaum jemals,
nicht einmal in der Geschichte eines so späten Kaisers wie Justinian, nöthig


in der Darstellung der Zeitgeschichte das Interesse der Kirche hinter dem der Renn¬
bahn zurücktritt, und man statt eines Stadtprcdigers öfter einen Kutscher zu
hören meint, verfolgt die ziemlich eingehende Darstellung der griechischen Mytho¬
logie und Heroengeschichte lediglich einen christlich-apologetischen Zweck: das
euhemeristische System ist hier bis an die Grenze des Möglichen hin aus¬
gebeutet, die Greuel des Heidenthums) namentlich die angeblichen Menschen¬
opfer bei Städtegründungen, werden mit Vorliebe regisirirt. Dieses merk¬
würdige Buch, das Bentley zur Folie einer seiner glänzendsten Schriften
gemacht, an das er aber mit auffallender Einseitigkeit den ganz unhistonschcn
Maßstab eines strengen Classicismus gelegt hat, ist bis in das zwölfte Jahr¬
hundert die Grundlage der byzantinischen Wcltchroniken geblieben. Ein anderer
Joannes aus Antiochien, der unter Heraklius schrieb, nahm die Chronik des
Malaka unter Auemerzung der gröbsten historischen Verstöße und unter Hin-
zufügung von Auszügen aus Dio und Eutropius in die seinige auf; die der¬
selben Zeit angehörende Osterchronik sorgte durch Hinzufügung von Consular-
sasten für einen nothdürftigen chronologischen Faden und verallgemeinerte den
Inhalt durch Streichung des speciell auf Antiochien Bezüglichen und Einflech-
tung merkwürdiger Begebenheiten aus der Chronik von Konstantinopel. So
oder so, bald in der ursprünglichen, bald in einer revidirten Gestalt, hat das
Malaka'sche Gcschichtsscbcma trotz oder wegen seiner Dürftigkeit die byzantinische
Annalistik bis auf Michael Glykas herab beherrscht, und erst unter den Kom-
ncnen und Paläologen nahm die Geschichtschreibung wieder einen höhern Flug,
erlahmte aber bald, indem sie sich zu künstlicher Classicitcit hinaufschrauben
wollte, unter dem Fluche, der auf allem neugriechischen ruht: es ist eine Re¬
naissance im übelsten Sinne des Worts, die unsere Theilnahme nur wenig zu
fesseln im Stande ist.

Wie im Abendlande, so folgt auch im christlichen Orient auf das Er¬
löschen der altgrichischen Historik eine Lücke, aber nicht von einem, sondern
von zwei vollen Jahrhunderten, für die wir buchstäblich nur zwei Geschichts¬
quellen haben, die dürre Möncbschronik des Theopbanes und das übcrlurze
und nicht einmal gut unterrichtete Compendium des Nicephorus, beide erst
aus dem neunten Jahrhundert. Gewiß ist der Grund, daß uns über einen
so wichtigen Zeitraum wie den der bilderstürmenden Kaiser alle gleichzeitigen
Berichte fehlen, nicht in dem Verluste der Geschichtsquellen, sondern in dem
unhistonschcn Sinne der Zeit zu suchen. Wer je in der Lage gewesen ist, Unter¬
suchungen über die spätere Kaisergeschichte anzustellen, wird es empfunden
haben, daß man, selbst wo es sich noch um die Zeiten Dioclctians oder Con-
stantins handelt, nicht umhin kann, das Zeugenverhör bis zum Ende des
sechsten Jahrhunderts auszudehnen, ebensogut aber, daß man kaum jemals,
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[0354] in der Darstellung der Zeitgeschichte das Interesse der Kirche hinter dem der Renn¬ bahn zurücktritt, und man statt eines Stadtprcdigers öfter einen Kutscher zu hören meint, verfolgt die ziemlich eingehende Darstellung der griechischen Mytho¬ logie und Heroengeschichte lediglich einen christlich-apologetischen Zweck: das euhemeristische System ist hier bis an die Grenze des Möglichen hin aus¬ gebeutet, die Greuel des Heidenthums) namentlich die angeblichen Menschen¬ opfer bei Städtegründungen, werden mit Vorliebe regisirirt. Dieses merk¬ würdige Buch, das Bentley zur Folie einer seiner glänzendsten Schriften gemacht, an das er aber mit auffallender Einseitigkeit den ganz unhistonschcn Maßstab eines strengen Classicismus gelegt hat, ist bis in das zwölfte Jahr¬ hundert die Grundlage der byzantinischen Wcltchroniken geblieben. Ein anderer Joannes aus Antiochien, der unter Heraklius schrieb, nahm die Chronik des Malaka unter Auemerzung der gröbsten historischen Verstöße und unter Hin- zufügung von Auszügen aus Dio und Eutropius in die seinige auf; die der¬ selben Zeit angehörende Osterchronik sorgte durch Hinzufügung von Consular- sasten für einen nothdürftigen chronologischen Faden und verallgemeinerte den Inhalt durch Streichung des speciell auf Antiochien Bezüglichen und Einflech- tung merkwürdiger Begebenheiten aus der Chronik von Konstantinopel. So oder so, bald in der ursprünglichen, bald in einer revidirten Gestalt, hat das Malaka'sche Gcschichtsscbcma trotz oder wegen seiner Dürftigkeit die byzantinische Annalistik bis auf Michael Glykas herab beherrscht, und erst unter den Kom- ncnen und Paläologen nahm die Geschichtschreibung wieder einen höhern Flug, erlahmte aber bald, indem sie sich zu künstlicher Classicitcit hinaufschrauben wollte, unter dem Fluche, der auf allem neugriechischen ruht: es ist eine Re¬ naissance im übelsten Sinne des Worts, die unsere Theilnahme nur wenig zu fesseln im Stande ist. Wie im Abendlande, so folgt auch im christlichen Orient auf das Er¬ löschen der altgrichischen Historik eine Lücke, aber nicht von einem, sondern von zwei vollen Jahrhunderten, für die wir buchstäblich nur zwei Geschichts¬ quellen haben, die dürre Möncbschronik des Theopbanes und das übcrlurze und nicht einmal gut unterrichtete Compendium des Nicephorus, beide erst aus dem neunten Jahrhundert. Gewiß ist der Grund, daß uns über einen so wichtigen Zeitraum wie den der bilderstürmenden Kaiser alle gleichzeitigen Berichte fehlen, nicht in dem Verluste der Geschichtsquellen, sondern in dem unhistonschcn Sinne der Zeit zu suchen. Wer je in der Lage gewesen ist, Unter¬ suchungen über die spätere Kaisergeschichte anzustellen, wird es empfunden haben, daß man, selbst wo es sich noch um die Zeiten Dioclctians oder Con- stantins handelt, nicht umhin kann, das Zeugenverhör bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts auszudehnen, ebensogut aber, daß man kaum jemals, nicht einmal in der Geschichte eines so späten Kaisers wie Justinian, nöthig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/354>, abgerufen am 27.07.2024.