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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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clam und Anastasius waren Jllyrier, Leo der Erste ein Thracier, Zeno gehörte
dem rohen, mitten im Reiche seine Unabhängigkeit bewahrenden Volk der Jsau-
rcr an. Justin der Erste und sein Haus waren Slaven. Noch war damals
die Entwicklung des neuen Beamtcnstaates nicht abgeschlossen, noch konnte man
handfester Krieger auf dem Throne nicht entrathen. Es war dies die Zeit,
in der bulgarische Horden während mehrer Jahrzehnte die Balkanhalbinsel von
einem Ende bis zum anderen durchstreiften, sogar Konstantinopel belagerten
und Anstalt machten, sich in den besetzten Landstrichen dauernd niederzulassen,
und es scheint in der That, als hätten die Bulgaren mehr als irgend ein anderes
Volk auf die Mischung der neugriechischen Nationalität Einfluß geballt. Mög¬
lich auch, daß schon damals sich Slaven im Gefolge der Bulgaren nach Hellas
geschlichen haben; allein einen Zusammenhang zwischen diesem Umstände und der
slavischen Herkunft Justinians anzunehmen, ist man nicht berechtigt. Eine ganz
andere principielle Bedeutung hat die Erhebung des Tiberius zum Regenten
und nach dem Erlöschen des justinischen Kaiserhauses S78 zum Kaiser: in sei¬
ner Person besteigt der erste Grieche den Thron der Cäsaren. Tiberius wiederum
erkor sich zu seinem Nachfolger und Eidam den Mauritius aus der vollständig
hellcnisirtcn Provinz Kappadokier, deren Einwohner in der classischen Zeit als
erprobte Chaisenträger, in der byzantinischen als geschmeidige Bureaukraten
galten, denen um Carriere zu machen kein Mittel zu schlecht sei. Auch seine
Wahl stand also in zweifacher Hinsicht in einer charakteristischen Beziehung zu
dem von Justinian zum Abschluß gebrachten Regierungssystem. Es ist nun
im hohen Grade merkwürdig, daß der späte syrische Chronist Gregor Barhe-
bräus mit dem an der syrischen Historiographie öfters zu rühmenden gesunden
.historischen Sinn den zweiten Justin als letzten Kaiser der Römer rechnet
und mit Tiberius das Reich der Griechen beginnen läßt. Für uns liegt in
der That hier die Grenze zwischen Alterthum und Mittelalter, insoweit es sich
um das oströmische Reich handelt.

Um dieselbe Zeit ging eine wichtige Vorhut des christlichen Orients ver¬
loren: das christliche abyssinische Reich in Südarabien ward 576 von den Per¬
sern erobert. Von den Zeiten Konstantins an war mit Jemen und Abyssinien
ein ziemlich lebhafter Verkehr unterhalten worden; dieser hörte jetzt ganz aus
und ist erst an der Schwelle der neuen Zeit von den Portugiesen wieder er¬
öffnet worden. Noch verhängnißvoller war jener Schlag, insofern durch ihn
die Hoffnung auf Diversionen von dieser Seite völlig abgeschnitten ward, die
in den Stürmen, welche bald darauf von Arabien aus über das oströmische Reich
hereinbrachen, sehr wichtig hätten werden können. Mit der Ermordung deö
Mauritius durch Phoccis und der Regierung des Letzteren (602), einer blutigen
Reaction der Militärpakte! gegen das neue Regierungssystem, beginnt das große
orientalische Drama, welches der erstaunten Welt zuerst eine beispiellose Macht-


clam und Anastasius waren Jllyrier, Leo der Erste ein Thracier, Zeno gehörte
dem rohen, mitten im Reiche seine Unabhängigkeit bewahrenden Volk der Jsau-
rcr an. Justin der Erste und sein Haus waren Slaven. Noch war damals
die Entwicklung des neuen Beamtcnstaates nicht abgeschlossen, noch konnte man
handfester Krieger auf dem Throne nicht entrathen. Es war dies die Zeit,
in der bulgarische Horden während mehrer Jahrzehnte die Balkanhalbinsel von
einem Ende bis zum anderen durchstreiften, sogar Konstantinopel belagerten
und Anstalt machten, sich in den besetzten Landstrichen dauernd niederzulassen,
und es scheint in der That, als hätten die Bulgaren mehr als irgend ein anderes
Volk auf die Mischung der neugriechischen Nationalität Einfluß geballt. Mög¬
lich auch, daß schon damals sich Slaven im Gefolge der Bulgaren nach Hellas
geschlichen haben; allein einen Zusammenhang zwischen diesem Umstände und der
slavischen Herkunft Justinians anzunehmen, ist man nicht berechtigt. Eine ganz
andere principielle Bedeutung hat die Erhebung des Tiberius zum Regenten
und nach dem Erlöschen des justinischen Kaiserhauses S78 zum Kaiser: in sei¬
ner Person besteigt der erste Grieche den Thron der Cäsaren. Tiberius wiederum
erkor sich zu seinem Nachfolger und Eidam den Mauritius aus der vollständig
hellcnisirtcn Provinz Kappadokier, deren Einwohner in der classischen Zeit als
erprobte Chaisenträger, in der byzantinischen als geschmeidige Bureaukraten
galten, denen um Carriere zu machen kein Mittel zu schlecht sei. Auch seine
Wahl stand also in zweifacher Hinsicht in einer charakteristischen Beziehung zu
dem von Justinian zum Abschluß gebrachten Regierungssystem. Es ist nun
im hohen Grade merkwürdig, daß der späte syrische Chronist Gregor Barhe-
bräus mit dem an der syrischen Historiographie öfters zu rühmenden gesunden
.historischen Sinn den zweiten Justin als letzten Kaiser der Römer rechnet
und mit Tiberius das Reich der Griechen beginnen läßt. Für uns liegt in
der That hier die Grenze zwischen Alterthum und Mittelalter, insoweit es sich
um das oströmische Reich handelt.

Um dieselbe Zeit ging eine wichtige Vorhut des christlichen Orients ver¬
loren: das christliche abyssinische Reich in Südarabien ward 576 von den Per¬
sern erobert. Von den Zeiten Konstantins an war mit Jemen und Abyssinien
ein ziemlich lebhafter Verkehr unterhalten worden; dieser hörte jetzt ganz aus
und ist erst an der Schwelle der neuen Zeit von den Portugiesen wieder er¬
öffnet worden. Noch verhängnißvoller war jener Schlag, insofern durch ihn
die Hoffnung auf Diversionen von dieser Seite völlig abgeschnitten ward, die
in den Stürmen, welche bald darauf von Arabien aus über das oströmische Reich
hereinbrachen, sehr wichtig hätten werden können. Mit der Ermordung deö
Mauritius durch Phoccis und der Regierung des Letzteren (602), einer blutigen
Reaction der Militärpakte! gegen das neue Regierungssystem, beginnt das große
orientalische Drama, welches der erstaunten Welt zuerst eine beispiellose Macht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/348>, abgerufen am 28.07.2024.