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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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täten auf administrativen und militärischem Gebiete gesorgt: man denke an den
Perser Thcophobos, an den Georgier Tornitios, vor Allem an die Schaaren
von armenischen Adligen, die uns jedes Blatt der byzantinischen Geschichte in
den einflußreichsten Stellen zeigt. Das militärische Rohmaterial fand in den
ausgestoßenen Wildsängcn des germanischen Nordens erwünschte Ergänzung.
So kam es, daß die Byzantiner in Bezug auf Kriegskunst ihren Nachbarn
überlegen geblieben sind bis zum Auftreten der Janitscharen. Der Wohl ein¬
gerichtete Staatsmechanismus fand denn auch die geeigneten Spitzen. Es gibt
nicht leicht eine Herrscherreihe, die bei solcher Länge eine solche Menge der aus¬
gesprochensten Talente aufzuweisen im Stande wäre. In den großen Einbußen,
die das Reich beim ersten Anprall der Araber erlitt, hat man einen der wesent¬
lichsten Gründe für seine lange Dauer zu erkennen, indem der Verlust von
Syrien, Aegypten und Afrika das Reich von heterogenen Bestandtheilen befreite
und nur eine compacte, einheitliche Masse von romanisirten Griechen (in
Sicilien und Unteritalien), Nationalgriechen und gräcisirtcn Thraciern und
Kleinasiaten übrigließ. Abgesehen davon hat das byzantinische Reich bis auf
die Angriffe der Normannen im elften Jahrhundert auf die Dauer keine erheb¬
lichen Gebictsschmälcrungen erlitten, wohl aber eine Reihe glänzender und in
der Mehrzahl nachhaltiger Eroberungen gemacht. Das sechste Jahrhundert sah
die Reiche der Wandalen und Ostgothen seinen Anfällen erliegen, das zehnte
Kreta, Cypern und den größten Theil von Syrien sammt der Hauptstadt An-
tiochien, das elfte das bulgarische und das großarmenische Reich. Die Wieder¬
gewinnung Konstantinopels durch Michael Paläologos ist einer der spätesten
und zugleich stärksten Belege für die katzenartige Lebenszähigkeit dieses Reiches.
Bon allen altrömischen Eigenschaften sind zwei den Byzantinern bis zuletzt
geblieben: rastlose Begehrlichkeit und schwächeren Völkern gegenüber gewissen¬
lose Nichtachtung der heiligsten Menschenrechte. Durch diese Eigenschaften haben
die Byzantiner ein beträchtliches Capital soliden Hasses bei den übrigen christ¬
lichen Böllern des Orients angesammelt. Dasselbe mag unter dem gemein¬
samen Drucke der Türkenzeit sehr zusammengeschmolzen sein; kommt aber erst
einmal der classische Nachwuchs der Byzantiner, das verzogene Nesthäkchen der
europäischen Diplomatie, in die Lage, von seiner vielbesungenen Freiheit den
ihm gut dünkenden Gebrauch zu machen, den nämlich, welchen in sinniger
Kürze ein ominöses altgrichisches Sprichwort schildert:


'^kvöä^" /<0()!ii^0!' Z^e^ o"on s^t-z -*)

dann werden wir ja sehen, ob jenes Capital von Nationalhaß wirklich ganz
aufgezehrt ist. -- Wenn die Geschichte durch die lange Dauer des byzantini-



') "Frei ist Korfu: sah-- wohin du willst!

täten auf administrativen und militärischem Gebiete gesorgt: man denke an den
Perser Thcophobos, an den Georgier Tornitios, vor Allem an die Schaaren
von armenischen Adligen, die uns jedes Blatt der byzantinischen Geschichte in
den einflußreichsten Stellen zeigt. Das militärische Rohmaterial fand in den
ausgestoßenen Wildsängcn des germanischen Nordens erwünschte Ergänzung.
So kam es, daß die Byzantiner in Bezug auf Kriegskunst ihren Nachbarn
überlegen geblieben sind bis zum Auftreten der Janitscharen. Der Wohl ein¬
gerichtete Staatsmechanismus fand denn auch die geeigneten Spitzen. Es gibt
nicht leicht eine Herrscherreihe, die bei solcher Länge eine solche Menge der aus¬
gesprochensten Talente aufzuweisen im Stande wäre. In den großen Einbußen,
die das Reich beim ersten Anprall der Araber erlitt, hat man einen der wesent¬
lichsten Gründe für seine lange Dauer zu erkennen, indem der Verlust von
Syrien, Aegypten und Afrika das Reich von heterogenen Bestandtheilen befreite
und nur eine compacte, einheitliche Masse von romanisirten Griechen (in
Sicilien und Unteritalien), Nationalgriechen und gräcisirtcn Thraciern und
Kleinasiaten übrigließ. Abgesehen davon hat das byzantinische Reich bis auf
die Angriffe der Normannen im elften Jahrhundert auf die Dauer keine erheb¬
lichen Gebictsschmälcrungen erlitten, wohl aber eine Reihe glänzender und in
der Mehrzahl nachhaltiger Eroberungen gemacht. Das sechste Jahrhundert sah
die Reiche der Wandalen und Ostgothen seinen Anfällen erliegen, das zehnte
Kreta, Cypern und den größten Theil von Syrien sammt der Hauptstadt An-
tiochien, das elfte das bulgarische und das großarmenische Reich. Die Wieder¬
gewinnung Konstantinopels durch Michael Paläologos ist einer der spätesten
und zugleich stärksten Belege für die katzenartige Lebenszähigkeit dieses Reiches.
Bon allen altrömischen Eigenschaften sind zwei den Byzantinern bis zuletzt
geblieben: rastlose Begehrlichkeit und schwächeren Völkern gegenüber gewissen¬
lose Nichtachtung der heiligsten Menschenrechte. Durch diese Eigenschaften haben
die Byzantiner ein beträchtliches Capital soliden Hasses bei den übrigen christ¬
lichen Böllern des Orients angesammelt. Dasselbe mag unter dem gemein¬
samen Drucke der Türkenzeit sehr zusammengeschmolzen sein; kommt aber erst
einmal der classische Nachwuchs der Byzantiner, das verzogene Nesthäkchen der
europäischen Diplomatie, in die Lage, von seiner vielbesungenen Freiheit den
ihm gut dünkenden Gebrauch zu machen, den nämlich, welchen in sinniger
Kürze ein ominöses altgrichisches Sprichwort schildert:


'^kvöä^« /<0()!ii^0!' Z^e^ o»on s^t-z -*)

dann werden wir ja sehen, ob jenes Capital von Nationalhaß wirklich ganz
aufgezehrt ist. — Wenn die Geschichte durch die lange Dauer des byzantini-



') „Frei ist Korfu: sah— wohin du willst!
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[0346] täten auf administrativen und militärischem Gebiete gesorgt: man denke an den Perser Thcophobos, an den Georgier Tornitios, vor Allem an die Schaaren von armenischen Adligen, die uns jedes Blatt der byzantinischen Geschichte in den einflußreichsten Stellen zeigt. Das militärische Rohmaterial fand in den ausgestoßenen Wildsängcn des germanischen Nordens erwünschte Ergänzung. So kam es, daß die Byzantiner in Bezug auf Kriegskunst ihren Nachbarn überlegen geblieben sind bis zum Auftreten der Janitscharen. Der Wohl ein¬ gerichtete Staatsmechanismus fand denn auch die geeigneten Spitzen. Es gibt nicht leicht eine Herrscherreihe, die bei solcher Länge eine solche Menge der aus¬ gesprochensten Talente aufzuweisen im Stande wäre. In den großen Einbußen, die das Reich beim ersten Anprall der Araber erlitt, hat man einen der wesent¬ lichsten Gründe für seine lange Dauer zu erkennen, indem der Verlust von Syrien, Aegypten und Afrika das Reich von heterogenen Bestandtheilen befreite und nur eine compacte, einheitliche Masse von romanisirten Griechen (in Sicilien und Unteritalien), Nationalgriechen und gräcisirtcn Thraciern und Kleinasiaten übrigließ. Abgesehen davon hat das byzantinische Reich bis auf die Angriffe der Normannen im elften Jahrhundert auf die Dauer keine erheb¬ lichen Gebictsschmälcrungen erlitten, wohl aber eine Reihe glänzender und in der Mehrzahl nachhaltiger Eroberungen gemacht. Das sechste Jahrhundert sah die Reiche der Wandalen und Ostgothen seinen Anfällen erliegen, das zehnte Kreta, Cypern und den größten Theil von Syrien sammt der Hauptstadt An- tiochien, das elfte das bulgarische und das großarmenische Reich. Die Wieder¬ gewinnung Konstantinopels durch Michael Paläologos ist einer der spätesten und zugleich stärksten Belege für die katzenartige Lebenszähigkeit dieses Reiches. Bon allen altrömischen Eigenschaften sind zwei den Byzantinern bis zuletzt geblieben: rastlose Begehrlichkeit und schwächeren Völkern gegenüber gewissen¬ lose Nichtachtung der heiligsten Menschenrechte. Durch diese Eigenschaften haben die Byzantiner ein beträchtliches Capital soliden Hasses bei den übrigen christ¬ lichen Böllern des Orients angesammelt. Dasselbe mag unter dem gemein¬ samen Drucke der Türkenzeit sehr zusammengeschmolzen sein; kommt aber erst einmal der classische Nachwuchs der Byzantiner, das verzogene Nesthäkchen der europäischen Diplomatie, in die Lage, von seiner vielbesungenen Freiheit den ihm gut dünkenden Gebrauch zu machen, den nämlich, welchen in sinniger Kürze ein ominöses altgrichisches Sprichwort schildert: '^kvöä^« /<0()!ii^0!' Z^e^ o»on s^t-z -*) dann werden wir ja sehen, ob jenes Capital von Nationalhaß wirklich ganz aufgezehrt ist. — Wenn die Geschichte durch die lange Dauer des byzantini- ') „Frei ist Korfu: sah— wohin du willst!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/346>, abgerufen am 25.11.2024.