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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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fast". AIs er dann in Leipzig sich herausriß aus der dürftigen Buchgelehr-
samkeit der Schule und jenes Doppelwesen seiner Natur, das schon das
Bild des Kindes ahnen läßt, sich entfaltete -- der Gelehrte, der in jedem
Buche der wittenberger Bibliothek geblättert und an schlechten Büchern mit
Vorliebe seinen Scharfsinn übte, und der Weltmann von feinen Formen, der
sich gern im Lärme des Tages tummelte, um die rasche Wallung seines Blu¬
tes zu übertäuben - -- da brach jener schwere Kampf aus mit seinen Aelter",
der längst schon gedroht. Sie kennen jenes bittere Wort, das Lessing am Abend
seines Lebens schrieb: "ich wünsche was ich wünsche mit so viel vorher em¬
pfindender Freude, daß meistentheils das Glück der Mühe überhoben zu sein
glaubt, den Wunsch zu erfüllen." Seiner Jugend vornehmlich gilt diese Klage
wider das karge Glück. Auch der Geduldigste unter Ihnen ertrüge nicht mehr
die Oede des Daseins jener Tage. Ein Volk ohne Vaterland, darum gezwungen
im Hause jede Freude zu suchen, und dennoch unfrei sogar im häuslichen
Leben.

Sie werden freilich immer wiederkehren, am heftigsten in fruchtbaren, auf¬
strebenden Zeiten, jene traurigen Zerwürfnisse von Vater und Sohn, herz¬
ergreifend traurig, weil jeder Theil im Rechte ist und das alte Geschlecht die
junge Welt nicht mehr verstehen darf. Aber in Lessings Leben -- wie herzlich
er auch von seinem Vater gesprochen, wie groß immer die innere Verwandt¬
schaft der beiden Streitenden -- in Lessings Leben erscheint dieser Kampf un¬
gewöhnlich hart, das alte Geschlecht ungewöhnlich klein und gehässig. Denn
der Hader bewegte sich nicht um politische und religiöse Fragen, die doch nur
mittelbar den Frieden des Hauses berühren; eine große gesellschaftliche Um¬
wälzung vielmehr begann sich zu vollziehen, die Ehre des väterlichen Hauses
ward blosgestellt durch die sociale Stellung des Sohnes. Bis dahin war wer
hinausstrebte aus der Erwerbsthätigkeit des Bürgerthums in den Dienst des
Staates und der Kirche gegangen. Die regsamsten Kräfte des Adels und der
Mittelclassen hatte das Beamtenthum und jene Zunstgelehrsamkeit des Kathe¬
ders verschlungen, die kaum noch den Namen der akademischen Freiheit kannte.
Höchstens dem bildenden Künstler ward gestattet, seiner Kunst zu leben und im
Gefolge eines Hofes ein Unterkommen zu suchen. Der Sohn aber des ehren¬
fester Pastvrenhauses wagte, was vordem nur verdorbene Talente zu ihrem
Unsegen versucht, er wurde der freie Schriftsteller, der erste deutsche Literat
-- nicht in klarer Absicht, nein, wie die Menschen werden, wozu der Geist sie
treibt, weil er nicht anders konnte, weil dieser freie Kopf den Zwang des
Amtes nicht ertrug. Wie er also unserem Volke eine neue ungebundene Berufs¬
classe erschuf, so wandte er auch zuerst mit Bewußtsein sich an ein neues Publi-
cum. Nimmermehr mochte er der unfreien Weise der Mehrzahl seiner Vor¬
gänger folgen, die nur geziert für die Höfe, plump für das Volk zu schreiben


fast". AIs er dann in Leipzig sich herausriß aus der dürftigen Buchgelehr-
samkeit der Schule und jenes Doppelwesen seiner Natur, das schon das
Bild des Kindes ahnen läßt, sich entfaltete — der Gelehrte, der in jedem
Buche der wittenberger Bibliothek geblättert und an schlechten Büchern mit
Vorliebe seinen Scharfsinn übte, und der Weltmann von feinen Formen, der
sich gern im Lärme des Tages tummelte, um die rasche Wallung seines Blu¬
tes zu übertäuben - — da brach jener schwere Kampf aus mit seinen Aelter»,
der längst schon gedroht. Sie kennen jenes bittere Wort, das Lessing am Abend
seines Lebens schrieb: „ich wünsche was ich wünsche mit so viel vorher em¬
pfindender Freude, daß meistentheils das Glück der Mühe überhoben zu sein
glaubt, den Wunsch zu erfüllen." Seiner Jugend vornehmlich gilt diese Klage
wider das karge Glück. Auch der Geduldigste unter Ihnen ertrüge nicht mehr
die Oede des Daseins jener Tage. Ein Volk ohne Vaterland, darum gezwungen
im Hause jede Freude zu suchen, und dennoch unfrei sogar im häuslichen
Leben.

Sie werden freilich immer wiederkehren, am heftigsten in fruchtbaren, auf¬
strebenden Zeiten, jene traurigen Zerwürfnisse von Vater und Sohn, herz¬
ergreifend traurig, weil jeder Theil im Rechte ist und das alte Geschlecht die
junge Welt nicht mehr verstehen darf. Aber in Lessings Leben — wie herzlich
er auch von seinem Vater gesprochen, wie groß immer die innere Verwandt¬
schaft der beiden Streitenden — in Lessings Leben erscheint dieser Kampf un¬
gewöhnlich hart, das alte Geschlecht ungewöhnlich klein und gehässig. Denn
der Hader bewegte sich nicht um politische und religiöse Fragen, die doch nur
mittelbar den Frieden des Hauses berühren; eine große gesellschaftliche Um¬
wälzung vielmehr begann sich zu vollziehen, die Ehre des väterlichen Hauses
ward blosgestellt durch die sociale Stellung des Sohnes. Bis dahin war wer
hinausstrebte aus der Erwerbsthätigkeit des Bürgerthums in den Dienst des
Staates und der Kirche gegangen. Die regsamsten Kräfte des Adels und der
Mittelclassen hatte das Beamtenthum und jene Zunstgelehrsamkeit des Kathe¬
ders verschlungen, die kaum noch den Namen der akademischen Freiheit kannte.
Höchstens dem bildenden Künstler ward gestattet, seiner Kunst zu leben und im
Gefolge eines Hofes ein Unterkommen zu suchen. Der Sohn aber des ehren¬
fester Pastvrenhauses wagte, was vordem nur verdorbene Talente zu ihrem
Unsegen versucht, er wurde der freie Schriftsteller, der erste deutsche Literat
— nicht in klarer Absicht, nein, wie die Menschen werden, wozu der Geist sie
treibt, weil er nicht anders konnte, weil dieser freie Kopf den Zwang des
Amtes nicht ertrug. Wie er also unserem Volke eine neue ungebundene Berufs¬
classe erschuf, so wandte er auch zuerst mit Bewußtsein sich an ein neues Publi-
cum. Nimmermehr mochte er der unfreien Weise der Mehrzahl seiner Vor¬
gänger folgen, die nur geziert für die Höfe, plump für das Volk zu schreiben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/312>, abgerufen am 25.11.2024.